~ 16.2 ~

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Einen Moment herrschte vollkommene Stille, lediglich das Halten der Leitung verursachte ein leises Hintergrundrauschen, bevor die kratzige Stimme des Älteren leise durch das Telefon an mein Ohr drang »Tae? Alles gut bei dir?«

Ich musste ein Schluchzen unterdrücken. Selbst am Telefon fiel es mir schwer, meine wahren Gefühle vor Yoongi zu verbergen, immerhin kannten wir uns schon viel zu lange, als dass das jemals von Nöten gewesen wäre. »Ja klar«, erwiderte ich bitter. »Jeongguk hasst mich, in der Schule hinke ich hinterher und zu allem Überfluss habe ich wahrscheinlich noch bis auf die Knochen blamiert, aber sonst geht's mir blendend.« Meine Stimme triefte nur so vor Sarkasmus.

Ich konnte Yoongis besorgten Gesichtsausdruck quasi vor mir sehen. »Vergiss den Typen, er ist einfach ein Arschloch, der dich höchstwahrscheinlich nur ausnutzen wollte. Sowas hast du nicht verdient.« Seine Stimmfarbe nahm einen weicheren Klang an. »Das wird schon wieder.«

Mittlerweile war ich, wie schon vermehrt in der vergangenen Woche, innerhalb kürzester Zeit zu einem heulenden Häufchen Elend verkommen, unaufhörlich rollten mehr Tränen meine geröteten Wangen hinunter; um nicht laut aufzuschluchzen, hatte ich das Gesicht schnell in der Bettdecke vergraben.

Es fühlte sich an, als hätten sich die ganzen letzten Jahre der Emotionslosigkeit und Gefühlskälte in mir aufgestaut, um jetzt unkontrolliert aus mir herauszuplatzen.

Kein Wunder, dass Jeongguk sich insgeheim gewünscht hatte, mich niemals kennengelernt zu haben; ich mochte mich derzeit selbst nicht besonders.

»Taehyung, wie wärs, wenn du erstmal aufstehst?«, brummte Yoongi.

Perplex hob ich meinen Kopf, um verwirrt den Hörer anzustarren. »Woher weißt du, dass ich noch im Bett liege?«, schniefte ich. »Es ist«, kurz schielte ich auf meine Armbanduhr, welche ordentlich auf meinem Nachttisch platziert lag, »bereits später Nachmittag.«

»Ich kenne dich«, erwiderte mein bester Freund nur mit fast niederschmetterndem Überdruss in seiner Stimme. »Wahrscheinlich hast du in der vergangenen Woche nichts anderes getan und geduscht hast du, möchte ich wetten, seitdem auch nicht mehr.«

Zu gern hätte ich ihm widersprochen, doch ein Geruchstest an dem fleckigen Shirt, welches ich gerade am Körper trug, untermauerte diese Behauptung schmerzlich. »Ich will aber nicht«, nuschelte ich unwirsch, immer noch halb in meine zerknitterte Decke gewickelt.

Ein tiefer Seufzer Yoongis drang durch das Telefon. »Ich sag es ja nicht gern, aber vielleicht solltest du noch ein abschließend klärendes Gespräch mit diesem Typen führen. Ich kenne dich zu gut, Taehyung. Wenn du das jetzt nicht tust, wirst du ihn weiter auf ein Podest stellen, ihn idealisieren, wo es nur geht und wieder die komplette Schuld bei dir suchen. Triff dich mit ihm, schrei dir von mir aus alles von der Seele und realisier, was für ein Mistkerl er ist. Danach fällt es dir mit Sicherheit etwas leichter, damit abzuschließen.«

Augenblicklich beschleunigte sich mein Herzschlag. Seit einer Woche hatte ich nun keinen Kontakt mehr zu Jeongguk gehabt, wobei er auch keinen Kontakt zu mir gesucht hatte, und es fühlte sich mittlerweile fast an wie ein kalter Entzug.

Ich wusste nicht, ob ich stark genug war, ihm nochmal unter die Augen zu treten. Andererseits hatte Yoongi vielleicht Recht.

Ich neigte dazu, die Schuld immer zuerst bei mir zu suchen, was jedoch schlicht daran lag, dass ich es häufig verbockte.

»Ich weiß nicht«, brummte ich nur unschlüssig Yoongi entgegen.

»Tae, du weißt, ich wär der Letzte, der sowas normalerweise vorgeschlagen hätte, aber ich denke tatsächlich, dass es das Beste wäre, um über die ganze Geschichte langfristig hinwegzukommen«, entgegnete der Ältere ernst.

DAS LACHEN DER TRAUERWEIDEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt