Meine Mutter verzog ihre schmalen Lippen zu einem überlegenden Grinsen.
Perplex musste ich sie angeschaut haben, doch ich sah sie bereits nicht mehr. Nachdem diese Worte ihren Mund verlassen hatten, schien mein Gehirn gänzlich auszusetzen, so übermächtig schwoll der Schmerz, den die letzte Aussage verursacht hatte, in meiner Brust an.
Ich spürte etwas Heißes, Nasses meine Wangen hinablaufen, ich wollte schreien, wollte meiner Wut freien Lauf lassen, doch da war keine Wut mehr; mein gesamter Körper schien an Statik zu verlieren, als wäre ich gerade einen Marathon gelaufen, verloren meine Gliedmaßen nach und nach an Kraft.
Am Rande meiner Aufmerksamkeit vernahm ich die tiefe, durchdringende Stimme seines Vaters, der nun auch eindringlich begonnen hatte, auf meine Mutter einzureden, mir hingegen war das vollkommen egal.
Es war zu spät.
Wie durch Schaumstoff nahm ich die äußerlichen Einflüsse, die unbarmherzig auf mich niederprasselten, wahr; meine Eltern, die abwechselnd sich gegenseitig und mich anschrien, mein immer schneller schlagendes Herz, welches unablässig Blut durch meine Adern pumpte; es war, als würde es die zähflüssige, hellrote Flüssigkeit in meinen Ohren zum Rauschen bringen und sämtliche übrigen Geräusche um mich herum verschlucken, sodass ich gänzlich allein war.
Nur meine Gedanken und ich.
Meine Mutter liebt mich nicht. Sie.. sie verabscheut mich wegen dem, der ich wirklich bin.
Immer wieder wiederholten sich diese Sätze in meinem Kopf, währenddessen konnte mein Körper nichts anderes tun, als starr zu stehen und abzuwarten, welche Reaktionen meine überkochenden Gefühle noch hervorrufen würden.
Als ich einen festen Griff an meiner Schulter spürte, kehrte jedoch plötzlich neues Leben in meine erschlafften Glieder zurück.
Wie ein, auf der nächtlichen Landstraße von übergroßen Scheinwerfern geblendetes, Reh riss ich entsetzt die Augen auf und entzog mich rasch dem unfreiwilligen Körperkontakt.
Mein Kopf war leer, doch mein Körper schien etwas für mich bereitzuhalten. Wie von selbst hastete ich übereilt in mein Zimmer und knallte mit voller Wucht die Tür hinter mir zu, bevor ich auch schon den Schlüssel im Schloss gedreht hatte.
Durch den dichten Tränenschleier blinzelnd, kramte ich mein Handy hervor, ehe bereits das Freizeichen ertönte, nachdem ich Jeongguks Nummer gewählt hatte.
Währenddessen fischte ich eine große Sporttasche unter meinem Bett hervor und begann wahllos Habseligkeiten hineinzuwerfen: Ein paar Schulutensilien, Klamotten, Fotos, das zerknickte Buch, was am Kopfende meines Bettes steckte; ich dachte nicht darüber nach, sondern griff lediglich, was gerade in Reichweite war.
Mittlerweile waren einige Minuten vergangen und auch nach multiplen Versuchen war der Jüngere nicht zu erreichen.
Verzweifelt drückte ich erneut die Kurzwahltaste, auf der ich seine Nummer eingespeichert hatte und ließ einen frustrierten Schrei los, als nichtmal mehr das Freizeichen ertönte.
Das durfte doch nicht wahr sein.
Mein Herz, welches sich zurzeit anfühlte, als seien ihm unzählige Schnitte zugefügt und es danach in konzentriertem Alkohol eingelegt worden, zog sich schmerzhaft zusammen bei dem Gedanken, was gerade bei dem Jüngeren los war.
Eigentlich hob er immer ab, wenn ich anrief.
Da vernahm ich zaghafte Schritte, die sich scheinbar meinem Zimmer näherten, doch bevor jemandes Fingerknöchel auch nur Anstalten hatten machen können, an meiner Tür zu klopfen, hatte ich sie auch schon erneut aufgesperrt und aufgerissen, die übergroße Kapuze tief ins Gesicht gezogen, und war an den davor befindlichen Personen vorbeigestürmt.
Ich wollte nichts mehr hören, keine Entschuldigung, keine Rechtfertigung, ich wollte einfach nur hier weg.
Mit großen Schritten hechtete ich durch den Wohnraum, zwar vernahm ich dumpf die Stimmen meiner Eltern, die mir etwas hinterherzurufen schienen, jedoch lief ich unbeirrt weiter, bis mich schließlich die frische Winterluft beinahe sanft umhüllte.
Doch ich dachte nicht daran, stehen zu bleiben, immer schneller rannte ich, meine Gedanken taten es dem Körper gleich, unaufhörlich rasten sie durch die engen Windungen meines Hirns.
Verzweifelt nach Luft schnappend blieb ich schließlich stehen, als mich wirklich die letzten Kraftreserven verließen; ich wusste weder wie lange ich gerannt war, noch wohin.
Unwirsch blinzelte ich durch die dicken Tränen, die weiterhin aus meinen Augenwinkeln strömten und mir die Sicht verschleierten, da erkannte ich erst, wo meine Füße mich, nach der Abdankung meines Gehirns, hingetragen hatten:
Ich stand vor Jeongguks Anwesen.
Still und andächtig erhob es sich wie eine alte Ritterburg zwischen der gänzlich unberührten Natur.
Mein Herzschlag setzte für einen Moment aus; ich durfte doch überhaupt nicht hier sein. Wie oft hatte mir der Jüngere nun bereits vorgebetet, dass ich hier nichts verloren hatte?
Doch, wenn das gerade keine Ausnahmesituation war, dann wusste ich auch nicht weiter; immerhin war ich effektiv obdachlos, zumindest hatte ich bereits für mich beschlossen, bis auf Weiteres nicht mehr nachhause zurückzukehren.
Vielleicht könnte ich ihm die Situation erklären und er würde eine Ausnahme machen, wenn ich ihm schwor, mich vor seinen Eltern nicht zu blamieren.
Eventuell würde ich sogar bei ihm unterkommen können.. Mein Herz beschleunigte seine Tätigkeit bei dem Gedanken, den Jüngeren tatsächlich jeden Tag sehen zu können, ihn anfassen zu können und-
Halt, darum geht es hier nicht, unterbrach ich mich.
Erneut versuchte ich Jeongguk über mein Telefon zu erreichen, doch scheinbar hatte er sein Handy ausgeschaltet, denn es ertönte nichtmal mehr ein Freizeichen.
Ob er noch in Seoul war? Oder bereits zuhause?
Ich spielte mit dem Gedanken, das Anwesen einfach mal zu betreten und ganz dreist zu klingeln.
Immerhin meinte ich mich erinnern zu können, dass Jeongguk erwähnt hatte, seine Eltern seien wieder im Ausland. Im schlimmsten Fall würde mir also einfach niemand die Tür öffnen.
Ohne groß weiter darüber nachzudenken, legte ich meine Finger um das ausgekühlte Metall des gusseisernen Tores und drückte die schwere Pforte mit einem langgezogenen Quietschen auf.
Neugierig sah ich mich um, ehe ich auch schon den ersten Fuß auf den gepflasterten Weg, der sich akkurat durch den gepflegten Garten schlängelte, setze und unmittelbar vor der großen, hölzernen Haustür endete.
Mit Bedacht schritt ich über die grauen Pflastersteine voran, meine Sporttasche locker über die Schulter geworfen, bevor ich ein letztes Mal die Kurzwahltaste drückte, um den Jüngeren zu erreichen, doch vergeblich.
Langsam erklomm ich die wenigen steinernen Stufen, die zur, aus dunklem Holz bestehenden, Eingangstür führten, welche ein großer eiserner Türklopfer zierte, welcher aufgrund der Witterung bereits angelaufen war.
Stutzig ließ ich meinen Blick schweifen. Musste ich mich jetzt tatsächlich durch diesen schweren Henkel bemerkbar machen wie in einem Agatha-Christie Roman?
Das Setting würde in jedem Fall passen, dachte ich stumm.
Ich konnte mir kaum vorstellen, dass der Jüngere tatsächlich in diesem alten Gemäuer aufgewachsen war.
Mein Blick blieb an einem kleinen, goldenen Schild hängen, welches, halb von Efeu und anderen Schlingpflanzen überwuchert, am seitlichen Torbogen, welcher die schwer wirkende Eingangstür umrahmte, befestigt war; in zarten, geschwungenen Lettern war Jeongguks Familienname in das Metall graviert, unmittelbar darunter entdeckte ich auch schon den kleinen, ebenfalls goldenen Klingelknopf.
Hektisch fuhr ich mir mit einer Hand nochmal durch die vermutlich zu allen Seiten abstehenden Haare, nachdem die Kapuze des wohlriechenden Pullovers sich wieder locker in meinem Nacken befand, ehe ich mir mit den Handrücken unwirsch über die geröteten Wange und die vermutlich geschwollenen Augen rieb, um die bereits getrockneten Tränenbahnen so gut es eben ging, zu entfernen.
Gerade wollte ich den güldenen Knopf herunterdrücken, da drang ein jäher Aufschrei aus dem Inneren der alten Mauern an meine Ohren.
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DAS LACHEN DER TRAUERWEIDE
Fanfiction𝗼𝗻𝗴𝗼𝗶𝗻𝗴 ❝In der Ferne war er bereits zu hören. Der galoppierende Herzschlag der alten Dampflok, welcher sich unweigerlich näherte. Die Miene des Jungen versteinerte, behutsam bettete er seine Wange unmittelbar auf dem kühlen Stahl, die Schien...