Kapitel 20

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Naira hatte Langeweile. Seit Stunden waren Gandalf und Thranduil dabei, sich darüber zu zoffen, ob Ersterer nun die Wahrheit sagte oder nicht.
Bard hielt sich größtenteils raus und ließ nur hin und wieder einen Kommentar fallen.
Und Naira hockte in einer Ecke und war kurz davor, die beiden Streithähne für immer zum Schweigen zu bringen. Das Einzige, was sie davon abhielt, ihren Plan in die Tat umzusetzen war, dass sie nicht wollte, dass Legolas auch noch seinen Vater verlor und, dass Gandalf für sie wie ein Großvater war.
Eigentlich wollte sie alle beide anschreien und ihnen vielleicht die Haare ankokeln.
"Seit wann wird mein Rat so geringgeschätzt?", fragte Gandalf entsetzt. "Was denkt Ihr, bezwecke ich damit?"
"Ich glaube, Ihr wollt Eure Zwergen-Freunde beschützen, genau wie Naira das tut, und ich bewundere Eure Treue zu ihnen", antwortete Thranduil kühl. "Doch das bringt mich nicht ab von meinem Kurs."
Er hockte auf seinem Stuhl wie auf seinem Thron und schaute, als stünde er über ihnen allen.
Naira warf dem König einen tödlichen Blick zu.
Was der kann, kann ich besser, dachte sie und legte noch mehr tödliche Energie in ihren Blick.
Er erhob sich und kümmerte sich nicht einmal um Nairas Blicke.
"Ihr habt es begonnen, Mithrandir", meinte er. "Ihr werdet mir verzeihen, wenn ich es beende."
Und damit verließ er das Zelt.
"Sind die Bogenschützen in Position?", fragte er einen Kommandanten, der gerade neben dem Zelt auftauchte.
"Ja, mein Herr", antwortete dieser.
"Gebt den Befehl: Wenn sich irgendetwas auf diesem Berg regt, tötet es. Die Zeit der Zwerge ist um..."
Naira sprang auf.
"Du hast gesagt, dass ich die Zwerge aus dem Berg holen dürfe, bevor du angreifst!", schrie sie ihn an.
Thranduil blickte herablassend auf sie nieder.
"Du weißt genauso gut wie ich, dass sie ihren König nicht verlassen werden", antwortete er.
Naira schaute ihn verachtend an.
"Ich glaube, Thorin hatte recht", sprach sie dann mit einer Eiseskälte, die weder Thranduil noch Gandalf oder Elros, der vor dem Zelt stand und Wache hielt, je an ihr erlebt hatten. "Thranduil, dem großen Elbenkönig unter Buche und Eiche, ist nicht zu trauen."
Die Worte trafen den König härter, als er es für möglich gehalten hatte.
Er hatte sie nicht verlieren wollen, weil er bereits ihre Mutter verloren hatte, und nun hatte er genau das getan, wovon er sich geschworen hatte, es nie wieder zu tun: Er hatte sie vertrieben. Schon wieder.
Naira verließ das Zelt. Gandalf folgte ihr.
Draußen sprach er Bard an und fragte ihn, ob er mit dem Kurs, den Thranduil eingeschlagen hatte, einverstanden sei.
Das Halbblut stand daneben und schäumte vor Wut auf den Elbenkönig.
"Ist Euch das Gold wirklich so wichtig? Würdet Ihr es mit dem Blut der Zwerge erkaufen?", fragte der Zauberer weiter.
"Dazu wird es nicht kommen", behauptete der Bogenschütze. "Dies ist ein Kampf, den sie nicht gewinnen können."
Naira schnaubte verächtlich.
Sie wollte gerade etwas sagen, als sie von einer Stimme unterbrochen wurde, die sie sehr vermisst hatte: "Das wird sie nicht aufhalten! Glaubt Ihr, die Zwerge werden sich ergeben? Niemals. Sie werden bis zum Tod für ihre Sache kämpfen."
"Bilbo!", rief Naira erfreut aus und umarmte den Hobbit.

"Wenn ich mich nicht täusche, ist dies der Halbling, der die Schlüssel zu meinen Verliesen, vor der Nase meiner Wachen, stahl", sprach Thranduil und setzte sich auf seinen Thron.
"Ja...", meinte Bilbo vorsichtig. "Bitte um Verzeihung..."
"Er war nicht allein", unterbrach Naira das Geständnis und stellte sich neben den Hobbit. "Ich habe ihm geholfen."
Thranduil schaute sie enttäuscht an, während Bard eher beeindruckt war.
Um die peinliche Stille zu durchbrechen, trat Bilbo vor und meldete sich wieder zu Wort: "Ich bin gekommen, um Euch das hier zu geben."
Während er sprach, holte er ein kleines Päckchen aus seinem Mantel, legte es auf den Tisch und öffnete es.
Zum Vorschein kam ein großer funkelnder Edelstein.
Bei seinem Anblick erhoben sich Bard und Thranduil von ihren Plätzen.
"Nein, Bilbo", stöhnte Naira. "Was hast du getan..."
Dieser sah sie etwas schuldbewusst, aber auch trotzig, an.
"Du hättest das Gleiche getan", behauptete er.
"Das Herz des Berges...", flüsterte Thranduil ehrfürchtig. "Das Königsjuwel...
"Und königliche Auslöse wert", ergänzte Bard. "Wie kommt Ihr in seinen Besitz?"
"Ich habe es als meinen vierzehnten Anteil an dem Schatz genommen", antwortete Bilbo.
Naira stöhnte erneut auf.
"Thorin wird dich dafür umbringen, wenn er das herausfindet", prophezeite sie mit Grabesstimme.
Gandalf hingegen sah äußerst stolz aus.
"Wieso tut Ihr das?", wollte Bard wissen. "Ihr schuldet uns keine Treue."
"Ich tue das nicht für Euch", entgegnete Bilbo ernst. "Ich weiß, dass Zwerge starrsinnig sein können und dickköpfig und schwierig. Misstrauisch und heimlichtuerisch und sie haben die schlechtesten Manieren, die man sich vorstellen kann."
Naira hustete ungehalten. Doch sie wusste nicht ganz, wieso sie eigentlich widersprach. Sie wusste, dass Bilbo mit all seinen Anschuldigungen recht hatte. Eigentlich waren es nur das Elbenblut und die Erziehung durch ihre Mutter, die ihr die guten Manieren beschert hatten und dahin war es ein wahrhaft weiter Weg gewesen. Und die typischen Charaktereigenschaften eines Zwerges hatte sie noch immer. Wieso also widersprach sie?
Der Hobbit sprach weiter, ohne sich um Nairas Einwände zu kümmern: "Aber sie sind auch tapfer und gütig und unendlich treu. Ich habe sie ins Herz geschlossen und ich möchte sie retten, wenn ich kann."
Naira lächelte sanft.
Bilbo war zu lieb und zu gut für diese Welt, das hatte sie schon von Anfang an gefunden.
"Thorin ist dieser Stein mehr wert als alles andere", fügte Bilbo hinzu. "Um ihn zurückzubekommen, wird er Euch sicherlich geben, was er Euch schuldet. Es gibt für Krieg also keinen Grund."
Bard und Thranduil wechselten einen Blick.
Naira beäugte sie misstrauisch. Sie wusste, dass Bard auf keinen Fall einen Krieg führen wollte, doch bei Thranduil war sie sich nicht so sicher.
Letztendlich stimmten aber beide zu.

Naira - Flammenherz (Der Hobbit)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt