Kapitel 11

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Es dauerte nicht lang, bis die Kolonne, bestehend aus dreizehn Zwergen, die verhaftet wurden, einigen Elben, die die besagten Zwerge verhafteten, und einem Halbblut, das zu keiner der beiden Gruppen gehörte, den Palast des Königs unter Buche und Eiche erreichte.
Naira lief mit Elros ziemlich weit hinten, um den stechenden Blicken der Zwerge zu entgehen.
Während sie die Brücke überquerten, die zum Tor des Palastes führte, kamen Erinnerungen in Naira hoch: Wie sie als Kind und Jugendliche mit ihrer Mutter und später, als Erwachsene, allein über diese Brücke gegangen war, weil der König sie zu sich gerufen hatte; wie sie, Legolas und Elros über diese Brücke nach draußen gerannt waren, um im Wald Abenteuer zu erleben; wie sie und Tauriel über diese Brücke geschlendert waren, um im Wald Mädchen-Gespräche führen zu können, ohne von den Männern belauscht zu werden.
Als sie vor wenigen Stunden zum ersten Mal seit langer Zeit diese Brücke überquert hatte, hatte sie nicht die Zeit oder die mentale Kapazität gehabt, um auf die Vergangenheit zurückzublicken. Jetzt hatte sie zumindest die Zeit, über die mentale Kapazität waren ihr Geist und ihr Herz geteilter Meinung.
Sie traten durch das Tor.
 Legolas blieb stehen, um als Letzter hindurchzugehen.
"Holo in ennyn!", kommandierte er.
Während die Elben die Zwerge, Thorin ausgenommen, sofort in die Kerker brachten, wartete Naira auf den Prinzen.
"Mein Vater wird dich sehen wollen", meinte er zu ihr.
Sie nickte.
"Ich weiß", antwortete sie. "Aber ich glaube, dass er sich erst mit Thorin befassen wollen wird."
Legolas lächelte.
Naira kannte den König ziemlich gut, schließlich war ihre Mutter die beste Freundin des Königs gewesen. Diese Position hatte sie, nach ihrem Tod, mehr oder weniger, übernommen. Sie war die Einzige, der Thranduil freche Antworten und Kritik bis zu einem gewissen Punkt durchgehen ließ. Leider war die Grenze bei Verweigerung von Befehlen überschritten...
"In der Zwischenzeit kannst du mir mal erklären, was du in der Gemeinschaft von Zwergen suchst", schlug der Elbenprinz vor.
"Ich bin zur Hälfte Zwergin, falls es dir entfallen sein sollte", erwiderte sie etwas zu heftig.
Legolas zuckte leicht zusammen.
"Tut mir leid", entschuldigte sich Naira. "Aber du musst nun einmal akzeptieren, dass in meinen Adern nicht nur das Blut der Elben fließt."
Legolas nickte langsam. Er verstand nicht, warum Naira so viel an ihrer zwergischen Herkunft lag, schließlich war sie auch eine Elbenfrau. Klar, sie hatte schöne Erinnerungen an ihre Zeit mit den Zwergen, doch war es nicht langsam an der Zeit, dass sie neue Erinnerungen sammelte? Mit ihren elbischen Freunden?
Doch bevor er etwas sagen konnte, kam Tauriel zu ihnen und zog das Halbblut mit sich, mit den Worten, dass es ihr noch etwas zu erzählen hatte.

"Naira..."
Thranduil sah aus, als seien all seine Gebete erhört worden, als das Halbblut den Thronsaal betrat.
"Aran nín", antwortete dieses und kniete nieder, den Kopf gesenkt.
Der König kam von seinem Thron heruntergeeilt und zog es hoch.
"Du verneigst dich nicht vor mir", erklärte er und schloss es in seine Arme.
"Du hast dich verändert", meinte er, als er es wieder losließ. "Du siehst jetzt noch mehr aus wie deine Mutter."
Naira grinste.
"Ich hab' mir sagen lassen, dass man sich verändert, wenn man sich jahrelang nicht gesehen hat", scherzte sie.
Dann musterte sie den König.
"Du hingegen hast dich absolut nicht verändert", behauptete sie.
Thranduil lächelte traurig.
"Da muss ich dich leider enttäuschen...", entgegnete er. "Ich habe mich sehr verändert..."
Naira sah ihn an. Hinter seinen Augen erkannte sie Trauer, Reue, Verzweiflung und so viele weitere Emotionen. Mit einem Schlag wurde ihr bewusst, dass ihr Weggang ihn sehr getroffen haben musste und, dass er glaubte, für ihn verantwortlich gewesen zu sein.
"Thranduil...", sagte sie sanft. "Es war nicht deine Schuld. Natürlich war ich wütend auf dich, weil du den Zwergen nicht helfen wolltest, aber ich verstehe es nun. Wir hätten den Drachen niemals besiegen können und mit deiner Vergangenheit..."
"Thorin scheint nicht so zu denken."
Naira lachte.
"Thorin ist ein Sturkopf. Eines Tages wird er es auch verstehen."
Thranduil bezweifelte das. Doch Naira hatte endloses Vertrauen in ihren besten Freund und das würde er ihr nicht nehmen. Sie war wie eine Tochter für ihn und er täte alles für sie, bäte sie ihn darum. Gleiches galt für Legolas, selbst, wenn er es nicht zeigte.
"Weißt du, was die Zwerge hier gesucht haben? Du warst mit ihnen unterwegs und musst doch etwas aufgeschnappt haben, bei deiner Neugier..."
Und vorbei war der Moment der Versöhnung und der kalte König war zurück.
"Ich weiß es nicht", schwindelte Naira. "Ich habe ihn einmal betrogen, glaubst du wirklich, dass er mir ein zweites Mal vertraut? Er ist vielleicht ein Zwerg, aber dumm ist er nicht."
"Ich habe ihm angeboten, sie gehen zu lassen, wenn er mir die Erbstücke meines Volkes aushändigt, die mir seine Vorfahren verweigerten", erklärte er.
"Wie denn? Sie kommen doch niemals in diesen Berg hinein, selbst, wenn sie hineinwollten. Ein Drache sitzt auf diesem Schatz..."
Sie konnte Thranduil ansehen, dass er ihr nicht glaubte, dennoch fragte er nicht weiter. Er wollte nicht riskieren, sie noch einmal zu verlieren, also wechselte er das Thema.
"Ich hoffe, ich sehe dich heute Abend bei dem Fest", lud er sie ein. 
Stimmt, es war Mereth-en-Gilith.
"Wir werden sehen", antwortete sie. "Ich glaube, nach der heutigen Aufregung werde ich mich sehr lange ausruhen."
Damit verließ sie den Thronsaal.

Naira - Flammenherz (Der Hobbit)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt