Kapitel 1

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Noch während das Horn ertönte, spannte Naira ihren Bogen und schoss einen Pfeil von der Sehne. Ihr Pferd, Valavar, wieherte aufgeregt und schoss nach vorne.
Der Ork, auf den die junge Frau gezielt hatte, fiel getroffen von seinem Warg. Dieser sprang daraufhin das Pferd an und versuchte die Reiterin aus dem Sattel zu ziehen. Naira wehrte sich und erschlug ihn mit dem Schwert.
Wenig später lagen auf dem Feld Orks und Warge verstreut.
"Gut gemacht, Naira", lobte Herr Elrond die Elbenfrau.
"Ich danke Euch, dass Ihr mir die Möglichkeit gegeben habt, Euch und Eure Elben auf die Jagd zu begleiten", bedankte sich Naira.
Elrond neigte respektvoll den Kopf, bevor er seine Aufmerksamkeit auf einen seiner Elben richtete, der ihm das Schwert eines Orks reichte.
Naira glitt aus dem Sattel und untersuchte einen Ork auf Hinweise auf den Befehlsgeber.
"Es ist sinnlos", sprach ein Elb sie an. "Sie tragen kein Zeichen."
"Aber sie müssen doch von jemandem ihre Befehle bekommen", widersprach Naira ungläubig. "Warum sonst würden sie sich so weit in diese Lande vorwagen?"
"Dies ist eine berechtigte Frage", bestätigte Elrond, der sich aus dem Sattel herunterbeugte. "Doch darüber werden wir uns Gedanken machen, wenn wir nach Imladris zurückgekehrt sind und zu Abend gegessen haben. Du wirst uns doch Gesellschaft leisten, nicht wahr?"
Naira nahm die Einladung dankend an und schwang sich wieder auf Valavars Rücken.

Elrond ließ das Horn blasen, um seine Rückkehr anzukündigen.
Naira verdrehte in Gedanken die Augen.
Natürlich war der Elb der Herr von Imladris, aber ihrer Meinung nach, musste er wirklich kein Aufhebens um seine Rückkehr machen. Er war schließlich nur wenige Stunden abwesend gewesen.
Schon von Weitem konnte sie eine kleine Truppe erkennen, die sich im Hof versammelt hatte.
Für Elben waren sie zu klein, weshalb sie sich sicher war, dass es sich nicht um ein Empfangskomitee handelte.
Eine Person stach jedoch aus dem Haufen kleiner Leute heraus: Dieser Jemand hatte lange, graue Haare und trug einen spitzen, grauen Hut und eine lange, graue Robe.
"Gandalf...", murmelte sie erfreut.
Sie drehte sich zu Elrond und eröffnete: "Herr Elrond, Mithrandir Gandalf ist hier."
Elrond nickte nur und lächelte ob der Freude, die seine junge Schutzbefohlene empfand.
Für eine Elbenfrau war Naira noch sehr jung und sehr klein. Mit fast 370 Jahren zählte sie zu einer der jüngsten Elben in ganz Mittelerde. Ihre geringe Größe ließ sich darauf zurückführen, dass sie nicht nur elbische, sondern auch zwergische Wurzeln in sich trug. Ihre Mutter war eine Elbenfrau aus dem Waldlandreich und ihr Vater ein Zwerg aus dem Erebor gewesen. Doch beide Elternteile hatte sie verloren, noch bevor der Drache Smaug den Erebor an sich gerissen hatte: Ihren Vater durch das Alter und einige Jahre später ihre Mutter durch ein gebrochenes Herz.
Nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie die meiste Zeit in der Heimat ihres Vaters verbracht und war nur ins Waldlandreich zurückgekehrt, wenn König Thranduil, der ein guter Freund ihrer Mutter gewesen war, auf ihre Anwesenheit bestanden hatte. Doch nach dem Angriff des Drachen auf den Erebor, bei dem sich der König geweigert hatte, den Zwergen zu helfen, war sie weder im Waldlandreich noch im Erebor gewesen. Sie befand sich nun lieber in Imladris oder in Lothlórien oder anderen Ländern Mittelerdes.

Kaum hatte die kleine Truppe im Hof die Pferde der Elben auf sich zu galoppieren sehen, da hatte sie sich auch schon zur Verteidigung bereit gemacht.
Naira kicherte, ob der verängstigten und doch entschlossenen Mienen der Versammelten, die sie nun als Zwerge erkannte.
Im Vorbeireiten erkannte sie drei Gesichter, von denen sie bei zumindest einem gehofft hatte, es nie wiedersehen zu müssen. 
Die Elbenfrau schüttelte den Kopf, um die Gedanken an die Vergangenheit loszuwerden und sprang aus dem Sattel, während die anderen Elben, ausgenommen Elrond, die Zwerge einkreisten.
Mit einem fröhlichen "Gandalf!" warf sie sich in die Arme des Zauberers.
Gandalf erwiderte die Umarmung lachend.
Herr Elrond begrüßte den Gast zivilisierter und von dem Rücken seines Pferdes aus: "Gandalf."
Naira löste sich von Gandalf und widmete sich Valavar, die stechenden Blicke der Zwerge in ihrem Rücken ignorierend.
"Herr Elrond", antwortete Gandalf höflich. "Mellon nín. Mo evínedh?"
Während der Elbenfürst aus dem Sattel stieg, antwortete er: "Farannem 'lamoth i udul o charad. Dagannem rim na Iant Vedui."
Elrond umarmte Gandalf kurz, während Naira unauffällig die Zwerge beäugte.
"Es ist eigenartig, dass Orks sich so nah an unsere Grenzen heranwagen", meinte Elrond. "Etwas oder jemand muss sie hergelockt haben."
"Das könnten wir gewesen sein", antwortete Gandalf und wies mit einem Blick auf die Gemeinschaft.
Diese Aussage lenkte Nairas Aufmerksamkeit von den Zwergen zurück zu Gandalf.
"Wieso sollten die Orks hinter euch her sein?", fragte sie neugierig.
Gandalf deutete nur mit einem Kopfnicken auf einen der Zwerge, der sich in diesem Augenblick vor die anderen stellte.
Die Augen des Halbbluts weiteten sich.
Hatte sie vorher noch gehofft, sich geirrt zu haben, so zeigte sich nun, dass sie dies nicht der Fall gewesen war: Einer der Zwerge war tatsächlich der, für den sie ihn gehalten hatte.
Scheinbar meinten es die Valar an diesem Tag nicht sonderlich gut mit ihr.
Erinnerungen an den Tag, an dem die Freundschaft zwischen ihr und dem Zwerg zerbrach, flammten vor ihren Augen auf: Der enttäuschte, betrogene Ausdruck in den Augen des Prinzen, als sie sich abwandte und ihrem König folgte.
Und so grimmig wie der Zwerg schaute, war er ganz und gar nicht begeistert davon, dass er sich in der Gesellschaft von Elben befand.
Naira sah ein, warum er Thranduil nicht ausstehen konnte, doch, dass sein Hass sich auf alle Elben bezog, konnte sie nicht nachvollziehen, wo doch nur ein Elbenvolk 'Verrat' begangen und sich geweigert hatte zu helfen.
"Willkommen Thorin, Sohn von Thrain", hieß Elrond den Zwerg willkommen.
Naira hielt die Luft an. 
"Ich glaube nicht, dass wir uns je begegnet sind", antwortete der König unter dem Berg kühl.
Naira stellte sich neben Elrond, nachdem sie Valavar an einen der anderen Elben übergeben hatte.
"Ihr habt die Haltung Eures Großvaters", meinte Elrond. "Ich kannte Thror, als er unter dem Berg herrschte."
"Wirklich?" Thorin schien nicht überzeugt. "Von Euch hat er nie gesprochen."
Sein Ton war um einiges kälter geworden, nachdem Naira sich neben den Elbenfürsten gestellt hatte und diese spürte, dass er sie erkannt hatte.
"Nartho i noer, toltho i viruvor. Boe i annam vann a nethail vin", sagte Elrond langsam.
"Bin schon unterwegs!", rief Naira, die auf gar keinen Fall weiter in der Gesellschaft der Zwerge verweilen wollte, und sprintete die Treppen hinauf.
Das Letzte, was sie hörte, bevor sie um die Ecke verschwand, war, dass einer der Zwerge aufbrausend fragte, ob das eine Beleidigung gewesen sei und, dass Gandalf die Zwerge beschwichtigte.

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Übersetzungen
Mellon nîn. Mo evínedh? - Mein Freund. Wo seid Ihr gewesen?
Farannem 'lamoth i udul o charad. Dagannem rim na Iant Vedui. - Wir haben Orks gejagt, die aus dem Süden gekommen sind. Wir haben viele nahe des Verborgenen Passes getötet.
Nartho i noer, toltho i viruvor. Boe i annam vann a nethail vin. Entfacht das Feuer, holt den Wein. Wir müssen unseren Gästen Essen bringen.

Naira - Flammenherz (Der Hobbit)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt