Mir lief ein Schauer über den Rücken. »Wo sind sie jetzt?«, fragte Mr. Meadows während er eifrig mit der Feder über das Papier kratzte. »Das weiß ich nicht. Ich hab' sie seit Tagen nicht gesehen.« Der Lord verschränkte nachdenklich die Arme vor der Brust und ging langsam im Raum auf und ab.
»Und nun?«, fragte ich. »Wie sollen wir zwei dahergelaufene Vampire ausfindig machen, von denen wir nur die Namen wissen?«
»Uns wird schon etwas einfallen«, sagte er, aber es hörte sich so an, als hätte er sich eben dieselbe Frage gestellt. Eine Weile schwiegen wir alle, dann blickte Mr. Meadows vom Tisch auf. »Was ist mit dem Ball, Caleb?«
»Welcher Ball?«, fragte ich skeptisch und ließ meinen Blick zwischen beiden hin und her wandern. Lord Salvertons Miene hellte sich auf. »Alle paar Wochen veranstalten die Vampire eine Feier. Alle sind eingeladen, egal ob Clanmitglied oder unverschworen. Jeremiah hat Recht, das könnte unsere Chance sein.« Sofort begann mein Herz schneller zu schlagen und ich konnte nicht verhindert, dass sich meine Mundwinkel hoffnungsvoll hoben. »Wann findet der Ball das nächste mal statt?«
»Am letzten Freitag im Mai«, sagte Mr. Meadows. In diesem Moment erbrach sich der Vampir auf den kalten Steinboden. Als ich sah, dass es nichts als schleimiges, dunkles Blut war, wurde auch mir schlecht. Der metallische Geruch stieg mir unangenehm in die Nase und mir wurde ein wenig flau im Magen. Er krümmte sich auf seinem Stuhl, würgte und spuckte bis nichts mehr herauskam. Ein kleiner Teil von mir hatte Mitleid mit ihm, aber noch einmal würde ich darauf nicht hereinfallen. »Was machen wir mit ihm?« Ich hielt den Blick starr auf die kleine Kerze gerichtet, damit ich weder ihn noch das Erbrochene sehen konnte.
Lord Salverton machte ein angewidertes Geräusch. »Wir bringen ihn ins Hauptquartier und dort ist er nicht mehr unser Problem.« Mr. Meadows begann damit, die Blätter einzusammeln und der Lord ging auf den Vampir zu und begann seine Fesseln vom Stuhl zu lösen. »Was wenn wir ihn noch brauchen?«, warf ich ein. »Irgendjemand muss uns doch am Freitag bei den Vampiren einschleusen.« Mr. Meadows schüttelte den Kopf. »Die Nachtwächter haben genügend vertrauensvolle Kontakte. Auf ihn sind wir nicht angewiesen.« Er seufzte tief. »Wir brauchen die Schwestern.«
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Die Tage bis zum Ball kamen mir vor wie eine Ewigkeit. Mutter wollte keine Zeit verlieren und stürzte sich eifrig in die Hochzeitsplanung. Immer wenn sie mit mir stundenlang Stoffmuster durchging oder mich nach meiner Meinung zur Essensauswahl fragte, begann mein Bauch zu kribbeln. Teils vor Aufregung, teils vor Angst. Ich war mir sicher, dass Lord Salverton mich gut behandeln würde, aber trotzdem war ich mir manchmal nicht sicher, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Noch dazu bekam ich ihn im Mai kaum zu Gesicht, was eine Schande war, da sowohl mein Knie, als auch die Schulter wieder völlig verheilt waren. Ständig musste er sich um wichtige Nachtwächter-Angelegenheiten kümmern und wenn er doch einmal Zeit für mich fand, war er nur halbherzig bei der Sache und ich wurde das Gefühl nicht los, dass es etwas mit dem Buch zu tun haben könnte, das er aus Vaters Bibliothek mitgenommen hatte.
Als der Tag des Balls endlich gekommen war, konnte ich vor Aufregung kaum stillsitzen. Nach Sonnenuntergang holte mich der Lord mit der Kutsche ab und als ich einstieg erkannte ich verwundert, dass sie außer uns leer war. »Kommen Mr. Meadows und Paulina nicht mit?« Der Lord zog die kleine Tür hinter uns zu und die Kutsche setzte sich ruckelnd in Bewegung. »Nein, die beiden werden anderweitig gebraucht. Heute sind es nur wir zwei.« Irgendetwas an dieser Aussage ließ mein Herz ein bisschen schneller schlagen. Ich war schon öfter mit ihm alleine gewesen. Aber auf einem Ball, auf dem uns niemand kannte, ohne die wachsamen Augen meiner Mutter... Mein Mund wurde trocken.
»Und wie kommen wir dort hinein? Wir können wohl kaum so tun, als wären wir selbst Vampire.«
»Natürlich nicht«, sagte er. »Wir treffen dort Isadora und Lucretia Doyle. Die beiden sind schon lange Verbündete der Nachtwächter, selbstverständlich darf das niemand wissen. Sie werden für uns bürgen.« Ich runzelte die Stirn. Irgendwie glaubte ich nicht, dass ein Haufen blutsaugender Untoter einfach so ein paar Sterbliche auf ihre Feier lassen würden. Aber mir blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten. Nach einer Weile stellte ich überrascht fest, dass wir London verließen. Wir durchquerten ein kleines Waldstück und kamen schließlich an einem hellerleuchteten Herrenhaus an, aus dessen Innern laute Musik erklang. Der Kutscher hielt die Pferde an und wir traten hinaus in die kühle Nacht. »Wo sind die beiden?«, fragte ich und versuchte mich an die Vornamen zu erinnern.
»Dort drüben«, sagte der Lord und zeigte auf zwei Gestalten, die sich im Schatten einer knorrigen Eiche verbargen. »Darf ich?« Lord Salverton reichte mir seinen Arm und ich ergriff ihn ohne zu zögern. Auch wenn die beiden mit den Nachtwächtern zusammen arbeiteten, hieß das noch lange nicht, dass sie nicht gefährlich waren. »Guten Abend, Lucretia«, sagte er, als wir vor inen standen, und nickte der jüngeren höflich zu. Sie konnte höchstens fünfzehn Jahre alt sein, mit mausbraunem Haar und einem gehetzten Gesichtsausdruck, so wie ein Reh, das jeden Moment zur Flucht bereit war. Die größere dagegen, vielleicht Anfang zwanzig, hatte die steife Haltung eines Schwans und blickte uns durchdringend und stoisch entgegen.
Der Lord hob zur Begrüßung flüchtig die Hand. »Isadora, wie ich sehe ist dein Arm wieder gänzlich verheilt. Ich sollte beim nächsten Mal besser zielen.« Statt einem Lächeln hob sie nur missbilligend die Brauen. »An deiner Stelle würde ich mich mit Sticheleien zurück halten, Ikarus. Wir können euch zwar Zugang zum Ball beschaffen, aber genauso schnell können wir dafür sorgen, dass sich jeder dort drinnen an euch satt trinkt.«
»Ähhm...ja«, stammelte er. »Das würden wir nach Möglichkeit lieber vermeiden. Darf ich euch meine Verlobte vorstellen? Lady Lucinda, auch wenn wir es vorziehen würden heute nicht mit unseren Richtigen Namen angesprochen zu werden. Vor euch stehen Mr. Und Mrs. Baker.« Die Falten auf ihrer Stirn vertieften sich. »Wie originell. Und was treibt Euch dazu einen Nachtwächter zu heiraten, Mrs. Baker?« Ich wurde ein bisschen rot. Was sollte ich darauf auch antworten?
Er hilft mir netterweise dabei meinen Vater zu rächen und hat zugestimmt eine Scheinehe mit mir einzugehen, damit meine Mutter mich nicht zwangsverheiratet. Außerdem hat er schöne Haare und wenn er mich so ansieht wie jetzt werden meine Knie weich und ich fühle mich wie Gelee.
»Er hat ein wirklich hübsches Haus«, sagte ich und Isadoras Mundwinkel zuckten leicht. »Na dann hoffe ich, dass euch dieses hier auch gefallen wird. Sollen wir?«
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Ahhh ich bin so excited! Der Vampirball war eine der ersten Szenen die ich im Kopf hatte, als ich mit dieser Geschichte angefangen habe. Ich hoffe euch gefällt das nächste Kapitel!Byeee
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Die sterbliche Baronin
FantasíaEngland, 1774 Die Londoner Adelsgesellschaft lebt ausgelassen und ohne Sorgen. Mit rauschenden Bällen, prunkvollen Soirees und der neusten Mode aus Frankreich kann man sich leicht die Zeit vertreiben. Lucinda Phillipa Hastings ist Teil dieser Welt...