Kapitel 14

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Legolas war absolut nicht begeistert davon, einigen Orks hinterher jagen zu müssen, doch er wusste, dass Naira und Tauriel recht hatten. Und so ertappte er sich dabei, wie er den beiden Frauen folgte.
Naira legte ein, für ihre Größe, recht ordentliches Tempo vor. Ihre Angst um Kili, der, genau wie Fili, wie ein Bruder für sie geworden war, trieb sie voran.
"Tolo!", trieb sie ihre Freunde an, wenn diese auch nur einen Schritt hinter ihr liefen.
Legolas und Tauriel tauschten einen Blick und schlossen wieder auf.
"Sag mal, Naira", meinte Legolas schließlich, damit sie auf andere Gedanken kam. "Was weißt du über deine Fähigkeiten?"
Die Angesprochene wunderte sich über die Frage, antwortete ihm aber trotzdem: "Nur, dass ich das Feuer beherrschen kann. Wieso fragst du?"
Der Prinz erwiderte nichts.
"Wann sind sie zum ersten Mal aufgetreten?", wollte Tauriel wissen.
"Als die Zwerge und ich im Nebelgebirge von Orks gefangen genommen wurden und wir beinah umgebracht worden wären."
Naira dachte an die Situation vor einigen Monaten zurück. Als plötzlich ein helles, rotes Licht aus ihr hervorgebrochen und sie von Flammen umgeben gewesen war, die sie nicht verbrannten.
"Wer hat dir beigebracht, sie zu kontrollieren?"
"Niemand", gab sie zu, dann korrigierte sie sich: "Gut, Gandalf hat mir gesagt, was ich tun soll, um es zu nutzen, aber alles andere kam wie von selbst."
Tauriel und Legolas tauschten bedeutungsvolle Blicke.
Naira bekam von alledem nichts mit, denn sie hatte in der Ferne den Erebor entdeckt.
Erinnerungen an vergangene Zeiten fluteten ihren Kopf. Schöne Erinnerungen, als sie und Thorin in den Gängen des Berges Fangen gespielt und dabei einige hohe Würdenträger des Königreiches und anderer Länder umgerannt hatten. Hinterher hatten sie sich einiges von Thror und Nairas Mutter anhören können, aber das war es wert gewesen.
"Naira? Kommst du?", fragte Legolas amüsiert.
Zuerst hatte sie sie zur Eile angetrieben und jetzt verlor sie selbst an Tempo, bis sie stehen blieb.
Naira selbst hatte dies nicht einmal bemerkt. Als Legolas sie rief, schüttelte sie den Kopf, um alle Gedanken an die Vergangenheit zu verscheuchen.
Sie hatte nicht einmal einen Schritt gemacht, da erbebte der Boden und die Augen der drei Freunde richteten sich auf den Berg.
"Sie haben den Drachen geweckt", keuchte Tauriel.
"Wir müssen weiter", drängte Naira sie.

Wenig später tauchte Esgaroth im langen See vor ihnen auf.
Etwas entfernt sahen sie Orks auf den Dächern einiger Häuser sitzen und an ihre Ohren drangen die Schreie von Menschen.
Bei der ersten Gelegenheit schwang sich Legolas an einem Balken hinauf und setzte seinen Weg auf den Dächern fort, während Naira und Tauriel die Stege sicherten.
Legolas erschoss einen Ork, der gerade den bewusstlosen Bofur erledigen wollte.
Naira sah einen Ork in der Tür eines Hauses stehen.
"Tauriel", lenkte sie die Aufmerksamkeit ihrer Freundin auf sich und deutete auf ihren Fund.
Auch Legolas hatte bemerkt, dass die Orks ein großes Interesse an diesem Heim zu hegen schienen.
Im Laufschritt bewegten sie sich hinüber.
Naira und Tauriel übernahmen die Treppe, während Legolas sich durch ein Loch im Dach fallen ließen.
Zwei weibliche Stimmen kreischten. Naira sah unter dem Tisch nach und entdeckte zwei, beinah identische, Mädchen.
Sie zog das Größere der Beiden hoch, dieses zog seine Schwester mit.
"An die Wand", befahl das Halbblut ihnen und stellte sich schützend vor sie.
Nairas Schwerter durchschnitten die Kehlen der Orks wie einen Kuchen.
Tauriel erstach die Scheusale ebenfalls fleißig, während Legolas mit seinem Bogen um sich schoss.
Bald waren alle Orks tot und die, die es nicht waren, traten den Rückzug an.
Legolas sah ihnen nach, überlegend, ob er die Verfolgung aufnehmen sollte.
Naira hatte sich in der Zwischenzeit neben Kili gehockt, der auf dem Boden lag und vor Schmerzen wie am Spieß schrie.
Jeder Versuch, ihn durch gutes Zureden zu beruhigen, scheiterte erbärmlich.
"Ihr habt sie alle getötet", meinte der Bruder der Schwestern ungläubig.
"Es kommen noch mehr", zerstörte der Elbenprinz die Illusion des Jungen.
"Tauriel, komm", befahl er dann.
Doch die Elbenfrau rührte sich nicht vom Fleck. Sie stand wie angewurzelt neben Naira und schaute auf diese und den Zwerg hinab.
"Wir verlieren ihn", kam es besorgt von Oin, der auf Kilis anderer Seite kniete.
Legolas hielt inne und blickte zurück auf seine besten Freundinnen.
"Wenn du gehen willst, geh, ich schaffe das schon. Aber steh' hier nicht untätig rum, denn dann bist du im Weg", erklärte Naira streng vom Boden aus an Tauriel gewandt.
"Tauriel", appellierte der Prinz ein letztes Mal, bevor er aus der Tür trat und sich über das Geländer schwang.
Tauriel folgte ihm zur Tür, doch Naira registrierte es nicht mehr. Ihre Aufmerksamkeit war nun ganz und gar auf den Zwerg vor ihr gerichtet.
Kilis Stöhnen ließ Tauriel erstarren.
Dann ertönte das Trappeln von Füßen auf den Stufen vor der Tür: Bofur kam mit einer Pflanze in der Hand angelaufen.
"Athelas...", murmelte Tauriel vor sich hin und nahm dem Zwerg die Pflanze ab. "Athelas..."
"Was habt Ihr vor?", fragte dieser argwöhnisch.
"Ich werde ihn retten", antwortete die Elbenfrau.
"Das darfst du gern tun, aber ich wäre dir sehr dankbar, wenn du das hier drinnen tun könntest, meldis!", rief Naira von drinnen.
"Naira?", fragte Bofur und drängte sich an Tauriel vorbei in den Raum.
"Für Begrüßungen habe ich jetzt leider keine Zeit", erwiderte das Halbblut streng und wies das ältere der beiden Mädchen an, Wasser vorzubereiten.
Während Tauriel die Athelas-Pflanze zerpflückte und in das Wasser gab, hievten die Zwerge, Naira und der Junge, Kili vom Boden hoch und wuchteten ihn auf den Tisch. Das war nicht allzu einfach, denn dieser wehrte sich ziemlich heftig und sie mussten sich viel Mühe geben, um ihn festhalten zu können.
"Bei Mahal, Kili, jetzt halt endlich still!", fluchte Naira. "Wir versuchen, dich zu retten, nicht dich umzubringen!"
Doch es half nichts: Der Zwerg strampelte weiter.
"Haltet ihn fest", befahl Tauriel.
"Was glaubst du, versuchen wir hier?", entgegnete Naira, ihre Stimme triefte vor Ironie.
Tauriel ging um den Tisch herum und ergriff Kilis verwundetes Bein.
Dann nahm sie das zerpflückte Königskraut aus der Schüssel und drückte es auf die Wunde.
Währenddessen sprach sie: "Menno o nin na hon i eliad annen annin, hon leitho o ngurth."
Kili zappelte noch immer. 
Als letzten, verzweifelten Versuch, ihn zum Stillhalten zu bewegen, begann Naira, das Schlaflied zu singen, das ihre Mutter für sie gesungen hatte, wenn sie nicht schlafen konnte: "Am Rand der Welt blickt sie hinaus, zeigt in der Dunkelheit der Nacht, wo schon der Morgen graut. Sie ist das Licht, das Hoffnung gibt. Lausch nur dem Wind, schließ deine Augen und du hörst ihr Lied. Der ferne Ruf, er weckt die Kraft, die du auch jetzt noch in dir hast. Manan ta olya. Nyére símen ëa, ëa? Nyére símen, Niënna? Nyére venya ëa, ëa oialea. Nyére símen ëa, ëa, nyére símen, Niënna, estel almarëan hiruva?"
Die Stimme des Halbbluts war ruhig und gleichmäßig. Wenn Kili kämpfen wollte, bitte, dann sollte er das tun, doch nicht gegen sie, die sie ihm helfen wollten, sondern gegen das Gift des Morgulpfeils in seinem Blut.
"Sie nimmt dich an, richtet dich auf. Sie ist bei dir, wenn du sie suchst und ihre Hilfe brauchst. Dein Leiden weist dir ihren Weg. Vertrau darauf, sie teilt das Schicksal, das dir auferlegt. Ihr ferner Ruf, er weckt die Kraft, die du auch jetzt noch in dir hast."
Nun stieg auch Tauriel ein:"Manan ta olya. Nyére símen ëa, ëa. Nyére símen, Niënna. Nyére venya ëa, ëa oialea. Nyére símen ëa, ëa, nyére símen, Niënna, estel almarëan hiruva.
Manan ta olya. Nyére símen ëa, ëa. Nyére símen, Niënna. Nyére venya ëa, ëa oialea. Nyére símen ëa, ëa, nyére símen, Niënna, estel almarëan hiruva..."
Endlich hörte Kili auf, sich zu wehren und die Frauen beendeten ihren Gesang.

Während Tauriel die Wunde verband und Kili sich langsam erholte, stand Naira bei den Mädchen und dem Jungen.
"Mein Name ist Naira", stellte sie sich den Geschwistern vor.
"Ich bin Sigrid", antwortete das ältere der beiden Mädchen. "Das sind Bain und Tilda."
Naira lächelte sie an.
"Bist du ein Zwerg oder eine Elbenfrau?", fragte Tilda neugierig.
"Tilda!", schimpfte Sigrid erschrocken.
Naira lachte.
"Was würdest du sagen, wenn ich dir erzähle, dass ich beides bin?", fragte sie sanft.
"Das geht?", stellte die Kleine die Gegenfrage.
"Wie du siehst", antwortete das Halbblut. "Meine Mutter kam aus dem Düsterwald und mein Vater war ein Zwerg aus dem Erebor."
Die Geschwister schauten sie voller Bewunderung an.
"Jetzt seht mich nicht so an, als wäre ich ein Kalb mit zwei Köpfen", lachte Naira. "Was sich zwischen der Elbenfrau und dem Zwerg da drüben entwickelt, ist nicht die erste Romanze zwischen einem Elb und einem Zwerg."
"Naira?", unterbrach Tauriel vorsichtig. "Kann ich dich kurz sprechen?"
Die junge Frau nickte und folgte ihrer Freundin zur Haustür hinaus.

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Übersetzungen
Tolo! - Kommt!
Menno o nin na hon i eliad annen annin, hon leitho o ngurth. - Die Gnade, die mir zuteil, möge auf ihn übergehen. Verschont ihn, rettet ihn.
Nyére símen ëa, ëa. Nyére símen, Niënna. Nyére venya ëa, ëa oialea. Nyére símen ëa, ëa, nyére símen, Niënna, estel almarëan hiruva... - Warum gibt es so viel Leid hier? Warum gibt es Kummer, Niënna? Unser Leid hier ist ewig. Gibt es Leid hier, gibt es Kummer, Niënna, um wieder Hoffnung zu finden?

Das Lied heißt Nienna von Oonagh.

Naira - Flammenherz (Der Hobbit)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt