d r e i u n d z w a n z i g

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Ich starrte ihn mit offenem Mund an und fasste mir vor Betroffenheit und Schreck ans Dekolletee. Sophie war ... schwanger gewesen? Meine Augen füllten sich erneut mit Tränen, als ich mir über die Bedeutung seiner Worte bewusst wurde. Heute Nacht war nicht nur eine Person gestorben, nein, auch eine Weitere, die ihr ganzes Leben noch vor sich gehabt hätte. Ein weiterer wertvoller Mensch mit Fantasie, welcher der Regierung trotzen würde. Doch bevor das Baby in Sophies Bauch überhaupt zu einem Kind hatte werden können, hatte seine Seele den winzigen Körper wieder verlassen. Sophie wäre eine so liebevolle Mutter gewesen, aber ihr Kind hatte nicht einmal Zeit gehabt, auch nur einen winzigen Blick auf sie zu werfen. Und selbst bei all der Abneigung, die ich gegenüber Robert empfand, musste ich mir eingestehen, dass auch er ein wundervoller Vater geworden wäre. Er mochte so manches Mal unsensibel und unhöflich sein, doch für seine Liebsten würde er alles tun.

»Was ist geschehen?«, flüsterte ich unter Tränen und stellte damit die eine Frage, die mir schon seit geraumer Zeit keine Ruhe mehr ließ.

Robert runzelte die Stirn, als sei er genervt von mir, doch die in seinen Gesichtszügen dominierende Trauer; die verquollenen Augen, die Tränen auf den eingefallenen Wangen, die blasse Haut verdeckten jegliche andere Gefühle beinahe vollständig. »Noch nie was von Bienchen und Blümchen gehört?«, murmelte er schwach.

Ich seufzte. »Das meine ich nicht.« Mit meinen Armen machte ich eine ausladende Bewegung. »Das alles. Sophie. Wer hat ... war das Tim?«

Robert nickte und zog die Knie an die Brust, als wollte er damit den Schmerz, den der Tod seiner Frau verursacht hatte, ersticken. »Ich habe - « Ein weiteres Schluchzen schüttelte ihn und machte ihm das Sprechen unmöglich. Dass ein so rationaler Mensch, der kaum Gefühle zeigte, auf einmal vor meinen Augen in Tränen ausbrach, brachte mich total aus der Bahn, und führte mir wieder einmal vor Augen, wie grausam diese Welt doch war. So grausam, dass sie selbst die scheinbar härtsten Kerle zum Weinen brachte.

»Ich bin Schuld. Ich habe versucht, uns zu befreien und mit meiner Holo-Watch, die Tim mir nicht abgenommen hat, Richard angerufen, um ihm die Wahrheit zu erzählen. Aber Tim hat es bemerkt, obwohl er im Zimmer nebenan war. Und als wir gerade aufstehen wollten, da ... auf dem Tisch lag noch immer das Messer. Er hat es da liegen lassen und dann hat er ...«

Trotz seinem wirren Gerede, das seinen Ursprung in dieser traumatischen Erfahrung und dem Schock haben musste, verstand ich, was er meinte und nickte verständnisvoll. »Es ist nicht deine Schuld«, sagte ich, obwohl ich mir da insgeheim nur bedingt sicher war. Natürlich hatte er sich und vor allem Sophie nur helfen wollen, jedoch hätte ich mir das Ganze vorher gut überlegt, anstatt vorschnelle Entscheidungen zu treffen. Doch auch war mir bewusst, dass ich dies jetzt nicht zu ihm sagen konnte. Es würde ihn vollkommen fertig machen und ihn in seinen Schuldgefühlen nur bestätigen. Und das brachte ich nicht übers Herz.

»Aber wieso hat er das getan?«, fragte ich und starrte noch immer Sophie unentwegt an. Ich konnte es nicht glauben; wollte nicht wahrhaben, was soeben geschehen war. Denn ich wusste, dass es mir das Herz brechen würde, wenn ich es irgendwann wirklich realisierte. »Warum hat er nur sie getötet? Schließlich bist du der einzige Zeuge. Und du weißt die Wahrheit. Außerdem hat er ohne Sophie kein Druckmittel mehr gegen dich. Was würde dich davon abhalten, allen die Wahrheit zu erzählen?«

Robert schüttelte nur kraftlos den Kopf. »Tim ist längst über alle Berge, niemand wird ihm etwas antun. Und denkst du wirklich, sie werden uns beiden Glauben schenken?« Zur Untermalung seiner Worte hob er seine Hände. Sie waren voller Blut. Als hätte er sie in dunkelrote Farbe getunkt.

In dem Moment erklangen eilige Schritte im Flur, die urplötzlich stehenblieben. Ohne hinzusehen, wusste ich, dass die Person vor der Küche stehengeblieben war. Ich spürte ihre Präsenz wie Nadelstiche in meinem Rücken und ich hatte schon so eine Ahnung, wer uns still und heimlich beobachtete. Auch Robert wich die Farbe aus dem Gesicht, er wagte sich nicht zu bewegen und schien meine Vermutung zu teilen, dass Richard Wind von dem bekommen hatte, was geschehen war. Aber wie nur? Schließlich waren in den privaten Räumen und Wohnungen keine Kameras platziert worden, wenn man von Tims absah. Und diese zeigten ihre Bilder vermutlich nicht in der OMF, sondern schlimmer, bei der Regierung. Ansonsten hätten wir all dem Spuk ein Ende bereiten können, so wurde mir mit einem Mal bewusst. Wir bräuchten nur die Kameras mit den wichtigsten Bildern, und keiner würde an Roberts und meiner vollkommenen Unschuld zweifeln.

Als die Fantasie Grenzen bekamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt