Kapitel 13

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"So ist die Natur des Bösen", sprach Thranduil gewichtig. "Dort draußen, in der enormen Unwissenheit der Welt, schwärt es und breitet sich aus: ein Schatten, der in der Dunkelheit wächst... Eine schlaflose Bosheit, so schwarz wie die aufziehende Finsternis der Nacht... So war es seit jeher... So wird es immer sein..."
Naira befand sich mit Legolas, Tauriel und Thranduil im Thronsaal, und sah bei der Verhörung des Orks durch den Elbenkönig zu. Besagter Ork kniete auf dem Boden, während der Prinz ihm von hinten einen Dolch an die Kehle hielt.
Thranduil wanderte um die Beiden herum und leierte einen Monolog herunter.
Tauriel und Naira standen neben den Stufen des Throns und betrachteten den Ork voller Abscheu.
Naira wusste nicht, was der König sich davon versprach, einen elend langen Vortrag zu halten. Der Ork würde sich sicher nicht davon beeindrucken lassen, dass ihm die Natur des Bösen bekannt war. 
"Mit der Zeit kommen alle schlechten Dinge zum Vorschein", schloss Thranduil seinen Text.
Sein Sohn übernahm.
"Ihr habt eine Gemeinschaft von dreizehn Zwergen verfolgt", stellte er fest. "Warum?"
"Keine dreizehn", antwortete der Ork. "Nicht mehr."
Nairas Augen weiteten sich.
"Was meinst du damit?", wollte sie wissen.
"Der Junge, der schwarzhaarige Bogenschütze, unser Morgulpfeil hat ihn getroffen."
Mit jedem Wort, das das Scheusal von sich gab, wurden Nairas Augen größer, wie auch die Angst um Kili.
"Das Gift ist in seinem Blut", zischte der Ork weiter. "Schon bald erstickt er daran."
Tauriel, die ebenfalls begann, um den Zwerg zu fürchten und Nairas Angst deutlich spürte, befahl: "Beantworte die Frage, Scheusal."
In ihrer Stimme war so viel Abscheu, dass Naira sich wunderte, dass sie den Ork noch nicht erledigt hatte. Andererseits konnte sie sich auch zusammenreißen. Das bedeutete jedoch nicht, dass sie nicht jederzeit bereit war, den Ork zu grillen.
Der Ork antwortete etwas in schwarzer Sprache. Naira verstand es nicht, was vielleicht auch besser war, denn es war Grund genug für Tauriel, ihren Dolch zu ziehen. Die Elbenfrau war nicht einfach aus der Ruhe zu bringen - zumindest, wenn man die Impulsivität der Waldelben bedachte - wenn sie also schon kurz davor war, aus der Haut zu fahren, läge er bei dem Halbblut bereits, extra knusprig zubereitet, auf dem Boden.
Angesichts Tauriels offensichtlicher Verärgerung und der Art, wie der Ork über Kilis drohenden Tod gesprochen hatte, ballte Naira ihre Fäuste, die ein wenig zu rauchen begannen.
"Ich würde sie lieber nicht verärgern", empfahl Legolas kalt und mit einem Hauch Genugtuung in der Stimme.
"Du tötest gern, Ork?", fragte Naira gefährlich ruhig. "Dir gefällt der Tod?"
Bevor sie weitersprechen konnte, schnellte ihre Freundin nach vorne, während sie keifte: "Dann lass mich ihn dir schenken!"
Ihr Dolch war nur wenige Zentimeter von der Kehle des Orks entfernt, als Thranduil sie zurückhielt.
"Farn!", kommandierte er. "Tauriel, ego! Gwao hi!"
Legolas und Tauriel wechselten einen Blick. Dann stand die Elbenfrau auf, steckte ihren Dolch weg und verließ den Thronsaal.
"Aran nín", meldete Naira sich mit einem Blick auf ihre Hände, an denen schon kleine Flammen züngelten. "Bitte gebt mir die Erlaubnis, mich ebenfalls zu entfernen. Ich fürchte, ich werde mich nicht zügeln können, wenn ich noch ein Wort aus dem Schandmaul dieser widerwärtigen Kreatur hören muss."
Thranduil nickte und das Halbblut folgte Tauriel, jedoch nicht, ohne von dem Ork verhöhnt zu werden. Ein schmerzerfülltes, erbärmliches Quietschen ließ jedoch darauf schließen, dass Thranduil und/oder Legolas ihm dafür eine Abreibung verpasst hatten.

Naira machte sich auf die Suche Elros.
Sie fand ihn am Tor. Er hatte wieder einmal die Wachmannschaft übernommen.
Sie setzte sich auf die Brücke und ließ die Beine über dem Wasser baumeln.
Der Elb setzte sich neben sie.
Eine Weile blieb es still zwischen den beiden Freunden.
Dann öffnete Elros den Mund.
"Hast du ihnen geholfen?", fragte er.
Naira wusste genau, wovon er sprach, doch sie gab sich verständnislos.
"Was meinst du?", entgegnete sie also.
"Als die Zwerge entkamen. Hast du ihnen geholfen?", wiederholte Elros.
"Wieso würdest du das denken?", fragte sie gespielt verletzt.
"Weil du meine Freundin bist, Naira", antwortete er ernst. "Ich weiß um deine Loyalität zu deinen Freunden und deine Einstellung zum Alkohol. Glaub ja nicht, ich hätte nicht gesehen, dass du mir deinen Wein untergejubelt hast. Mal ganz abgesehen von der Vorstellung, die du gabst. Galion kennt dich kaum, deshalb war er leicht zu täuschen, doch ich hätte sie dir nicht einmal völlig betrunken abgenommen."
Naira schaute auf ihre Füße. Es war so viel Zeit vergangen, seitdem sie sich zum letzten Mal gesehen hatten, dass sie gehofft hatte, er würde glauben, sie habe sich verändert und ihre Schau deshalb nicht hinterfragen.
"Wieso hast du nichts gesagt?", fragte sie leise.
Der Elb sagte einen Moment lang gar nichts und starrte nur auf den Fluss, der unter ihnen dahinfloss.
"Ich hoffte...", begann er schließlich stockend. "Ich hoffte, es wäre die Wahrheit und, du würdest deine Zeit mit den Zwergen als liebe Erinnerung behalten, aber ein neues Kapitel aufschlagen wollen."
Naira sah ihn an.
"Weshalb?", fragte sie flüsternd.
In Elros' Blick lag eine triefe Traurigkeit, als er den ihren erwiderte.
"Du kennst den Grund", antwortete er.
Das Halbblut erstarrte. Sollte Tauriel am Ende recht gehabt haben? Sah Elros in ihr tatsächlich mehr als eine Freundin?
Wenn es so darüber nachdachte, war es eigentlich schon immer ziemlich offensichtlich gewesen. Wie hatte es nur so blind sein können?
"Ich habe eine Idee, doch ich bete, dass ich falsch liege", meinte es leise.
"Warum?", wollte ihr Freund wissen.
"Weil ich es nicht erwidern kann..."
Elros lächelte traurig.
"Ich weiß", behauptete er sanft. "Ich habe es immer gewusst. Von dem Moment an, da ich dich zum ersten Mal sah, wusste ich, dass dein Herz eines Tages einem anderen gehören würde."
"Es tut mir leid", murmelte Naira.
Er schüttelte nur den Kopf.
"Das muss es nicht. Wir suchen uns nicht aus, in wen wir uns verlieben", erklärte er.
Nach einem Moment der Stille, kam er auf das ursprüngliche Thema zurück: "Du hast meine Frage nicht beantwortet... Hast du den Zwergen bei ihrer Flucht geholfen?"
Naira blieb still.
"Naira", drängte er sie. "Galion und ich sind eingeschlafen..."
Noch während er das sagte, kam ihm die Erkenntnis: "Du wusstest, dass wir das niemals zugeben würden..."
Naira sagte noch immer nichts. Sie schaute ihn nur an. Doch ihre Augen sagten ihm mehr als genug.
"Wirst du es dem König sagen?", fragte sie leise, als fürchtete sie, dass er sie hören könnte.
Der Glaube, er könne sie verraten, lastete schwer auf ihr. Er war einer ihrer besten Freunde, sie sollte mehr Vertrauen in ihn haben. Doch sie wusste, Thranduil würde sie beide bestrafen, fände er heraus, dass Elros ihm die Wahrheit verschwiegen hatte, und das wollte sie auf keinen Fall. Wenn jemand eine Bestrafung verdient hätte, dann war sie es, nicht er.
"Denkst du so schlecht von mir?"
Enttäuschung, pure Enttäuschung, lag in des Elben Ausdruck und Stimme.
"Ich meine nur...", versuchte Naira sich zu verteidigen. "Loyalität dem König gegenüber ist wichtiger als alles andere..."
"Das ist nicht meine Meinung", erklärte er entschieden. "Freundschaft und Liebe sind wichtiger als die Loyalität zum König. Hättest du mich gebeten, hätte ich dir sogar geholfen, die Zwerge zu befreien."
Damit hatte Naira nicht gerechnet.
"Der König würde sagen, du hättest die falsche Meinung", erwiderte sie und lächelte dankbar.
"Verzeih mir", bat sie nach einem Augenblick der Stille. "Ich hätte nicht an dir zweifeln dürfen."
Mit einem sanften Lächeln entgegnete Elros: "Ú-moe edaved."
Bevor einer der beiden noch etwas sagen konnte, hörten sie Legolas von der anderen Seite der Tore: "Holo in ennyn! Tiro i defnin hain na ganed en-Aran!"
Die Freunde erhoben sich.
"Man os Tauriel?", fragte der Elb.
"Man os sen?", wollte Naira alarmiert wissen.
"Edevín eb enedhor na gû a megil. En ú-nandollen", erklärte der braunhaarige Elb.
Legolas trat ihnen entgegen.
Elros wies den Weg, den Tauriel genommen hatte.
"Du weißt, dass ich gehen muss", sprach Naira leise an Elros gewandt, nachdem Legolas an ihnen vorbeigelaufen und verschwunden war.
Dieser nickte.
"Nicht nur wegen Tauriel. Auch, weil ich Kili retten muss."
Erneutes Nicken.
"Komm nur heil zurück", forderte er sanft.
Naira lächelte.
"Du weißt, dass ich dir das nicht versprechen kann..."
Der Elb umarmte sie.
"Geh", befahl er ihr lächelnd.
Und Naira hängte sich an Legolas' Fersen.

Das Halbblut folgte des Prinzen Spuren, bis es Stimmen hörte.
"Ingannen le Orch", erklärte eine weibliche Stimme.
Tauriel, dachte Naira und lief schneller.
"Cí Orch im, dangen le", entgegnete eine männliche Stimme.
Und das muss Legolas sein...
"Tauriel, du kannst nicht allein dreißig Orks jagen", behauptete der Prinz.
"Aber ich bin doch nicht allein", entgegnete die Angesprochene.
Legolas lächelte.
"Du wusstest, ich würde kommen."
"Und ich bin auch noch da!", verkündete Naira fröhlich und trat zu ihren Freunden.
Diese drehten sich zu ihr um und verbissen sich ein Grinsen.
Dann wandte sich der Elb wieder Tauriel zu.
"Der König ist zornig, Tauriel", meinte er ernst. "Seit sechshundert Jahren schützt dich mein Vater, bevorzugt er dich. Und du widersetzt sich seinen Befehlen. Du hast sein Vertrauen missachtet. Dandolo na nin! E gohenatha."
"Ú-'ohenathon", widersprach die Rothaarige. "Cí dadwenithon, ú-'ohenathon im."
Naira betrachtete die Situation lediglich. Es war selten, dass sie sich nicht in eine Unterhaltung einmischte, doch dies war etwas, was die beiden unter sich klären mussten. 
"Der König hat noch nie erlaubt, dass Orks in unsere Lande kommen. Doch nun lässt er sie über unsere Grenze und unsere Gefangenen töten", sprach Tauriel weiter.
"Noch ist Kili nicht tot", unterbrach Naira sie. "Aber abgesehen davon hast du recht."
"Es ist nicht unser Kampf", entgegnete Legolas heftig.
"Doch", schoss Naira im selben Tonfall zurück. "Doch, genau das ist es, Legolas. Es wird hier nicht enden: Mit jedem Sieg wird das Böse stärker, das weißt du genauso gut wie ich."
"Wenn es nach deinem Vater geht, tun wir gar nichts", fügte Tauriel hinzu. "Wir verstecken uns hinter unseren Mauern, führen ein Leben fern vom Licht und lassen die Dunkelheit siegen."
Legolas sah seine Freundinnen mit einer Mischung aus Entsetzen und Sturheit an.
"Sind wir nicht Teil dieser Welt?", fragte Tauriel.
"Sag mir, mellon", forderte Naira. "Wann ließen wir zu, dass das Böse stärker wird als wir?"

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Übersetzungen
Farn! Tauriel, ego! Gwao hi! - Genug! Tauriel, hinfort! Geh jetzt."
Ú-moe edaved. - Es gibt nichts zu verzeihen.
Holo in ennyn! Tiro i defnin hain na ganed en-Aran! - Schließt die Tore! Haltet sie auf Befehl des Königs verschlossen!
Man os Tauriel? - Was ist mit Tauriel?
Man os sen? - Was ist mit ihr?
Edevín eb enedhor na gû a megil. En ú-nandollen. - Sie ist in den Wald gegangen, mit Bogen und Klinge. Sie ist nicht zurückgekehrt.
Ingannen le Orch. - Ich hielt dich für einen Ork.
 Cí Orch im, dangen le. - Wäre ich ein Ork, wärst du tot.
Dandolo na nin! E gohenatha. - Komm zurück mit mir. Er wird dir vergeben.
Ú-'ohenathon. Cí dadwenithon, ú-'ohenathon im. - Das werde ich aber nicht. Wenn ich zurückgehe, werde ich mir niemals vergeben.
mellon - Freund

Naira - Flammenherz (Der Hobbit)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt