Stimmen drangen an mein Bewusstsein; Licht und Schatten bewegten sich vor meinen geschlossenen Lidern. Es war warm. Aber nicht heiß. Nur warm. Da war noch immer das hohe Piepsen in meinen Ohren, doch es war bereits abgeebbt. Ein kühler Windzug strich über meine Haut. Ich spürte eine Hand in meiner und lächelte. Denn sie war nicht betäubt. Nicht wie der Rest meines Körpers.
»Sie kommt langsam zu sich.« Das war eine männliche Stimme, aber nicht die von Sam, dessen Hand ich ganz klar in meiner spürte. »Sie hat wirklich unglaublich Glück gehabt. Natürlich können Blindheit und Taubheit, die wir jetzt noch nicht untersuchen können, aufgetreten sein, doch im Großen und Ganzen wird sie schnell wieder gesund werden. Atembeschwerden scheint sie jedenfalls keine zu haben, wie es sonst häufig bei Explosionsverletzungen der Fall ist. Sobald hier wieder einigermaßen Normalität eingekehrt ist, werden wir sie ins Londoner Krankenhaus bringen.« Bei dem Mann schien es sich um einen Arzt zu handeln. »Falls es denn auf dieser Welt jemals wieder so etwas wie Normalität geben wird.«
Langsam wurde ich wacher, das Licht vor meinen Lidern zunehmend heller.
»Sam?« Meine Stimme klang wie Sandpapier und war noch dazu so leise, dass ich sie selbst kaum hörte. Niemand reagierte, ich musste lauter sprechen. Aber wie? »Sam.« Ich verzog das Gesicht, denn mein Hals brannte und auch bei meiner Grimasse hatte ich das Gefühl, meine Haut würde jeden Moment Risse bekommen und aufplatzen. Dafür hatte es diesmal geklappt, mir Verhör zu verschaffen.
»Luna?« Sams Stimme klang besorgt und erleichtert zugleich. Er drückte meine Hand fester, als befürchtete er, ich könnte einfach davon laufen oder wieder bewusstlos werden.
Ich formte mit den Lippen ein schwaches »Ja«, um meinen Hals zu schonen.
Ihm entwich ein erleichterter Laut. Es war eine Mischung aus Seufzen und Schluchzen. »Luna«, flüsterte er wieder und wieder und trotz meines noch immer etwas weggetretenen Zustands fragte ich mich unwillkürlich, ob ich mich jemals daran gewöhnen würde, dass mein Name aus seinem Mund wie etwas Wunderschönes klang.
Jemals. Das Wort ließ bei mir alle Alarmglocken schrillen. Was war geschehen? Was war hier um uns herum los? Was passierte jetzt? Mit mir, mit Sam, mit der ganzen Welt?
Schlagartig riss ich die Augen auf und versuchte mich aufzurichten, sackte jedoch vor Schmerz sofort wieder in mich zusammen. Ich konnte nicht einmal benennen, welche Körperteile wehtaten. Deshalb tippte ich auf alle.
»Hey, langsam«, sagte Sam sanft und positionierte mich behutsam wieder auf dem weichen Untergrund, auf dem ich lag. Sein Haar war verstrubbelt und voller Staub; die Tränen, die langsam über seine Wangen liefen, hinterließen dort eine braune, schmutzige Spur. Dennoch wirkte er erleichtert, wenn auch vollends aufgelöst.
»Du hast dir bei der Explosion einige Verletzungen zugezogen«, klärte er mich auf und begann sanft mit seinem Daumen meinen Handrücken zu streicheln. Mit dem Zeigefinger seiner anderen Hand beschrieb er in der Luft einen Kreis über meinem rechten Arm. »Du hast ihn dir gebrochen. Und am Rücken hast du einige Brandverletzungen, allerdings ist es laut dem Arzt nichts Wildes.« Seine Miene sagte mir, dass er sich dennoch Sorgen machte. Als ich vorsichtig den Kopf wandte, bemerkte ich, dass der Doktor verschwunden war. Ich schien auf der Rückbank eines Autos zu liegen, mit dem Kopf an der Fahrerseite. Sam saß falsch herum auf dem Beifahrersitz, den er etwas nach hinten gekippt hatte, um meine Hand besser halten zu können. Nun rutschte er noch etwas näher an mich heran, sodass er fast auf der Mittelkonsole saß. »Kannst du dich noch erinnern, was passiert ist?«
Ich wagte einen Versuch, die Stirn zu runzeln, scheiterte jedoch vergeblich. Mein Gesicht war so trocken, als hätte ich Schuppenflechte. »Ich ... da ...« Ich stockte, um meine kratzige Stimme in den Griff zu bekommen und räusperte mich, wobei ich den Schmerz geflissentlich ignorierte. »Die Explosion.« Angestrengt dachte ich weiter nach und durchforstete mein Gehirn nach allen möglichen Details der Zeit kurz bevor es schwarz um mich geworden war. Verschiedene Bilder schoben sich vor mein inneres Auge, doch sie hatten keine Ordnung, keinen roten Faden. Ich war wie ein Blinder, der längst alle Puzzleteile gefunden hatte, sie jedoch beim besten Willen nicht zusammensetzen konnte. »Da war das helle Licht und ... und die Fantasie ... das war unsichtbar ... und da war der Gang. Und die Explosion. Und das helle Licht. Und die Fantasie. Die Fantasie. Die Fantasie war da. Und die Explosion.« Immer wieder wiederholte ich die gleichen Worte, in der Hoffnung, sie könnten mir Antworten auf meine Fragen geben und meiner Verwirrung ein Ende bereiten. »Und es hat wehgetan.«

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Als die Fantasie Grenzen bekam
Fantascienza2184: Luna lebt in einer Welt, in der es keine Fantasie mehr gibt. Von der Regierung wird sie den Menschen bereits bei ihrer Geburt entzogen. Allein den Umständen ihrer Geburt hat Luna zu verdanken, dass sie eine der Einzigen ist, die ihre Fantasie...