Kapitel 8 - Fragen und Erklärungen

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Am nächsten Tag wachte ich vor Aufregung schon bei Sonnenaufgang auf. Weil ich nicht mehr einschlafen konnte, besuchte ich Vater und redete mit ihm. Ich stellte mir gern vor, er könne mich hören, auch wenn das wahrscheinlich nicht der Fall war, aber was konnte es schon schaden.

Das Frühstück schien sich ewig hinzuziehen und ich fühlte mich die ganze Zeit, als säße ich auf glühenden Kohlen. Erst als alle fertig waren, konnte ich endlich aufstehen und verkünden, ich würde einen Spaziergang im Park unternehmen, was diesmal sogar die Wahrheit war, nur dass mich eine ganz bestimmte Person dabei begleiten würde.

»Was für eine nette Idee, Lucy. Ich komme mit dir, das Wetter ist heute doch so schön« verkündete Mutter erfreut. Nein, nein, nein, das durfte jetzt nicht wahr sein! »Ähm, das geht nicht« stammelte ich. »Audrey wird da sein und sie wollte etwas mit mir besprechen, da wäre es ihr sicher nicht recht, wenn du dabei wärst«.

Mutter lächelte gütig. »Natürlich« sagte sie. »junge Mädchen sollten füreinander da sein. Ich werde Josepha sagen, sie soll sich mit dem Mittagessen heute Zeit lassen«. Dankbar nickte ich. Bei Gelegenheit musste ich Audrey unbedingt davon erzählen, nicht dass es noch zu Missverständnissen kam! Natürlich konnte ich ihr nicht sagen, dass ich mich mit einem völlig Fremden traf, der Vampire tötete und Bücher klaute, aber Audrey hatte die angenehme Eigenschaft genau zu wissen wann es besser war keine Fragen zu stellen.

Wenig später stand ich aufgeregt vor dem imposanten Tollgate in Hyde Park Corner und wartete. Ich war ein wenig zu früh dran, wir hatten zehn vereinbart, aber ich hatte auf keinen Fall zu spät kommen wollen. Nervös knetete ich meine Finger. Endlich würde ich Antworten auf all die Fragen bekommen, die ich mir seit Wochen stellte. Dieser Gedanke ließ mein Herz unvermittelt schneller schlagen und ich konnte mein Lächeln nicht zurückhalten.

»Warum so fröhlich, Madam?« sagte eine Stimme hinter mir. Abrupt drehte ich mich um. »Wie schön, dass sie es doch noch geschafft haben. Ich dachte schon sie hätten mich vergessen«. Lord Salvertons Mundwinkel zuckten leicht. »Genau genommen bin ich fünf Minuten zu früh«. Er streckte mir galant seinen Arm entgegen. »Darf ich bitten?«. Ich hakte mich vorsichtig bei ihm ein. Heute sah er deutlich ordentlicher aus als letztes Mal.

Sein eigenes Haar wurde von der Perücke vollständig verdeckt und auf seinem dunkelgrünen Gehrock konnte man keine einzige Falte erkennen. Wie schade, es hatte ihm so gut gestanden! »Seid ihr sicher, dass Hyde Park ein geeigneter Ort für dieses Treffen ist?« fragte ich besorgt, »Jemand könnte uns hören«.

»Ich glaube darüber müssen wir uns keine Sorgen machen. Solange wir es nicht herumschreien, sind wir nur zwei Spaziergänger, die niemand beachtet. Außerdem war ich der Meinung, Ihr würdet den Park einer verlassenen Gasse vorziehen«. Er hielt kurz inne. »Andererseits...wenn ich so darüber nachdenke, scheint ihr durchaus Todessehnsucht zu haben«.

Ich runzelte verächtlich die Stirn. »Ach ja? Als ich euch zum ersten Mal sah, ward ihr gerade dabei einen Vampir zu töten, beim zweiten Mal habt ihr versucht meinen Vater zu bestehlen und das auch noch am helllichten Tag. Ich glaube ihr seid derjenige, der Todessehnsucht hat«.

»Erstens,« setzte er an. »habe ich ihn nicht getötet, sondern nur vertrieben und zweitens wurde ich seit meiner Kindheit darauf vorbereitet. Ihr dagegen wollt ohne Erfahrung oder Übung euren Vater rächen, indem ihr einen Vampir zur Strecke bringt, gegen den ihr keinerlei Chance habt«.

»Richtig« nickte ich. »Und da kommt ihr ins Spiel. Ich brauche jemanden der mir hilft. Jemanden, der mich anleitet und mir alles beibringt«. Lord Salverton seufzte auf. »Ich kann euch unmöglich alles beibringen. Ihr habt in eurem Leben noch nie eine Waffe in der Hand gehalten. Allein für die Grundlagen werden wir Monate brauchen«.

Die sterbliche BaroninWo Geschichten leben. Entdecke jetzt