Kapitel 3

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Am nächsten Morgen machte ich mich auf dem Weg in die Schule. Finn ist ohne mich los gefahren und Mom schlief steinfest nach ihrer langen Schicht. Ich hatte in der ersten Stunde Geschichte. Also brauchte ich mein Geschichtsbuch aus meinem Schließfach. Wie jeder Morgen waren die Korridore überflutet mit hormongesteuerte Teenagers. Hyperaktive Schüler, knutschende Liebhaber, plaudernde Leute und die Liste könnte weitergehen. Ich lief zum Schließfach. Dabei trafen meine Augen die meines Bruders. Er stand mit seinen Freunden vor einer Klassenzimmertür, die eine Minute von meinem Schließfach entfernt war. Von der Seite bemerkte ich ihre Blicke. Warum starren sie mich so an? Haben sie kein Leben? Im selben Moment wo ich mein Schließfach öffnete, verstand ich weshalb sie mich erwatungsvoll angeschaut haben. Ich war das große Schauspiel! Ich wischte das klebrige, schleimige, blaue Zeug aus meinem Gesicht. Es klebte einfach überall. An meine Haare, an meine Kleider, an meinem Hals. Ich glaube ich habe auch etwas in den Ohren. Vorallem stank das Zeug nach verfaulten Eier und Holzkleber. Meine Bücher und Sporttasche im Schließfach waren ebenfalls mit blauem Zeug überdeckt. Gelächter hallte durch den ganzen Korridor. Ich drehte mich um. Sofort suchte ich mit meinen Augen Finn. Er stand grinsend in der Ecke mit seinen Freunden und damit mit der halben Basketballmannschaft. Sie lachten sich kaputt über mich. Einer äffte sogar mein Gesichtausdruck als das Zeug auf mein Gesicht explodierte. Ich knirschte die Zähne zusammen. Wie konnte mein Bruder, der Mann in der Familie der mich eigentlich beschützen sollte, so etwas zu lassen? Warum hat er nicht seine Freunde gestoppt? Wahrscheinlich weil er es mit geplant hat! Meine Augen tränten leicht. Ich fühlte mich erniedrigt und leblos. Es ist als ob der Boden unter meinen Füßen beraubt wurde und gleichzeitig ein Teil meiner Seele mitgenommen hätte. Mein ganzes Selbstvertrauen oder zumindest was übrig geblieben ist, war nun weg. Ich hatte so was von keine Lust mehr hier zu bleiben. Ich hatte genug von diesem Mobing, von diesen blöden Streichen, de nie aufhören. Ich hatte es satt von meinem Bruder und seine Freunde fertig gemacht zu werden. Die Wut gab mir Mut meine Füße zu bewegen. Ich stellte mich genau vor Finn und umarmte ihn fest. „Ich hasse dich.", flüsterte ich ihm ins Ohr und ließ ihn los. Sein T-Shirt war nun ebenfalls mit dem blauen Zeug verschmiert. Ich ignorierte alle um mich herum. Ich hob mein Kopf hoch und starrte irgendwo in die Luft und machte mir einen Weg durch die Menge. Ich schaute niemanden an. Ich lief einfach gerade aus und verließ die Schule. Immer wider ermahnte ich mich nicht zu weinen. Sie haben nie meine Tränen gesehen und werden es auch nie. Ich wählte Moms Nummer.

„Mom, kannst du...."

„Ich kann gerade nicht Carona, wir reden später. Ich muss schnell in die Arbeit."

„Mom ich stecke in...", versuchte ich ihr klar zu machen, dass ich ihre Hilfe brauchte, jedoch legte sie bereits auf. Ich schaute fassungslos mein Handy an. Ich hatte keine Kontrolle mehr über meine Emotionen. Ich fang an zu heulen. Wie sehr hasste ich mein Leben! Ich hasste es seitdem mein Vater gestorben ist. Ich will hier weg. Ich bestellte ein Taxi, denn auf keinen Fall laufe ich so nach Hause. Der Fahrer sah mich an als ob ich vom Himmel gefallen wäre. „Fragen Sie nicht. Fahren Sie einfach.", bat ich ihn. Er nickte schulterzuckend und brachte mich nach Hause. Daheim ging ich schnell unter die Dusche und versuchte dieses klebrige Zeug abzuwaschen. Als ich nicht mehr nach verfaulten Eiern stank, gab ich mich zufrieden. Jedoch als ich vor meinem Spiegel stand, schrie ich laut. Meine Haare waren ganz blau! Sie haben blaue Haarfarbe rein getan!

„Finn! Ich bring dich um!" Zornig warf ich meine Haarbürste auf mein Bett und plumpste auf die weiche Matratze. Ich schloss meine Augen. Zum ersten Mal seit Dads Tod fühlte ich mich richtig erschöpft. Ich fühlte mich ausgelaugt, ausgegrenzt und ahnungslos. Ich wollte und erhoffte etwas anderes aus meinem Leben. Ich wollte wahre Freunde haben, eine warme Familie wo sich jemand um mich kümmert, ich will, dass die Leute mich akzeptieren für das was ich bin und vor allem will ich meine Ruhe. Es ist anstrengend jeden Tag durch die Schulkorridore zu laufen mit hohem Kopf und die zahlreichen missachtungsvolle Worte und Blicke der anderen zu ignorieren. Vorallem da man es auch nie von seinem eigenen Bruder jemals erwarten würde. Ich klatschte mir die Hände auf die Wangen. Ich habe vollkommen Dads Tagebuch vergessen! Da ich auch alleine Zuhause war, würde mich auch keiner stören. Ich lief schnell zu meinem Kleiderschrank und holte das schwarze Lederbuch und das Schlüssel heraus. Ich setzte mich auf meinem Bett und öffnete das Schloss. Mit einem leichten Klick, ging das Buch auf. Ich erkannte sofort Dads Handschrift auf der ersten Seite. Für die, die ihren Weg so wie ich suchten.

Was meinte er damit? Welchen Weg hat er gesucht? Ich blätterte eine Seite weiter. Jedoch war nichts dort zu sehen. Es handelte sich um eine leere Seite. Ich blätterte weiter und stellte fest, dass das Tagebuch leer war. Nichts war geschrieben außer diesem Satz auf der ersten Seite. Ich runzelte verwirrt die Stirn. Warum sollte mein Vater ein leeres Tagebuch im Parket versteckt haben, das ebenfalls einen kleinen Schloss besaß? Ich legte das Buch vor mich auf dem Bett und starrte es für eine Weile. Für die, die ihren Weg so wie ich suchten...es klang bekannt. Wo habe ich es gelesen oder gehört? Ich sprang auf und ging schnell zu meinem Bücherregel. Es war ein Zitat aus dem Buch, das Dad mir ein Jahr vor seinem Tod geschenkt hat. Es war nicht richtig ein Buch. Es war eine Sammlung von Gedichten, die er entweder selbst geschrieben hat oder von anderen bekannten Dichtern bewahrt hat. Ich öffnete die Seite die Dad zitiert hat. Es war sein eigenes Gedicht. Es ging um einen jungen Mann, der sein Weg im Leben suchte, und viele gefährlich Zweigwege im Leben genommen hat. Warum hat aber Dad dieses Gedicht zitiert? Mir fiel auf, dass einige Seitennummern dicker gedruckt waren als andere. Merkwürdig...es könnte sich nicht um einen Hinweis handeln, oder? Ich nahm schnell ein Blattpapier und schrieb die Ziffern auf.

1 ; 5 ; 8 ; 12 ; 19 ; 20; 21 ; 93 ; 212

Warum waren sie fett gedruckt? Ich überlegte kurz nach. Dad und ich haben mal ein Codierungsprogramm geschrieben. Buchstaben wurden in Ziffern umgewandelt. Probieren wir es mal aus.

A E H L S T U...

93 müsste IC sein. Sie waren zusammen. Nacheinander.

212 müsste dann BL sein. Also noch mal A E H L S T U IC BL

Es machte kein Sinn. Ich schaute die Buchstaben genauer an. Was für ein Wort würde diese Buchstaben beinhalten? Ich kombinierte alles Mögliche bis mir plötzlich eine Idee kam. BLAU...Natürlich! B L A U E S L I C H T...blaues Licht.

Was meinte er mit blauem Licht? Ich seufzte. Noch ein Rätsel.

Mein Blick wanderte durch mein Zimmer in der Hoffnung, dass plötzlich die Antwort auf den Wänden auftauchte. Mein Blick hackte auf meinem Arbeitstisch. Genauer gesagt die erste Schublade. Dort bewahrte ich ein silbriger Kugelschreiber, den Dad mir damals gegeben hat. Das besondere an dem Kuli war, dass er mit einer kleinen UV-Lampe ausgestattet war. UV...blaues Licht. Natürlich! Es strahlte ein blaues Licht. Ich öffnete die Schublade und holte den Kuli heraus. Ich habe den Kuli nie benutz. Sein Wert war immer mehr sentimental als materiell. Ich drehte den Kuli oben und ein kleiner Lichtstrahl war auf meiner Hand zu sehen. Blau! Was soll ich jetzt aber damit...Nein! Meine Augen wurden ganz groß. Sie wanderten zum schwarzen Buch. Er hätte nie...nein...das wäre zu James Bond mäßig...aber diese Hinweise...nein...doch? Ich ging schnell zum Buch und bestrahlte mit der UV-Lampe die leeren Seiten. Mein Gott! Da standen Sachen drin. Ich setzte mich hin und fing gespannt alles zu lesen. Als ich fertig war wusste ich nicht was ich aus meinem Leben machen soll. Mein Vater war ein Dieb?!

CaronaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt