Kapitel 15

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"Was hast du auf dem Herzen?", fragte Naira scherzhaft, als sie und Tauriel aus der Tür des Hauses traten.
Tauriel schaute sie ernst an und sofort verschwand die spielerische Miene des Halbbluts.
"Tauriel, was ist geschehen?", wollte es besorgt wissen.
"Eigentlich ist es nicht an mir, dir dies zu sagen", begann die Elbenfrau. "Es sollte deine Mutter sein, aber ich habe keine Wahl. Wenn wir den Angriff des Drachen überleben wollen, musst du es wissen..."
"Wovon sprichst du?", hakte Naira nach.
Langsam wurde sie ungeduldig.
"Was musst du mir sagen? Und was hat meine Mutter damit zu schaffen?"
"Naira, du musst verstehen, dass du nicht die Erste in deiner Familie bist, die mit besonderen Kräften geboren wurde ", erklärte ihre Freundin. "Auch deine Mutter und ihr Vater und all deine Vorfahren auf der Seite deiner Mutter hatten diese Fähigkeiten. Welche das sind, hängt davon ab, was in ihren Herzen ist, was ihnen vorbestimmt ist und, was die Welt gerade braucht. Deine Mutter war eine sehr ruhige elleth, war jedoch auch eine unerschrockene Kämpferin, deshalb kontrollierte sie das Wasser. Ihr Vater vor ihr, war sehr nachdenklich und fällte alle Entscheidungen mit seinem Kopf, was ihm die Kraft gab, Gedanken und Erinnerungen zu beeinflussen..."
"Das ist ja alles gut und schön, aber was hat das mit mir zu tun?"
"Hast du dich nie gefragt, weshalb du diese Fähigkeiten hast?"
Naira dachte nach. Sie musste zugeben, dass sie gern gewusst hätte, weshalb sie das Feuer beherrschen konnte und warum es sich so normal anfühlte, es zu benutzen. Doch konnte dieses Gespräch nicht bis später warten? Es konnte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis Smaug einen Angriff startete.
"Natürlich habe ich mir solche Fragen gestellt", antwortete sie also. "Aber ich wage zu bezweifeln, dass dies der richtige Zeitpunkt ist, um sich mit ihnen zu befassen."
"Es muss jetzt sein", widersprach Tauriel. "Es könnte uns dem Drachen gegenüber einen Vorteil verschaffen."
Naira wollte etwas sagen, doch ihre Freundin unterbrach sie: "Bitte hör mir einfach zu."
Das Halbblut nickte und Tauriel sprach weiter: "Der Grund, warum die Familie deiner Mutter Fähigkeiten an ihre Nachkommen vererbt, ist, dass sich vor langer Zeit ein Drache in eine elleth verliebte. Er nahm seine menschliche Gestalt an, um für immer mit ihr zusammen zu sein. Sie heirateten und bekamen Kinder. All diese Kinder bekamen Fähigkeiten. Auch sie bekamen Kinder und gaben die Fähigkeit, Kräfte auszubilden, an sie weiter. Sie alle bekamen verschiedene Kräfte, doch eine Gemeinsamkeit haben alle, die das Feuer beherrschen: Sie alle können die ursprüngliche Form des Ersten in der Familie, der das Feuer beherrschte, annehmen: Sie alle können sich in einen Drachen verwandeln."
Tauriel beendete ihre Erzählung, um Naira das Gehörte verarbeiten zu lassen.
Diese kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe.
"Wieso fühle ich mich, als wüsste ich all das bereits?", fragte sie.
Ihre Freundin lächelte traurig.
"Deine Mutter brachte dir bei, deine Fähigkeiten zu kontrollieren und sie erzählte dir eure Geschichte. Doch vor gut 270 Jahren, kurz vor ihrem Tod, wurde sie wegen ihrer Fähigkeiten gefangen genommen. Ihre Entführer folterten sie und wollten sie zwingen, für sie zu arbeiten. Als sie entkam und zurückkehrte, erkannte sie, wie gefährlich es für dich sein würde, wenn du von deinen Kräften wüsstest und sie einsetzen würdest. Sie bat deinen Großvater, ihren Vater, deine Erinnerungen an deine Kräfte zu löschen, um dich zu schützen. Obwohl er sie vor den Folgen warnte, kam er ihrer Bitte nach."
"Woher weißt du davon?"
"Deine Mutter wollte, dass ich es dir sage, sollten deine Kräfte eines Tages unbeabsichtigt zurückkehren. Sie fand es besser, es käme von einem Freund oder einer Freundin, als von einem Fremden..."
Und mit einem Mal ergab die ganze Geschichte Sinn: Wieso Azog sie gefoltert hatte, um das Biest zu wecken; wieso die Kontrolle des Feuers so natürlich schien; einfach alles.
"Lange Zeit war ich zwischen Elben und Zwergen hin und hergerissen", murmelte Naira und starrte in den Kanal unter ihnen. "Und jetzt bin ich auch noch die Nachfahrin eines Drachen..."
Sie blickte auf.
"Werde ich denn nie frei sein, von der Frage, welchem Volk ich angehöre? Elben und Zwerge können einander nicht ausstehen. Bei beiden gibt es jene, die mir misstrauen, weil in mir auch das Blut des anderen Volkes fließt. Doch beide hassen Drachen...
Bei Elben muss ich aufpassen, was ich sage, damit man mich nicht als Zwerg abstempelt; bei Zwergen muss ich darauf achten, nicht zu elbisch zu wirken, um nicht als Verräter dargestellt zu werden... 
Ich war immer stolz darauf, der Beweis zu sein, dass es Liebe auch zwischen Völkern gibt, die sich gegenseitig nicht sonderlich schätzen. Aber es ist auch anstrengend, alle immer darauf hinweisen zu müssen, dass sie ihre Worte weise wählen sollten... 
Wenn die falschen Leute herausfinden, dass ich auch zum Teil Drache bin, bin ich so gut wie tot...
Ich hatte noch so viele Fragen an Mutter. Ich habe bereut, dass ich sie nie gestellt habe, weil ich dachte ich hätte noch so viel Zeit. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich die Antworten wirklich wissen wollte..."
Sie wollte noch mehr sagen, doch da ertönte Glockengeläut.
Beide Frauen tauschten ernste Blicke und richteten dann ihre Augen zum Berg.
"Wir müssen gehen", meinte Naira, als sie ein entferntes Brüllen vernahmen.
Tauriel nickte nur.

Naira - Flammenherz (Der Hobbit)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt