»J-Jeongguk«, riss mich eine engelsgleiche Stimme aus meinen düsteren Gedanken.
Den Blick immer noch fest auf die sich mir nähernde Gestalt gerichtet, tat ich einige unbeholfene Schritte rückwärts.
Er durfte nicht näher kommen, ich würde ihn ins Verderben stürzen, ich war Schuld.
Angsterfüllt blickte ich in die Augen meines Gegenübers, der sich krampfhaft die Tränen aus dem Gesicht zu wischen schien, ehe er kraftlos seinen Arm ausstreckte, als wolle er mich über die Entfernung hinweg berühren.
Zischend rückte ich daraufhin noch etwas weiter von ihm ab, obwohl jede Faser meines Herzens sich nach seinen Berührungen sehnte. Nach seinem Duft. Nach seiner bloßen Nähe.
Als würde es mich davor bewahren, ihm näher zu kommen, grub ich meine Nägel noch etwas tiefer in den Baum neben mir.
»Ggukie, ich bins«, flüsterte der silberhaarige Engel, welchen mittlerweile bereits nur noch wenige Meter von mir trennten.
Sacht pirschte er sich an, als sei er ein Jäger auf der Lauer und ich seine arglose Beute.
Dabei war es in Wahrheit doch genau umgekehrt.Schmerzhaft begann ich mich zu räuspern, ehe auch ich meine Stimme erhob, die in der Realität noch einiges schlimmer klang als in meiner Vorstellung: »Tae, nein bitte nicht«, wollte ich sagen, jedoch fühlte es sich bei jedem Versuch, meine Stimme zu benutzen an, als hätte ich Sand im Mund.
Krampfhaft musste ich husten, währenddessen spürte ich bereits, wie das verklumpte Blut sich mühsam einen Weg meine Kehle hinaufbahnte.
Ich hatte doch alles getan, um den Silberhaarigen zu vergessen. Hatte alles getan, um ihn hinter mir zu lassen, wie konnte das Universum mich also auf eine derart lachhafte Art und Weise nun so vorführen? Wollte es mich meiner Fehler bewusst werden lassen oder mich lediglich weiter foltern?
Zwar spürte ich schon wieder mehr und mehr, wie mich meine Kräfte verließen, doch ich schaffte es nicht, mich von dem fesselnden Blick Taehyungs zu lösen und endlich das Weite zu suchen.
Mit jeglicher Geistesstärke, die in meiner Macht stand, versuchte ich, meine Augen abzuwenden, wie ein Fisch auf dem Trockenen wand ich mich, um nicht länger die Furcht in seinen Augen sehen zu müssen, nicht das kraftlose Zittern seiner Glieder geschweige denn den Funken Hoffnung, der noch in seinem Blick zu liegen schien, seine Iris funkelte mir indes in einem hellen Bernsteinton entgegen und veranlasste mein Herz dazu, sich schmerzvoll zusammenzuziehen.
Ich musste so schnell wie möglich hier weg.
Hilflos war ich gezwungen mitanzusehen, wie immer mehr Tränen aus den Augen des Älteren strömten, seine zerkratzten Wangen benetzten und schließlich auf den harten Waldboden tropften, währenddessen drängte er mich immer weiter zurück; verzweifelt löste ich meine mittlerweile blutigen Fingernägel von der morschen Rinde und hechtete einige Schritte rückwärts, doch der Schwindel legte sich, als hätte er bereits auf der Pirsch gelegen, wie dichter Nebel um meine Glieder, beschwerte sie und zwang mich unmittelbar in die Knie.
Nein, nein, nein, noch nicht, fluchte ich tonlos.
Pfeifend füllte ich meinen noch funktionalen Lungenflügel mit der modrigen Luft, die sich zusätzlich wie Blei auf meine Schultern legen zu schien.
Ich machte mich bereits auf den harten Aufprall gefasst, der meinem erschlafften Körper unmittelbar bevorstand, da legten sich zwei starke Arme um meine Taille und drückten mich fest an einen erhitzten Körper.
Mir blieb die Luft weg, keuchend hustete ich etwas Blut, als ich warme Hände auf meinem Oberkörper vernahm, die rasch unter meinen Mantel fuhren und zart über meine eiskalte Haut glitten; sofort schickten die sanften Berührungen pulsierende Stromstöße durch meinen bebenden Körper und wurden nochmal um ein Vielfaches verstärkt, als die kratzige Stimme Taehyungs erklang; leise spürte ich das tiefe Brummen in meiner eigenen Brust, welches eine erneute Welle aus Scham und Schuldgefühlen über mich brachte.
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DAS LACHEN DER TRAUERWEIDE
Fanfiction𝗼𝗻𝗴𝗼𝗶𝗻𝗴 ❝In der Ferne war er bereits zu hören. Der galoppierende Herzschlag der alten Dampflok, welcher sich unweigerlich näherte. Die Miene des Jungen versteinerte, behutsam bettete er seine Wange unmittelbar auf dem kühlen Stahl, die Schien...