30.Kapitel

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Der Einbruch findet mitten in der Nacht statt.

Natürlich, wann auch sonst.

Ich habe Cornel dabei und seinen Assistenten Josh. Den mag ich genauso wenig, wie Cornel selbst und bin überhaupt nicht froh, zwei Kerle dabei zu haben, die sich miteinander gut verstehen. Schnell fühle ich mich bei der ganzen Aktion wie das fünfte Rad am Wagen und Cornel nimmt mir mehr oder weniger die Leitung aus der Hand, indem er die Ansagen macht und bestimmt, wann wir was machen.

„Die Alarmanlage ist ausgeschaltet, wir können jetzt rein", sagt Cornel, nachdem uns per SMS aus der IT Abteilung gesagt wurde, dass die Kameras ausgeschaltet sind. Wir ziehen uns die Strumpfmasken über die Gesichter und steigen aus dem Wagen. Mit einem Brecheisen ist das große Tor schnell aufgehebelt und der Wagen fährt direkt vor die Tür. Weil wir wissen, dass niemand im Haus ist und die Kameras ausgeschaltet sind, erlauben wir uns das. Immerhin muss man die Gemälde dann nicht so weit schleppen. „Los, du machst die Tür auf und führst uns zu den Bildern", flüstert Cornel und stupst mich ziemlich grob. „Ja, ich mach ja schon, jetzt Stress mich bitte nicht", motze ich zurück und breche die Tür allerdings trotzdem auf.

Wir nutzen keine Taschenlampen, denn durch die hohen Fenster fällt genug Licht in den Eingangsbereich. Obwohl ich genau weiß, dass wir allein sind, schleiche ich über den glatten Fußboden und husche den langen Flur entlang, wo die ganzen Bilder hängen. „Wow, die sehen krass aus. Passen die alle in unser Auto?", fragt Josh, als er die großen Gemälde sieht und ich nicke: „Ja, das passt, ich hab das Auto ausgemessen."

„Na dann wollen wir hoffen, dass du es richtig gemessen hast", sagt Cornel trocken und macht sich daran, das erste Bild von der Wand zu nehmen. Vorsichtig schlagen wir es in einen weichen Teppich und nach und nach lehnen alle nebeneinander an der Wand neben der Eingangstür. Ich wickele gerade eine kleine Skulptur in Zeitungspapier ein, als ich Schritte höre, die aus dem Wohnzimmer kommen.

Scheiße, wir sind doch nicht allein. Ich dachte, Menzies hat den Nachtwächter auch abgezogen, doch wie es aussieht, habe ich mich wohl geirrt. Auch Cornel und Josh haben den Mann bemerkt, der sich uns nähert. „Hallo?", fragt er leise und ich drücke mich rasch in eine dunkle Ecke. Was machen wir jetzt? Ich glaube kaum, dass der Mann vom Sicherheitsdienst auch eingeweiht ist, immerhin will Menzies den Kreis der Wissenden so klein wie möglich halten. Mein Blick fällt auf Cornel und Josh, die sich mir gegenüber in einen Durchgang gedrückt haben und sich ansehen. Sie scheinen genau zu wissen, was sie tun wollen und brauchen keine Worte, um sich zu besprechen. Für mich wäre das allerdings sinnvoll, ich kann schließlich keine Gedanken lesen. Mit einer schnellen Handbewegung versuche ich, ihnen klar zu machen, dass wir jetzt bitte nichts Unüberlegtes tun sollen, doch da ist es bereits zu spät. Der Lichtkegel des Nachtwächters fällt auf mich und in dem kurzen Moment, in dem der Mann abgelenkt ist, greifen Josh und Cornel ihn hinterrücks an.

Sie sind so schnell, dass ich dem ganzen überhaupt nicht folgen kann, doch ich sehe fliegende Fäuste und höre das schmerzhafte Wimmern des Mannes, der vor meinen Augen zusammengeschlagen wird und keine Chance hat, sich zu wehren. „Lasst das, wollt ihr den Mann krankenhausreif schlagen?", zische ich und versuche, die beiden zurück zu halten, doch die beiden hören mir nicht zu. Verbissen schlagen sie auf den Mann ein, der sich bald nicht mehr wehrt und reglos am Boden liegt. Schwer atmend richten sie sich auf, sehen mich herausfordernd an, doch ich kann nur auf den Mann am Boden blicken.

Er ist bewusstlos und sieht überhaupt nicht gefährlich aus. Im Gegenteil. Es scheint, als hätten die eigentlichen Besitzer dieses Hauses einen Mann, der kurz vor dem Ruhestand ist, eingestellt, um nachts seine Runden zu drehen.

Die haben einen alten Mann zusammengeschlagen!

„Seid ihr bescheuert? Ihr könnt den Mann unmöglich so liegen lassen, der stirbt, wenn wir nichts machen", protestiere ich, doch Cornel zuckt nur mit den Schultern: „Berufsrisiko", sagt er lässig, steigt über den Körper und trägt das letzte Bild zum Eingang. Auch Josh schert sich nicht um den Mann und folgt Cornel. „Jetzt sei nicht so ne pussy. Der Alte hätte sicherlich sowieso bald das Zeitliche gesegnet", sagt er wegwerfend und beide verschwinden um die Ecke.

Sofort gehe ich neben dem Mann auf die Knie und taste nach seinem Puls. Er ist fühlbar, wenn auch sehr schwach. Ich kann ihn unmöglich liegen lassen, denke ich und bringe den Mann schnell in die stabile Seitenlage. Sobald ich die Möglichkeit dazu habe, werde ich Menzies anrufen, damit er einen Notarzt schickt. Der Mann darf auf keinen Fall die ganze Nacht hier liegen bleiben, sonst stirbt er. Mit einem genervten Blick im Gesicht taucht Cornel wieder im Flur auf. „Was ist, Styles? Willst du hier Wurzeln schlagen? Der Alte geht uns einen Scheißdreck an, also beweg deinen Arsch nach draußen und hilf uns, die Gemälde einzuladen."

Natürlich helfe ich ihm und als wir endlich wieder im Auto sitzen, habe ich ein so heftiges Schuldgefühl in mir, dass ich es kaum aushalte. Immer wieder blicke ich auf die Uhr und bin froh, dass wir an keiner Ampel halten müssen. Je schneller ich auch diesem Wagen rauskomme, desto schneller kann ich einen Arzt rufen.

Zurück bei Forsters Laden husche ich so schnell wie möglich in die Toilette, schließe mich ein und entsperre das Telefon. Nachdem ich mich vergewissert habe, dass hier keine Kameras installiert sind, schreibe ich Menzies eine knappe Nachricht:

>>Einbruch erledigt. Wachmann verprügelt. Bitte sofort Notarzt hinschicken, ich habe Angst, dass der Mann schwer verletzt ist<<

Als die SMS versendet ist, fühle ich mich schon etwas leichter, weil ich weiß, dass Menzies etwas unternimmt. Ich bin sicher, dass er die ganze Nacht auf eine Nachricht von mir gewartet hat. Als ich wieder aus der Toilette komme, finde ich Conel und Josh vor, die die Beute auspacken und sich genauer ansehen. Sie machen einen ganz zufriedenen Eindruck und stellen die Bilder dann vorsichtig hintereinander an die Wand. Forster wird sie sich dann morgen in aller Ruhe ansehen und hoffentlich zufrieden sein.

Danach schließen wir den Laden ab und machen uns alle auf den Weg nach Hause. Die beiden Männer haben kein Wort der Verabschiedung für mich übrig, sondern gehen einfach wortlos davon. Ich bleibe einen Moment stehen und sehen ihnen nach. Ein Gefühl von Erfolg, oder Zufriedenheit will sich bei mir einfach nicht einstellen, dabei sollte ich mich freuen, jetzt endlich schuldenfrei zu sein. Aber es ist viel zu viel in meinem Kopf, was diese Sache trübt. Louis kann ich nicht mehr treffen und vielleicht habe ich heute Nacht dabei zugesehen, wie ein alter Mann umgebracht wurde.

Cornel ist schlimmer, als ich gedacht hatte und das Leben eines anderen Menschen scheint ihm nicht wirklich viel wert zu sein. Ich seufze und sehe am Horizont die Sonne aufgehen, sie ist blutrot und ziehe mein Telefon aus der Tasche.

>>Ich liebe dich<< hat Louis geschrieben. Es treibt mir die Tränen in die Augen. Ich tue ihm weh, ich lüge ihn an und bald geht vielleicht noch ein Menschenleben mit auf mein Konto, weil ich mich nicht heftig genug eingemischt habe.

In den frühen Morgenstunden bin ich Zuhause angekommen und dort erhalte ich eine weitere Nachricht von Menzies:

>>Haben den Mann gefunden. Mehrere Rippen gebrochen, Prellungen und innere Blutungen. Der Mann kommt durch. Befindet sich jetzt im Krankenhaus.<<

Na immerhin, er lebt noch. Das macht mir mein Herz ein wenig leichter und als ich Zuhause ankomme ist es fünf Uhr. Ohne mich auszuziehen falle ich in mein Bett und wünsche mir nichts sehnlicher, als dass Louis da wäre, mich in den Arm nehmen würde und all meine Sorgen wie weggeblasen wären.

Doch er ist nicht da und ich muss alleine mit den dunklen Gedanken und der Schuld zurechtkommen, die mich einnehmen und mir Magenschmerzen verursachen. Was, wenn der Mann doch nicht durchkommt und vielleicht liebevoller Großvater von kleinen Kindern ist? Er sah nicht sonderlich wohlhabend aus, der Nachtwächterjob könnte ein Nebenjob sein, um sich über Wasser zu halten. Wie kann man einem Menschen so etwas antun? Mir tut die Familienangehörigen leid, die jetzt vielleicht voller Sorge am Krankenhausbett sitzen und sich fragen, wieso man ihrem Opa so weh tut. Ohne, dass ich es bemerkt habe, sind mir die Tränen gekommen und ich mache mir keine Mühe mehr, sie wegzuwischen. Das alles belastet mich mehr, als ich zugeben will und wenn ich könnte, dann würde ich jetzt das Handtuch schmeißen und aussteigen.

Aber ich kann nicht. Die Bilder sind verwanzt und wenn der Zugriff der Polizei nicht klappen sollte, dann weiß Forster genau, dass ich damit etwas zu tun habe. Wenn ich aufhören würde, würde mich das sofort verdächtig machen. Den Schutz vom MI5 brauche ich also definitiv und ich glaube nicht, dass ich den hätte, wenn ich aussteigen würde.

.-.-.-.

Hoffentlich geht es dem alten Mann gut...brutal wie Cornel und Josh drauf sind.

Bitte vergesst das Voten nicht;)
Liebe Grüße

Thin Ice • Buch II (Two Hearts Reihe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt