1 / Rettung

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Gegenwart

Nun war es soweit. Ich hab es endlich geschafft. Alle Umzugskartons sind ausgepackt, alle Möbel waren da und alles war an seinem Platz. Die Wohnung war klein, mitten in der Innenstadt von Melbourne, Australien, und in der Nähe der Universität, an der ich in einem Monat anfangen werde, Jura zu studieren. Mit einem strahlendem Lächeln im Gesicht warf ich den letzen Umzugskarton in die Ecke.

Cécile, die fast vom Karton getroffen worden war, miaute neben mir auf und erkundete mit ihren 24/7 mürrischem Gesicht die neue Wohnung. "Cécile, ich hab es endlich geschafft. Ich bin 20, bald Studentin und lebe in der Stadt meiner Träume", lachte ich und stolperte fast über die kleine Treppenstufe im Flur. Cécile sah mich verstört an und miaute wieder.

Mein Handy fing an zu klingeln. Vor Schreck lief Cécile weg, während ich abnahm und auf Lautsprecher drückte. "Paaaris, wie läuft's in Australien? Hast du schon Kängurus oder heiße Surferboys gesehen ?", schrie meine beste Freundin Ally, sodass ich dachte mein Trommelfell würde gleich platzten. Schnell schaltete ich den Lautsprecher aus.

Ich lachte auf. Das war so typisch für sie gleich loszureden, als hätte ihr ein Arzt zuvor gesagt, dass sie nur noch fünf Minuten zu leben hatte.

"Nein, ich geh erst gleich Melbourne erkunden, hab im Internet von einem geheimnisvollem Strand gelesen, den ich sehen wollte. Und noch was Ally: Du musst nicht schreien, ich höre dich schon gut genug", lachte ich, während ich mich auf meine gemütliche Couch im Wohnzimmer setzte.

Es roch noch immer nach Wandfarbe, da ich noch gestern die Wände im Wohnzimmer in einem wunderschönem hellgrau gestrichen hatte.

Tief nahm ich Luft, da ich solche Gerüche mochte. Es fing schon in meiner Kindheit an, dass ich zum Beispiel den Benzingeruch an Tankstellen liebte, während andere mich dabei komisch angestarrt hatten, weil ich am Benzinschlauch schnupperte. Dann ging es weiter, dass ich immer meinen schwarzen Edding unter die Nase hielt und den Geruch inhalierte, zum Leidwesen meiner Mutter, die mich immer schimpfte, da sie dachte ich könnte davon high werden.

"Ich vermisse dich Paris", die Stimmung kippte, Heimweh machte sich in meiner Brust breit.  "Ich dich auch, Ally, ich dich auch und ich verspreche, dass ich euch besuchen werde", flüsterte ich traurig, während ich das leise Schluchzen von Ally schon übers Handy hören konnte.

Sie war schon immer nah am Wasser gebaut. Am Anfang unserer Freundschaft hatte es genervt, dass sie so emotional war, sodass sie nie ihre Tränen zurückhalten konnte und auch an öffentlichen Plätzen wie im Kino losheulte. Nach einer Zeit hab ich mich dann aber daran gewöhnt, dass sie ein sehr sensibles und emotionales Wesen ist und auch sie akzeptiert die schlechten und nervigen Seiten von mir, denn das machte ja eine gute Freundschaft aus.
Akzeptanz.

"Ach, Ally bitte weine nicht. Du bringst mich auch gleich zum flennen"

"Oh nein, ich verderbe immer die Stimmung. Tut mir leid, Paris. Wir alle wissen, wie sehr du dich auf Australien gefreut hast. Und jetzt geh diesen Strand erkunden. Wir lieben dich", ratterte sie herunter und legte auf, bevor ich irgendeine Chance hatte ihr zurückzuantworten. "Ich hab euch auch lieb", seufzte ich leise und zog mir meine Schuhe an.

~~~

Ich war allein. Kein Mensch war weit und breit zu sehen und ich verstand nicht, warum keiner diese wunderschöne Natur besucht.

Weißer Sandstrand unter meinen Füßen, hinter mir ragten hohe Klippen, die noch größere Schatten warfen, und vor mir das große weite Meer.

Die Wellen schlugen rhythmisch gegen das Land und kehrten zurück ins Meer. Immer wieder, wie ein Zyklus. Die grelle Sonne am Horizont erleuchtete die Umgebung, der leichte Wind wehte durch meine Haare. Der Sand unter meinen Füßen kitzelte.

 Mᴀ Cʜᴇ́ʀɪᴇ  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt