Kapitel 22

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Es marschierte eine Armee aus Zwergen auf die Menschen und Elben zu.
"Eisenfuß...", erkannte Gandalf.
Naira wusste nicht genau, was sie tun sollte. Sollte sie sich verwandeln? Sollte sie auf ihrem Pferd sitzen bleiben und sehen, was passierte? Konnte sie sich überhaupt für eine Seite entscheiden? Das Blut beider Seiten floss durch ihre Adern, doch sie wusste, dass sie sich für eine Seite würde entscheiden müssen. Und so schwer ihr die Entscheidung auch fiel, sie wusste, sie würde für die Seite kämpfen, die an der Gerechtigkeit interessiert war, und das waren nun einmal die Elben und Menschen.
Die Zwerge auf dem Wehrgang über dem Tor jubelten, ob der Ankunft ihrer Verwandten.
Die Zwerge kamen zum Stehen.
"Ribo i thangail!", kommandierte Thranduil und galoppierte auf seinem Elch durch die Reihen der Elben.
Damit hatte er Naira die Entscheidung abgenommen. Sie gab Valavar die Sporen und folgte ihrem König.
Bard folgte ihnen und mit ihnen setzten sich die Menschen und Elben in Bewegung, um sich den Neuankömmlingen gegenüber aufzustellen.
Thorin sah sehr zufrieden aus. Auch, wenn sich in seinem Hinterkopf eine Stimme meldete, die ihm sagte, dass sie trotz der Verstärkung nicht gewinnen würden, da die Elben und Menschen noch das Ass im Ärmel, beziehungsweise den Halbdrachen auf dem Pferd, hatten. Doch eine weitere, sehr viel gehässigere Stimme sagte ihm, dass Naira sich weder gegen die Zwerge noch gegen die Elben stellen würde. Also hatte er weder gewonnen noch verloren.
Auf dem Hügel ritt ein Zwerg auf einem Schwein aus den Reihen nach vorne.
"Hey, Thorin!", rief er.
Zurück kam Jubeln und der Ruf, dass Eisenfuß gekommen sei.
Letzteres war eigentlich nicht mehr zu übersehen, aber wenn man es noch einmal sagt, dann ist es auch wahr. So schienen zumindest die Zwerge zu denken.
Die Elben und Menschen blieben stehen.
Bard hatte sich vor den Menschen positioniert, während Thranduil und Naira sich noch immer einen Weg durch die Elben bahnten.
"Guten Morgen", grüßte Dain, der Herr der Eisenberge und Thorins Vetter, gespielt freundlich. "Wie geht's uns allerseits?"
Er ließ sein Schwein auf einem kleinen Felsen halten und fuhr fort: "Ich hätte einen kleinen Vorschlag zu machen, wenn ihr mir einen kleinen Augenblick eurer Zeit schenken würdet."
Er machte eine Pause.
"Wärt ihr so freundlich", begann er, bevor er sich aus dem Sattel erhob und mit lauter Stimme brüllte: "Und verschwindet von hier! Ihr alle! Und zwar sofort!"
Die Menschen wichen tatsächlich verunsichert zurück, während die Elben dort stehenblieben, wo sie waren.
Bard hieß die Menschen ihre Stellung halten und Dain setzte sich, ein wenig frustriert, zurück in den Sattel.
"Aber nicht doch, Fürst Dain", versuchte Gandalf den Zwerg zu beschwichtigen.
"Gandalf, der Graue", sprach dieser, woraufhin der Zauberer respektvoll den Kopf senkte. "Sagt diesem Gesindel, es soll verschwinden, sonst tränke ich den Boden mit seinem Blut!"
Die Menschen wichen noch etwas weiter zurück.
Naira ballte die Fäuste, die sofort in Flammen aufgingen.
Thranduil warf ihr einen strengen Blick zu und sie riss sich zusammen. Das war auch gut so, denn sonst hätten die Zügel noch Feuer gefangen.
"Es gibt keinen Grund für einen Krieg zwischen Zwergen, Menschen und Elben", behauptete Gandalf und latschte den Zwergen entgegen. "Ein Heer von Orks marschiert auf den Berg zu. Haltet Eure Armee zurück."
"Vor Elben halte ich überhaupt nichts zurück", entgegnete Dain störrisch. "Und schon gar nicht vor diesem ehrlosen Waldland-Kobold. Ganz zu schweigen von diesem verräterischen Halbblut."
"Na, schönen Dank auch, Thorin", grummelte Naira ungehalten.
Sie und Dain waren eigentlich immer recht gut miteinander ausgekommen, doch das schien nun vorbei. Dank sei Thorin Eichenschild...
"Sie wünschen sich nur das Schlechteste für mein Volk-!"
"Bitte um Verzeihung, aber da muss ich widersprechen!", unterbrach Naira, die nun die Nase gestrichen voll hatte. "Auch mir fließt Zwergenblut durch die Adern und jeder, der mich kennt, kann ein Lied davon singen, dass ich mehr Zwergin als elleth bin. Und ich stehe gerade nur hier, zwischen dir und Thorin, weil Thorin von der Drachenkrankheit besessen ist und mich aus der Gemeinschaft geworfen hat, nachdem ich ihm mal wieder das Leben gerettet habe. Außerdem ist das Motiv, wieso wir hier sind, lediglich Gerechtigkeit und deshalb solltest du mal deinen Vetter zur Vernunft bringen."
Nach dieser kleinen Ansprache war erst einmal Ruhe. Zumindest so lange, bis Naira noch ein weiterer Punkt einfiel, den sie zur Sprache bringen wollte.
"Da fällt mir ein: Du solltest auf Gandalf hören, wenn er sagt, dass ein Ork-Heer im Anmarsch ist. Und das gilt auch für gewisse Elbenkönige neben mir", verkündete sie und schaute Thranduil demonstrativ an.
Dieser warf ihr nur einen warnenden Blick zu.
Dain hatte sich nun wieder gefangen.
"Trotzdem", behauptete er, "wenn sie sich zwischen mich und meine Sippe-"
"Unsere Sippe!", rief Naira frech dazwischen.
"-stellen, dann spalte ich ihre hübschen Schädel! Mal sehen, ob er dann immer noch so fein grinst und, ob sie dann immer noch dazwischenredet!"
Thranduil grinste tatsächlich ziemlich spöttisch und Naira konnte es einfach nicht lassen.
"Thranduil, er hält uns für hübsch!", freute sie sich gespielt kindisch.
Dain hatte genug gehört und wendete sein Schwein, um zu seiner Armee zurückzukehren.
Gandalf rief ihm hinterher, er solle warten, doch es war zu spät.
Die Zwerge auf dem Berg jubelten, während der Zauberer ein besorgtes Gesicht machte.
Auch Naira war nicht mehr ganz so sorglos wie vorher und fragte sich langsam, ob ihr letzter Kommentar vielleicht etwas zu viel gewesen sei.
"Sollen sie kommen", meinte Thranduil spöttisch. "Wir werden sehen, wie weit sie kommen."
Leiser fügte er hinzu: "Naira, du hältst dich da heraus."
Naira war ihm dafür unendlich dankbar, trotzdem widersprach sie ihm, doch der Elb schüttelte streng den Kopf und sie wusste, dass er keine Widerworte zulassen würde.
"Du denkst, ich gebe auch nur einen toten Hund auf deinen Drohungen, du spitzohrige Prinzessin?", rief Dain über seine Schulter.
Naira kicherte leise.
"Den muss ich mir merken", sagte sie grinsend zu Thranduil, dieser achtete jedoch nicht mehr auf sie.
"Hört ihr das, Jungs?", fragte Dain seine Soldaten. "Es geht los! Verpassen wir diesen Dreckskerlen eine ordentliche Abreibung!"
"Das auf der anderen Seite...", kam es von Naira, die nun einen besorgten Gesichtsausdruck trug.
Ein Zwerg rief etwas auf Khuz-dûl und die ganze Armee antwortete.
Thranduil und Naira bewegten sich zu Bard hinüber.
"Haltet Eure Männer zurück", befahl Thranduil dem Bogenschützen. "Naira bleibt bei Euch. Ich kümmere mich um Eisenfuß und sein Gesindel."
Und damit führte der König die Elben des Düsterwalds gegen Dain und die Zwerge der Eisenberge.
Bard streckte die Hand aus, um die Menschen zurückzuhalten.
Naira lenkte Valavar neben Bards Pferd.
"Ihr wart dann also der zweite Drache über Esgaroth", meinte der Bogenschütze.
Das Halbblut nickte.
"Aber ich bin harmlos", behauptete sie. "Für Euch zumindest..."
Dain schickte Zwerge auf Widdern gegen die Elben.
"Ribo i thangail!", befahl Thranduil, während er vor seinen Bogenschützen entlang galoppierte.
Die Bogenschützen spannten ihre Bögen und richteten sie gegen die Zwerge.
"Thranduil! Das ist doch Wahnsinn!", rief Gandalf und versuchte, den Elbenkönig zur Vernunft zu bringen. 
Doch er scheiterte kläglich.
"Leitho!", brüllte Thranduil und riss sein Schwert hoch.
Die Elben ließen ihre Pfeile von den Bogensehnen schnellen und ein Pfeilhagel...hätte sich über die Zwerge ergossen, hätten diese nicht ihre sogenannten Wirbelzwirbel. 
"Baruk Khazâd!", brüllte Dain und besagte Wirbelzwirbel schossen durch die Luft, zerstörten die Pfeile der Elben und töteten einige Elben, als sie zur Erde kamen.
Naira keuchte erschüttert auf.
Thranduil schaute entsetzt auf das Schauspiel.
"Wie gefallen euch unsere Wirbelzwirbel?! Ihr Mistkerle!", brüllte Dain von der anderen Seite des Schlachtfeldes und freute sich des Lebens, im Gegensatz zu einigen Elben.
Thranduil schickte eine weitere Salve aus Pfeilen gegen die Zwerge. Besagte Pfeile wurden jedoch ebenfalls zerstört und erneut machten sich einige Elben auf den Weg in Mandos' Hallen.
Naira schäumte vor Wut. Ein Ork-Heer war im Anmarsch und Dain und Thranduil schlugen sich gegenseitig die Köpfe ein.
Nun kamen die widderreitenden Zwerge näher und die Bogenschützen zogen sich hinter die Elben, die mit Speeren und Schilden bewaffnet waren, zurück. Diese bildeten einen Schildwall.
Die Zwerge trafen auf die Elben: Die Widder liefen einfach über den Schildwall der Elben oder drängten sie zurück.
Doch nun hatte sich das Blatt für die Elben gewendet und sie konnten zurückschlagen.
Viele Zwerge wurden erschossen oder aufgespießt.
Dann führte Dain, auf seinem Schwein, die Fußsoldaten in den Kampf.
Sie prallten auf den Schildwall der Elben, der von Dain an einer Stelle durchbrochen wurde, weil er seinen Hammer schwang.
Die Zwerge auf dem Wehrgang waren entsetzt über das Gemetzel, dass sich ihnen bot.
Und dann ertönte ein lautes Poltern.
Sogar die kämpfenden Elben und Zwerge hielten inne und richteten ihre Blicke auf die Hügel, von denen das Poltern herrührte.
"Werwürmer", flüsterte Gandalf, der neben Naira stand.
Diese fluchte auch gleich: "Gorgor...  Als hätten wir nicht schon genug Probleme..."
Dann kam ihr ein Gedanke.
"Du, Gandalf...?", fragte sie zögernd. "Wie war das mit der Armee, von der du sprachst?"
Der Zauberer antwortete nicht, denn in diesem Augenblick brach ein Werwurm aus dem Berg hervor. Ihm folgten weitere.
Im nächsten Augenblick tönte eine laute Stimme über das Schlachtfeld, ein Horn erklang und eine Armee trat aus den Tunneln, die die Werwürmer gegraben hatten.
Dain brüllte etwas auf Khuz-dûl, während Naira ihrem Pferd die Sporen gab und an Thranduils Seite erschien. Sie tauschten einen besorgten Blick.
"Die Horden der Finsternis greifen an!", schrie Dain und die Zwerge sammelten sich. "Kämpft bis zum Tod!"
Die Elben stellten sich in kleinen Gruppen zusammen, bevor sie sich wieder als Heer ordneten.
Die Zwerge rannten nach vorn und auf die ankommenden Orks zu.
Naira schaute Thranduil an.
Der König blickte über seine Schulter auf die kommenden Orks und überlegte. Dann sah er Naira an. Diese nickte und Thranduil wusste, dass sie kämpfen würde, würde er es befehlen. Sie wartete allein auf seinen Befehl und seine Zustimmung. Er wusste, sie würde es akzeptieren, wenn er seine Armee zurückzog und sie würde mit ihm kommen.
Doch war das wirklich, was er wollte?
Er musste eine Entscheidung treffen, und zwar schnell.
Er schaute Naira in die Augen und lächelte traurig und das Halbblut wusste, er hatte seine Entscheidung getroffen.
Naira erwiderte das Lächeln und atmete tief ein, bevor sie Valavar wendete.
Sie wandte sich an die Elben, die hinter ihr standen und brüllte über den Lärm der Zwerge und Orks hinweg: "Wer mich abschießt, der wird gegrillt!"
Sie sprang von Valavars Rücken und verwandelte sich.
Die Zwerge bildeten einen Schildwall und einer der Zwerge brüllte etwas auf Khuz-dûl.
Die Orks kamen näher und die Zwerge machten sich bereits auf den Zusammenprall gefasst, als-

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Übersetzungen
Ribo i thangail! - Zum Schildwall!
Leitho! - Feuert!
Baruk Khazâd! - Äxte der Zwerge! 

Naira - Flammenherz (Der Hobbit)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt