Kapitel 6

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Die Zwerge hatten eine Höhle gefunden, die sicher zu sein schien.
Trotzdem hatte Naira ein ziemlich ungutes Gefühl, etwas, wofür ihr Elbenblut verantwortlich war. Dennoch hatte sie nichts gesagt, da sie wusste, dass niemand sie ernst nehmen würde. Also hatte sie sich einfach still einen Platz so nah wie möglich am Eingang der Höhle gesucht, um ungebetenen Gästen ein ordentliches Willkommen zu bieten.
Doch obwohl sie sich vorgenommen hatte nicht einzuschlafen, tat sie genau das.

Geweckt wurde sie von Thorin, der rief, sie sollten aufwachen.
Und dann ging es auch schon abwärts.
Unter anderen Umständen hätte das Halbblut diese Rutschpartie als äußerst spaßig empfunden. Nämlich dann, wenn es den Boden hätte sehen können und, wenn nicht dreizehn Zwerge und ein Hobbit um es herumgekugelt wären und ihm in die Ohren geschrien hätten.
Dank der elbischen Gene hatte es sehr empfindliche Ohren, wodurch es das Geschrei als furchtbare Lärmbelästigung empfand.
Der Falle endete, als es ganz oben auf einem Haufen aus Zwergen und einem Hobbit landete.
Im nächsten Moment kamen einige wahrhaft hässliche Gestalten auf die Gemeinschaft zu.
"Orks", zischte Naira und zog ihr Schwert.
Doch es wurde ihr aus der Hand gerissen, bevor sie zum Streich ausholen konnte.
Die Orks zogen die Zwerge und sie auf die Beine und trieben sie vor sich her wie Schäfer ihre Schafe.
Naira war so beschäftigt damit, sich gegen die grapschenden Hände zu wehren, dass ihr nicht auffiel, dass Bilbo zurückgelassen wurde.

Sie wurden durch die halbe Orkstadt geführt und Naira musste zugeben, dass die Orks wahrlich gute Arbeit geleistet hatten. Die Bauten hielten zusammen und knarzten nicht einmal unter der Last des Großen Orks.
Dieser sang dreistimmig - laut, schief und mit Begeisterung - etwas, das man nicht einmal als ein absolut furchtbares Lied beschreiben konnte. Währenddessen führte er etwas auf, das wohl ein Tanz sein sollte.

Naira musste eine Entscheidung treffen: sich die Orkhände vom Leib halten oder ihre empfindlichen Ohren schützen. Sie entschied sich für ihre Ohren und sie war sehr dankbar, als der Ork seinen 'Gesang' beendete und wieder auf seinem Thron kletterte.
Fast hätte das Halbblut Mitleid mit den Orks gehabt, die sowohl als Stufe, als auch als Fußbank dienten. Aber nur fast, denn es waren immer noch Orks und damit der Feind.
"Geht ins Ohr, nicht wahr?", meinte der Große Ork. "Es ist eine meiner eigenen Kompositionen..."
"Das ist kein Lied!", protestierte Balin und sprach damit aus, was sie alle dachten. "Das ist eine Abscheulichkeit!"
"Abscheulichkeiten, Mutationen, Abneigungen, das ist alles, was ihr hier unten finden werdet", antwortete der Große Ork großspurig.
"Das dachte ich mir fast", flüsterte Naira Kili und Fili zu, die neben ihr standen.
Die Orks, die der Gemeinschaft die Waffen abgenommen hatten, warfen besagte Waffen vor den Thron und fast sofort war der König der Orks wieder auf den Beinen.
"Wer wagt es bewaffnet in mein Königreich zu kommen?", fragte er lauernd. "Spione? Diebe? Auftragsmörder?"
"Zwerge, Eure Böswilligkeit", antwortete ein Ork, "und eine Frau."
"Zwerge?!", wiederholte der Große Ork ungläubig. "Und eine Frau?!"
"Wir haben sie in der Vorhalle gefunden."
"Nun, steht doch nicht so da herum! Durchsucht sie und bringt die Frau zu mir!"
"Nehmt eure dreckigen Pfoten weg!", keifte Naira, als ein Ork versuchte, sie nach vorn zu ziehen.
Die anderen Zwerge taten ihr Bestes, sie aus den Fängen der Orks zu befreien, doch sie schafften es nicht und sie wurde vor den Großen Ork gezerrt.
"Nein, was seid Ihr doch für ein hübsches Ding!", rief der Orkkönig aus. "Ihr würdet eine großartige Königin abgeben. Wie ist Euer Name?"
"Erstens: Das wüsstest du wohl gerne!", zischte das Halbblut. "Und zweitens: Noro mi maw pale teliâdhys! Amin feuya ten' le!"
Und dann spuckte die junge Frau dem Großen Ork vor die Füße.
Die Zwerge hatten zwar keine Ahnung, was ihre letzten Worte gewesen waren, doch es hatte nicht sonderlich freundlich geklungen, also brachen sie in laute Anfeuerungsrufe aus.
"Mit dir befasse ich mich später", knurrte der Große Ork und wandte sich den Zwergen zu.
"Was tut ihr in diesen Gefilden?", fragte er, nachdem er seine Schadenfreude über die, durch Nori bestohlenen, Elben beendet hatte.
Oin trat vor, bevor einer der anderen etwas sagen konnte.
"Keine Sorge, Jungs und Mädel", meinte er, "ich mach' das schon."
"Keine Tricks!", verlangte der Große Ork und setzte sich auf seinen Thron. "Ich will die Wahrheit! Wörter und alles!"
"Womit soll er denn sonst sprechen, außer mit Worten", grummelte Naira vor sich hin.
"Ihr werdet etwas lauter sprechen müssen", behauptete Oin, der sehr schwerhörig war. "Eure Jungs haben mein Hörrohr zertreten."
Der Orkkönig stieg wieder von seinem Thron herunter und donnerte: "Ich werde mehr zertreten als nur dein Hörrohr!"
Ein Tumult brach aus, bis Bofur ihn unterbrach und meinte, wenn der Große Ork Informationen haben wolle, wäre er derjenige, mit dem er sprechen solle.
Der Ork ließ seine Faust sinken und machte ein Geräusch, das wohl heißen sollte, dass der Zwerg fortfahren solle.
"Wir waren auf einer Straße", begann dieser also. "Na ja, weniger eine Straße als ein Weg. Und wo ich gerade so darüber nachdenke, ist es noch nicht einmal das, mehr ein Trampelpfad. Wie auch immer, der Punkt ist: Wir waren auf dieser Straße, mehr ein Weg, mehr ein Trampelpfad, und dann waren wir es nicht. Was ein Problem ist, weil wir schon letzten Dienstag in Dunland hätten sein sollen..."
"Einige entfernte Verwandte besuchen", warf Dori ein.
"Inzucht auf der Seite meiner Mutter", fügte Bofur hinzu. 
Er wollte gerade noch etwas sagen, als der Große Ork ihn heftig unterbrach: "Haltet die Klappe!"
Dann fügte er etwas ruhiger hinzu: "Nun gut, für das Schweigen müsst ihr zahlen, mit unendlichen Qualen! Bringt den Zerfleischer! Bringt den Knochenbrecher! Hübsch oder nicht, beginnt mit dem Mädchen!"
"Wenn ihr mich auch nur anfasst, dann verspreche ich euch, dass ihr die nächsten Minuten nicht überleben werdet!", keifte Naira, sich gegen die Hände der Orks wehrend.
"Wartet!"
Naira hielt in ihrem Kampf inne und starrte ungläubig in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.
Thorin trat aus den Reihen der Zwerge.
Das Halbblut schüttelte beschwörend den Kopf und versuchte den Anführer davon abzuhalten, etwas Dummes zu tun.
"Nun, nun, nun, schaut mal, wer da ist: Thorin, Sohn von Thrain, Sohn von Thror, König unter dem Berge", sprach der Große Ork und verbeugte sich spöttisch.
Dann hielt er inne: "Oh, aber ich vergaß, du hast gar keinen Berg und du bist kein König, was dich im Grunde zu einem Niemand macht."
"Wie redest du eigentlich mit ihm?!", zischte Naira.
Thorin musste zugeben, dass er überrascht - und beeindruckt von ihrer Treue - war, dass das Halbblut Partei für ihn ergriff. Schließlich war er alles andere als nett zu ihm gewesen.
"Stopft ihr das Maul", befahl der Große Ork.
Eine widerliche Orkhand legte sich über Nairas Mund. In jeder anderen Situation hätte sie hineingebissen, doch trotz ihres kaum existenten Selbsterhaltungsinstinkts, hatte sie nicht das Bedürfnis, herauszufinden, wie Ork schmeckte.
Der Große Ork wandte sich wieder Thorin zu: "Ich kenne jemanden, der einen hübschen Preis für deinen Kopf zahlen würde. Nur den Kopf, ohne etwas dran..."
Naira traute ihren Ohren kaum. Ihr war natürlich bewusst, das Thorin als zukünftiger König des Erebors nicht nur Freunde hatte und, dass einige Leute in Mittelerde ihre Reise nicht unbedingt für eine gute Idee hielten, doch, dass jemand ein Kopfgeld auf ihn setzen würde, konnte sie beim besten Willen nicht glauben.
"Vielleicht weißt du, von wem ich spreche", fuhr der Große Ork fort. "Ein alter Feind von dir: Ein blasser Ork, der einen weißen Warg reitet..."
Ah, nun wurde ein Schuh draus...
Naira lief ein kalter Schauer über den Rücken. Erinnerungen an genau diesen Ork schossen durch ihren Kopf.
"Azog, der Schänder, wurde vernichtet", entgegnete Thorin scharf. "Er wurde vor langer Zeit im Kampf getötet!"
Naira schüttelte den Kopf, zumindest so gut es mit einer Hand über dem Mund ging. Nein, Azog war nicht tot. Und eigentlich müsste der Zwergenkönig wissen, dass ein Ork wie Azog nicht so einfach umzubringen war. Und es hatte nie eine Leiche gegeben. Darauf zu vertrauen, dass er an einem abgeschnittenen Arm verbluten würde, war nichts anderes als naiv bis schlichtweg dumm. 
"Du glaubst also, dass seine schändenden Tage vorbei sind, was?", höhnte der Große Ork und kicherte abscheulich. 
Dann drehte er sich zu einem kleinen Ork, der auf einer Schaukel saß, und befahl ihm, den bleichen Ork darüber in Kenntnis zu setzen, dass er gefunden habe, wonach er suche.

Wenig später war der Große Ork wieder am Singen und seine Minions durchsuchten die Besitztümer der Zwerge.
Naira war von der Orkhand über dem Mund erlöst worden, unter der Bedingung, dass sie keine frechen Kommentare mehr von sich gab und dem Großen Ork nicht mehr widersprach. Es hatte sie nicht erfreut, aber wenigstens hatte sie nichts Schleimiges mehr vor dem Mund.
Einer der Orks zog Orcrist und warf es erschrocken quietschend zur Seite. Sofort beendete der Große Ork seinen grauenhaften Gesang und verkrümelte sich auf seinen Thron.
"Ich kenne dieses Schwert!", rief er voller Angst. "Es ist der Orkspalter, der Beißer,...!"
Unter den Orks brach Panik aus und sie stürzten sich auf die Zwerge und das Halbblut.
"...die Klinge, die eintausend Hälse durchschnitt!"
Er befahl, die Gemeinschaft zu zerschneiden und sie zu töten. 
Einige Orks hatten sich Thorin gekrallt und wollten ihm den Kopf abtrennen.
"Nein!"
Ein blendend helles, rotes Licht breitete sich von der Stelle aus, wo Naira stand. Die Orks wurden zurückgeschleudert und als das Licht sich verzog, waren aller Augen auf die junge Frau gerichtet. Sie stand aufrecht, umgeben von Flammen, inmitten eines Haufens toter, kleiner Orks. Ihre Augen glühten rot und ihre Haare wehten um ihren Kopf.
Als sie ihre Stimme erhob, klang sie nicht wie sie selbst: Sie war tiefer, kraftvoller, mächtiger, durchdringender: "Fasst ihr meine Gefährten an, schaut ihr sie auch nur schief an, dann trifft euch meine Rache. Und sie wird grausam sein. Was immer ihr hier unten tut, was immer Azog, der Schänder, seinen Gefangenen antut, wird sich wie Kitzeln anfühlen, im Vergleich zu dem, was ich euch antun werde!"
Dann verschwanden die Flammen und Naira nahm wieder ihre normale Gestalt an. 
Die Orks schauten sowohl ungläubig als auch verängstigt.
In diesem Durcheinander hatte niemand mitbekommen, dass Gandalf sich in die Orkstadt geschlichen hatte. Nun machte er sich bemerkbar.
"Nehmt eure Waffen", befahl der Zauberer. "Kämpft. Kämpft!"
Und damit griff er an.
Die Zwerge und Naira suchten ihre Waffen zusammen und warfen sich ebenfalls ins Kampfgetümmel.
Eigentlich hatte das Halbblut seine Drohung wahr machen wollen, doch es war von Balin aufgehalten worden, der gewarnt hatte, dass es alles anzünden würde.
Also musste es sich wohl oder übel darauf beschränken, den Orks tödliche Wunden zu verpassen.
Naira und Thorin warfen den Großen Ork mit geballter Waffenkraft in seinen Thron. Dieser zerbrach und fiel über den Rand der Plattform. Mit nichts, das ihn hätte aufhalten können, folgte ihm der Orkkönig.
"Folgt mir!", kommandierte Gandalf. "Schnell!"
Und so liefen sie hinter Gandalf her. Er schien sich sehr gut auszukennen. Naira hegte den Verdacht, dass er nicht zum ersten Mal dort war.
Da brach der Große Ork vor ihnen durch die Brücke und baute sich vor ihnen auf.
Die Zwerge wichen hinter Gandalf zurück, doch Naira hatte ein Hühnchen mit dem Ork zu rupfen und versuchte, sich vorzudrängeln. Sie wurde von einem kräftigen Arm, der sich um ihre Hüfte schlang, aufgehalten.
"Lass Gandalf das regeln", empfahl Kili, zu dem der Arm gehörte.
Wäre es Thorin gewesen, hätte sie sich gewehrt und ihm die Meinung gegeigt. So beschränkte sie sich jedoch darauf, beleidigt zu grummeln, während Gandalf den Großen Ork erledigte.
Sie wollten gerade ihren Weg fortsetzen, da gab die Brücke unter ihnen nach und sie fuhren mit der Brücke in die Tiefe wie im Winter mit einem Schlitten einen Abhang hinunter. Und wieder einmal musste Naira sich eingestehen, dass die Fahrt abwärts unter anderen Umständen ganz lustig gewesen wäre.
Als sie unten ankamen, waren die meisten unter dem Holz begraben. 
Gandalf und Naira waren die Ersten, die sich wieder aufrappelten, bevor sie dann ihren Gefährten auf die Füße halfen.
"Lächle und sei dankbar, es hätte schlimmer kommen können", klugscheißerte Naira, während sie sich Mühe gab, den verschütteten Thorin zu befreien.
Kaum hatte sie den Satz beendet, da fiel der tote Große Ork auf den Haufen aus Zwergen und Holz.
"Ich lächelte und war dankbar", beendete der Zwergenkönig den Satz, den er und Naira zum Besten gegeben hatten, wenn ihre Streiche schief gegangen waren und sie dann auch noch erwischt worden waren, "und es kam schlimmer."
Naira kicherte.
"Gandalf!" rief Kili und riss Naira aus ihren Erinnerungen.
Alle folgten dem Blick des Zwergs und sie erblickten eine Horde Orks, die auf sie zu kam.
"Das sind zu viele, wir können sie nicht bekämpfen!", erkannte Dwalin.
"Nur eine Sache kann uns jetzt noch retten: Tageslicht!", meinte Gandalf.
Also befreiten sie auch die letzten Zwerge und rannten wieder los.

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Übersetzungen
Noro mi maw pale teliâdhys! Amin feuya ten' le! - Geht in den Dreck, wo Ihr hergekommen seid! Du widerst mich an!

Naira - Flammenherz (Der Hobbit)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt