Kapitel 16

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Naira hörte in der Ferne Menschen rufen. Sie riefen nach Familienmitgliedern und Freunden. Sie hörte sie herumlaufen. Sie hörte Platschen im Wasser. Und dann hörte sie Schritte und Stimmen, die auf sie zu kamen. 
"Naira!"
"Naira!"
Sie spürte, wie sich eine Hand auf ihren Hals legte.
"Sie lebt!", verkündete eine weibliche Stimme.
"Mahal sei Dank", antwortete eine männliche Stimme. "Onkel würde uns umbringen, würde sie sterben."
"Noch ist sie noch nicht außer Gefahr..."
"Mahal, hier ist so viel Blut..."
"Naira, du musst aufwachen!"
Naira knurrte nur leise. Sie hatte weder Lust noch Motivation, um aufzuwachen.
"Ich warne dich, wenn du deine Augen nicht aufmachst, dann ziehe ich dir eins über!"
Die Stimme klang nach Tauriel und Naira wusste, wenn es wirklich Tauriel war, würde sie ihre Drohung wahr machen.
Unter großer Anstrengung öffnete sie ihre Augen. Vor ihr kniete tatsächlich Tauriel, deren Hand auf ihrem Hals lag.
"Naira, du musst mir zuhören", beschwor sie ihre Freundin, die noch immer als Drache am Ufer lag. "Du musst dich konzentrieren und dich zurückverwandeln."
"Wenn ich das tue und die Verletzungen auf meine andere Gestalt übertragen werden, sterbe ich..."
"Wenn du es nicht tust, stirbst du sowieso."
"Und dann bringt Thorin uns um", fügte Fili hinzu.
Er und Kili hockten an ihrer Seite und drückten ein Stück Stoff auf ihre Wunde, um die Blutung zu stoppen.
"Ich kann nicht", flüsterte Naira kraftlos.
"Du hast keine Wahl. Wir geben dir keine", erwiderte Tauriel.
Das Halbblut lachte schwach.
Dann schloss es die Augen.
"Wag es nicht, wieder einzuschlafen", drohte eine neue Stimme, die Naira als die von Legolas erkannte.
Sie antwortete jedoch nicht, sondern konzentrierte sich.
Nichts geschah und sie wollte gerade aufgeben, als sich wieder ein Kribbeln und das Gefühl der Veränderung durch ihren Körper ausbreitete. Im nächsten Augenblick waren ihre Schwäche und ihre Müdigkeit verschwunden.
Sie öffnete die Augen und setzte sich auf.
Ihre Freunde atmeten auf.
Naira schaute an sich herunter. Sie trug wieder eine Rüstung und ihre Waffen waren an ihren angestammten Plätzen.
Doch etwas hatte sich verändert: Ihre Rüstung war nicht mehr ihre Rüstung. Ihr Waffenrock war nicht mehr grün und langärmelig, sondern braun und ohne Ärmel; der Brustpanzer aus hartem Leder schütze nun auch ihre Schultern und Oberarme. Er war mit dünnen Ornamenten verziert und hatte metallene Schnallen auf jeder Seite des Ausschnitts, die durch eine kurze Kette verbunden waren. Dazu kamen noch Beinschienen und Handschuhe, ebenfalls aus hartem Leder. Letztere schützten auch die Handgelenke und die Hälfte des Unterarms. Außerdem steckten in ihnen kleine Messer. Die einzigen Dinge, die gleichgeblieben waren, waren die schwarze Lederhose, die Naira unter ihrem Waffenrock trug, ihre schwarzen Lederstiefel und ihre Waffen.
Doch die größte Veränderung waren die hellblauen Flammen, die sich nun über Nairas Arme zogen: beginnend an den Handgelenken, endend auf den Schultern.
Nairas fragender Blick wanderte zu ihren Freunden.
Tauriel und Legolas lächelten sanft, während die Zwerge ebenso erstaunt waren wie das Halbblut.
"Du hast die Gestalt deines Vorfahren angenommen", erklärte Legolas. "Damit ist eine neue Kraft in dir erwacht, die dich den Rest deines Lebens begleiten wird."
"Du trägst die Rüstung deiner Vorfahren", ergänzte Tauriel. "Und auch die Flammenzeichnungen hast du von ihnen geerbt."
Naira erhob sich und schaute sich um.
Menschen weinten und liefen umher.
Legolas, Tauriel, Kili, Fili, Oin und Bofur standen um sie herum und musterten sie.
"Wieso seht ihr mich so an?", fragte das Halbblut misstrauisch.
"Wie fühlst du dich?", fragte Oin, ganz der Arzt, der er war.
"Gut", antwortete Naira und nickte. "Besser als ich mir vorgestellt hatte."
Im nächsten Augenblick wurde sie von den Zwergenbrüdern in eine feste Umarmung gezogen.
"Mahal, sei Dank", flüsterten sie. "Wir dachten schon, wir müssten Onkel beichten, dass du gestorben seist und wir dir nicht geholfen haben."
"So schnell werdet ihr mich nicht los", versicherte Naira lachend.
Dann hielt sie inne.
"Woher wusstet ihr, dass ich mich nur verwandeln musste?", wollte sie wissen.
Fili und Kili entließen sie aus ihrer Umklammerung.
Die beiden Elben tauschten einen schuldbewussten Blick.
"Wir wussten es nicht", gab Legolas zu. "Aber nachdem deine Mutter uns von deinen Fähigkeiten erzählte, haben Tauriel, Elros und ich uns in die Bibliothek des Palastes gesetzt und ein Buch nach dem anderen gelesen."
"Wir wollten in der Lage sein, dir zu helfen, solltest du deine Kräfte wiedererlangen", fügte Tauriel hinzu. "Wir fanden Notizen darüber, dass Verletzungen, die der Drachen-Gestalt zugefügt werden, in der Theorie nicht auf die andere zu übertragen sind."
"In der Theorie?"
Legolas sah zerknirscht zu Boden.
"Niemand in deiner Familie konnte sich nach tödlichen Wunden zurückverwandeln. Entweder waren sie sofort tot oder sie hatten nicht mehr genug Kraft für die Verwandlung."
"Es war also reine Spekulation?", fragte Naira entsetzt.
"Es hat funktioniert, oder nicht?", erwiderte Kili, die Elben in Schutz nehmend.
Naira musste zugeben, dass er recht hatte und nickte widerstrebend.

Naira - Flammenherz (Der Hobbit)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt