Es war heiß. Furchtbar heiß sogar. Und eng, aber das machte nichts. Zuerst standen wir nur ein bisschen unbeholfen herum. Wie bewegte man sich zur Musik wenn es keine Regeln gab? Doch dann (und das lag wohl vor allem am Alkohol) zuckte ich mit den Schultern und beschloss es einfach zu versuchen.
Ich fasste ihn an den Händen und begann um ihn herumzutanzen, sodass er sich um die eigene Achse drehen musste. Zuerst ließ er es nur steif über sich ergehen, aber dann seufzte er und zog mich näher an sich. Ein wenig überrascht keuchte ich auf. Er verschränkte seine Finger mit meinen und eine Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus. Wir ließen uns von der Meute mitziehen, drehten uns wild umher und wirbelten durch den Saal ohne feste Schrittfolge. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so viel Spaß gehabt hatte. Auch Lord Salverton lächelte strahlend. Genauer gesagt sah er mich dabei an und ich hatte das Gefühl gleich zu platzen vor Freude.
Nach einer Weile wanderte seine Hand hoch zu meinem Ellenbogen und ich legte ihm ganz automatisch die Arme um den Hals. Meine Fingerspitzen berührten seine Locken und dann lagen plötzlich seine großen Hände auf meiner Taille und umfassten sie. Obwohl immer noch mindestens vier Lagen Stoff zwischen uns waren, wurde mir plötzlich heiß. Nicht nur von der Körperwärme der Umstehenden, sondern von innen heraus. Auch wenn die Musik einen schnellen, aufgeregten Rhythmus hatte, bewegten wir uns jetzt nur noch langsam. Zu mehr wäre ich auch nicht mehr in der Lage gewesen, weil sonst bestimmt meine Knie nachgegeben hätten und auf einmal waren wir uns so nah, dass sich unsere Oberkörper berührten.
Trotz des Lärms hörte ich wie mein Herz viel zu schnell schlug, so laut, dass ich mich wunderte, warum niemand sonst es zu hören schien. Ich schluckte. Der Lord beugte sich zu mir herunter, sodass sein Gesicht an meiner Wange lag. Ich vergrub die Finger in seinen Haaren, drückte ihn näher an mich und versuchte nicht ohnmächtig zu werden. Sein Mund war nur Millimeter von meinem Hals entfernt. So nah, dass ich seinen warmen Atem spüren konnte, der sanft über die Haut unter meinem Ohr glitt. Ich erschauderte.
Meine Augen waren zur Hälfte geschlossen, aber ich konnte sehen, wie sich neben uns ein Paar leidenschaftlich küsste und einige Meter weiter weg hatte eine Frau ihrem Tanzpartner die Hand unter das Hemd geschoben. Ich wusste, dass dieser Ort der reinste Sündenpfuhl war und ich schleunigst von hier verschwinden sollte. Aber warum nur schmeckte die Sünde so unerträglich süß? Plötzlich war das Lied zu Ende und die Musik verstummte.
Als hätte er sich verbrannt ließ Lord Salverton von mir ab und trat einen großen Schritt zurück. Ich konnte ihm kaum in die Augen sehen und spürte wie mir das Blut ins Gesicht stieg. Zu allem Übel war mein Gehirn immer noch voller rosaroter Watte (Ich hätte auf keinen Fall soviel trinken sollen) und machte es mir schwer gerade stehen zu bleiben. »Vielleicht sollten wir uns ein wenig abkühlen«, sagte er und nickte in Richtung der Tür.
»Das ist eine gute Idee«, erwiderte ich mit belegter Stimme. Er bot mir seinen Arm an und, nach kurzem Zögern, hakte ich mich bei ihm unter und ließ mich nach draußen führen. Die kühle Luft tat unheimlich gut auf der Haut. Es war eine ausgesprochen schöne Nacht. Sternklar und ruhig. Zu beiden Seiten des Weges waren Laternen aufgestellt worden, die lustige Muster auf die Rinde der Bäume warfen. Wie leuchtende Insekten, die über den Stamm wuselten.
Die Vorstellung war so albern, dass ich zu kichern anfing wie eine Zehnjährige. »Ihr hattet Recht«, sagte ich. »Ich bin betrunken. Aber nur ein bisschen.« Der Lord seufzte wehmütig. »Ich weiß. Ich leider nicht.«
»Das hab ich gemerkt«, sagte ich und grinste dämlich bei der Erinnerung. »War wirklich nicht einfach euch zum tanzen zu bewegen.«
»Ich bin nur froh, dass Ihr euch nicht übergeben habt.« Er hielt inne. »Andererseits kann das noch kommen. Seid bitte so lieb und warnt mich vor.«
»Keine Angst«, behauptete ich, legte den Kopf in den Nacken und atmete tief durch. »Die frische Luft wirkt Wunder, ich bin schon fast wieder nüchtern.« Er lachte spöttisch. »Sehr witzig, Mylady. Ihr könnt euch ja kaum auf den Beinen halten.« Empört über diese unerhörte Anschuldigung stemmte ich die Hände in die Hüften. »Also wirklich, wie unhöflich! Ich dachte Ihr wärt ein Gentleman. Na, wartet's nur ab ich beweise es euch.« Fest entschlossen verließ ich den breiten Kiesweg und steuerte zielstrebig auf einen knorrigen Apfelbaum zu. »Was habt Ihr vor?«, fragte der Lord amüsiert und folgte dicht hinter mir. »Wonach sieht's denn aus? Ich werde auf den Baum klettern.«
Ich raffte meine Röcke und zog mich an einem dicken Ast nach oben. Jedenfalls versuchte ich es, fand mit den Füßen aber keinen Halt am Stamm. Also ging ich einmal um den Baum herum um es an einer anderen Stelle nochmal zu probieren.
»Seid Ihr sicher, dass das eine gute Idee ist?«, fragte der Lord amüsiert und runzelte die Stirn. Ich startete einen neuen Versuch und diesmal schaffte ich es tatsächlich mit auf eine breite Astgabel zu hieven. »Als Kind habe ich das ständig gemacht, ich war richtig gut. Sowas verlernt man schließlich nicht.«
»Tut was ihr nicht lassen könnt«, sagte er. »Aber wenn ihr abstürzt ist es nicht meine Schuld.« Darauf erwiderte ich nichts, weil ich zu beschäftigt damit war, mich nicht im Gestrüpp zu verfangen. Als ich schon mindestens anderthalb Meter über dem Boden war, rutschte ich plötzlich auf der feuchten Rinde ab.
Wie ein nasser Sack fiel ich nach unten und riss dabei den Lord mit zu Boden. Ich landete weich auf seinem Oberkörper. Zunächst war ich so benommen, dass ich einfach auf ihm liegen blieb und mich nicht bewegte. Dann realisierte ich wie nah ich ihm war. Meine Hände lagen auf seiner Brust. Mit seinen eigenen hielt er meine Taille fest und mein Gesicht war seinem so nah, dass eine meiner Haarsträhnen seine Wange berührte. »Der Alkohol lässt sie aufdringlich werden, Mylady«, sagte er mit rauer Stimme und strich dann mit dem Zeigefinger die Strähne hinter mein Ohr. Ganz automatisch wanderte mein Blick zu seinen Lippen und verweilte dort einen Moment. Ich hätte mich nur ein wenig runter beugen müssen und schon... Ich verwarf den Gedanken schnell wieder und spürte wie mir die Hitze in den Kopf stieg.
Schnell rappelte ich mich auf und versuchte ihm nicht in die Augen zu sehen. »Wir sollten wieder rein gehen«, verkündete er gut gelaunt, während er sich den Gehrock glattstrich. »Schließlich sind wir aus einem Grund hier und nicht nur um Spaß zu haben.« Sofort überrollte mich das schlechte Gewissen. Mein Vater lag im Koma und alles woran ich denken konnte war Lord Salverton und wie sich seine Lippen wohl auf meinen anfühlen würden.
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Die sterbliche Baronin
FantasíaEngland, 1774 Die Londoner Adelsgesellschaft lebt ausgelassen und ohne Sorgen. Mit rauschenden Bällen, prunkvollen Soirees und der neusten Mode aus Frankreich kann man sich leicht die Zeit vertreiben. Lucinda Phillipa Hastings ist Teil dieser Welt...