Wir fahren pünktlich um 19 Uhr durch das Tor aufs Gelände und ich muss mein Erstaunen gar nicht spielen.
Das Gebäude ist überwältigend, als es zwischen hohen Bäumen auftaucht.
Ein freistehendes Haus, mit hohen Fenstern, heller Fassade und so britisch, wie es nur geht.
Der Kiesweg führt zu einem breiten Vorplatz auf dem schon einige Wagen geparkt sind, die mindestens genauso teuer aussehen, wie die Limousine in der wir gerade sitzen. Die Karossen glänzen in der untergehenden Sonne und ich kann nicht anders, als zu starren. Louis sieht gelangweilt die schön beschnittenen Büsche am Wegesrand an und steigt lustlos aus dem Wagen, als wir stehen. Er kennt den ganzen Luxus und hat kein Auge dafür übrig.
„Hey, jetzt sei doch nicht so ein Griesgram, das wird sicher viel schöner, wenn ich dabei bin", sage ich aufmunternd und schließe ihn von hinten in die Arme. Er kichert und windet sich aus meinem Griff: „Lass das, ich glaube mein Onkel findet es nicht so toll, wenn ich vor seinen Geschäftspartnern flirte."
„Wieso? Sind die alle homophob?"
„Keine Ahnung, aber das hier zwischen uns ist privat und das Essen geschäftlich, das sollte man nicht vermischen." Zum ersten Mal, seit ich Louis kenne, klingt er geschäftlich und ich muss zugeben, dass ich überrascht bin, weil ich das nicht erwartet hätte. „Willst du etwa sagen, dass du nicht mit mir flirten willst?", frage ich herausfordernd, packe ihn erneut und setze zu einem Kuss an. Er muss lachen und erwidert ihn kurz, bis sein Onkel sich räuspert und wir voneinander ablassen. „Doch natürlich will ich das...aber du kennst ja meinen Onkel." Louis flüstert, damit Mr Tomlinson ihn nicht hören kann, richtet sich dann die Krawatte und folgt dem Mann den Kiesweg entlang.
Ich halte mich ein wenig hinter den beiden und sehe mich verstohlen um, allerdings glaube ich nicht, dass jemand im Gebüsch sitzt und alles beobachtet. Allerdings befindet sich die Grundstücksgrenze ziemlich nah am Hauseingang und mit einem guten Objektiv könnte man von dort aus genug sehen.
„Harry, wo bleibst du?", ruft Louis, der schon die Treppe am Eingang hochgelaufen ist und ich beeile mich, ihnen nach zu kommen. Mr Tomlinson hat bereits auf die Klingel gedrückt und ich glaube, in seinem Blick ein wenig Nervosität zu sehen. Er kennt die Leute schließlich nicht und muss Louis heute auch etwas vorspielen. Genau wie ich.
Wie sich herausstellt, sind die Agenten alle super gebrieft. Es wird vermieden, sich an der Tür vorzustellen, damit niemand in Hörweite etwas mitbekommt. Man bittet uns herein und in der glänzenden Eingangshalle stehen bereits die ersten Kunstgegenstände herum, die ich anerkennend mustere. Alles sieht so teuer aus, dass ich mich wundere, dass ein Museum das Zeug wirklich zur Verfügung gestellt hat. Vermutlich nur, gegen eine hohe Versicherungssumme.
Wie viel Geld hinter der Aktion stecken muss, wird mir jetzt erst klar und dass alles an meinem Geschick hängt, macht den Druck nicht besser.Insgesamt sind es fünf Agenten, die alle in schicker Kleidung und ordentlich frisiert vor uns stehen. Sie sehen aus, als wären sie reiche Erben und ich bin sicher, dass sie sowohl Louis täuschen, als auch die potentiellen Beobachter draußen in den Büschen. Glücklicherweise hören die nichts von dem, was gesprochen wird, denn ein großer Mann mit Glatze stellt sich uns als Mr Gregory vor und lässt Louis im Glauben, er hätte einen Verlag und Interesse, in Zukunft mit Mr Tomlinson zusammenzuarbeiten.
Zwei Frauen, eine in etwa so alt wie ich, die andere Mitte Vierzig, bitten uns ins Esszimmer, wo bereits ein großer Tisch gedeckt ist. „Wir haben keine Sitzordnung, setzt euch, wo auch immer ihr wollt", sagt die jüngere Frau und wir setzen uns ans Kopfende. Ich senke den Blick auf das teure Geschirr und das viele Besteck.
Zu sagen, ich wäre überfordert, wäre übertrieben. Ich habe keine Ahnung, womit ich gleich beim Essen anfangen soll. „Louis", flüstere ich und nicke zum Besteck hin. „Womit fängt man an?"
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Thin Ice • Buch II (Two Hearts Reihe)
FanficFortsetzung von 9-2-9 [Teil 1 muss gelesen werden, sonst ist das Verständnis hier ein wenig eingeschränkt] Dünnes Eis Das ist es, worauf sich Harry bewegt, als er nach seiner Festnahme zurück nach London kommt. Forster hat ihn im Blick und seine näc...