Die Pflastersteine waren noch immer feucht vom Regen. Die verwinkelten Gassen der Stadt lagen im dunkeln, nur beleuchtet durch das fahle Mondlicht und schwach flackernde Öllampen, die unsere Silhouetten als monströse Schatten auf die Häuserfassaden projizierten.
Das Wasser der Pfützen war durch meine Stiefel gesickert und hatte meine Strümpfe durchnässt. Ich unterdrückte ein Zittern und konzentrierte mich stattdessen auf den ledernen Mantelsaum des Lords vor mir. Seit Ewigkeiten irrten wir nun schon durch die Straßen Londons, zuerst in der Kutsche, dann, als die Wege zu schmal wurden, zu Fuß.
Vorbei an verdreckten Wohnhäusern und Spelunken, aus denen gegrölte Trinklieder drangen. Ich hatte Mühe mit beiden mitzuhalten und dabei nicht über den unebenen Boden zu stolpern.
Hier irgendwo vermuteten die Nachtwächter einen Vampir, der zufälligerweise in jener Nacht in der Nähe unseres Hauses gesehen wurde. »Das müsste es sein«, sagte der Lord endlich und blieb vor einem Haus mit vernagelten Fenstern stehen. Ich beäugte das Gebäude skeptisch. »Es sieht nicht so aus, als ob hier in den letzten dreißig Jahren jemand gewohnt hätte.«
Mr. Meadows zog eine schwarze Maske im venezianischen Stil aus der Manteltasche und bedeckte damit sein Gesicht. »Ich glaube das ist Absicht.« Lord Salverton tat es ihm gleich und ich sah dies als Aufforderung dasselbe zu tun.
Als ich ihn einmal nach dem Grund gefragt hatte, hatte er nur kurz aufgelacht. »Was glaubt Ihr wohl?«, hatte er spöttisch gesagt, als wäre es offensichtlich. »Anonymität natürlich. Wir töten übernatürliche Kreaturen, die sich von Blut ernähren. Mir wäre es lieber, wenn keiner von denen wüsste wer ich bin.«
Manchmal kann er wirklich unerträglich sein, dachte ich jetzt, während ich ihn dabei beobachtete, wie er probeweise an der verschlossenen Tür rüttelte und nachdenklich die Stirn runzelte. Dabei fiel ihm eine dunkle Strähne seines Haars ins Gesicht und mein Magen kribbelte verzückt.
»Was jetzt?«, fragte ich. Mr. Meadows reichte Lord Salverton einen Dolch mit besonders breiter Klinge und der Lord steckte ihn in den Schlitz zwischen Tür und Rahmen. Dann hebelte er bis ein scharfes Krachen erklang und die Tür nach innen aufschwang.
Der düstere Flur und die lange Treppe waren von einer dicken Staubschicht bedeckt. Nur in der Mitte der Stufen zeichneten sich saubere Stellen ab, wo jemand darüber gelaufen war.
Aus der oberen Etage schien schwaches Kerzenlicht auf das geschwungene Geländer und die mit Spinnweben überzogene, abgenutzte Wand. Lord Salverton legte seinen Zeigefinger an die Lippen, was ich für unnötig befand, schließlich war er beim Öffnen der Tür nicht gerade leise vorgegangen und falls sich tatsächlich jemand hier aufhielt, hätte er uns längst bemerkt.
Trotzdem versuchte ich keine Geräusche zu verursachen, als wir hintereinander die Treppe hinauf schlichen. Mein Herz pochte so laut, dass ich mich fragte, ob nur ich es hören konnte. Das erste Stockwerk war weitaus sauberer als das Erdgeschoss und roch auch weniger muffig. Gemälde zierten die Wände und auf einer kleinen Kommode entdeckte ich neben ein paar brennenden Kerzen auch eine hübsche Vase aus Porzellan. »Hier drüben«, flüsterte der Lord und deutete auf eine Tür, am Ende des Korridors, die nur angelehnt war. Meine beiden Begleiter zogen stumm ihre Degen und ich tat es ihnen nach, dann näherten wir uns dem Zimmer. Vorsichtig umfasste Mr. Meadows die Klinke und drückte den Spalt weiter auf. Mit gezückten Waffen betraten wir das schummerig erleuchtete Zimmer.
Es war leer. Am Fenster stand ein schmaler Schreibtisch, der übersät war mit Papieren und Büchern. Ein Kelch mit Wein stand neben einer Schreibfeder, aus deren Spitze noch die Tinte tropfte, als hätte noch vor wenigen Augenblicken jemand dort gesessen und gearbeitet.
Mr. Meadows zeigte auf eine große Truhe am Fußende des schäbigen Bettes, dass an der Wand stand. Der Lord schien sofort zu verstehen und stellte sich mit erhobenem Degen davor. Dann riss Mr. Meadows ruckartig den Deckel auf und der Lord stieß seine Klinge in Richtung des Mannes, der sich darin versteckt hatte.
Ich schrie vor Schreck auf, genauso wie der Mann, aber dann sah ich, dass er kurz vor der Kehle halt gemacht hatte. »Bitte nicht!«, rief der Mann verängstigt und versuchte den Degen mit den Händen wegzudrücken. Kaum hatte er das kalte Metall berührt, schreckte er zurück, als hätte er sich verbrannt. Erst jetzt kam ich dazu ihn genauer zu betrachten.
Seine blasse Haut wirkte gegen sein pechschwarzes Haar weiß wie Kreide. Er konnte höchstens dreißig Jahre alt sein, eher jünger. War er wirklich ein Vampir? Seine Zähne waren zwar tatsächlich etwas spitzer als normal gewesen wäre, aber er sah alles andere als furchteinflößend aus.
Mit dem Monster aus unserem Garten hatte er jedenfalls nichts gemein. »Seid Ihr sicher, dass er überhaupt untot ist?«, warf ich ein und sah zu, wie er sich in der Truhe hin und her wand. »Natürlich. Habt Ihr gesehen, wie er auf die Silberklinge reagiert hat? Ganz zu schweigen von dem Blut in seinem Becher.«
O, dachte ich. Kein Wein. Mr. Meadows lehnte sich über die Truhe und fixierte den Vampir prüfend. »Zu welchem Clan gehört Ihr?«, fragte er streng, woraufhin der Mann wieder zu wimmern begann. »Bitte verschont mich. Ich weiß gar nichts, das verspreche ich. Ich bin unverschworen.« Der Lord drückte ein wenig fester zu und der Mann schrie auf.
»Welcher Vampir war vor drei Wochen mit euch in Mayfair!« Ich zuckte zusammen. »Ist das wirklich notwendig?«, rief ich aufgebracht. »Der arme Mann hat doch schon genug Angst, muss man ihn da auch noch foltern?« Lord Salverton sah den Vampir vor sich verbissen an. »Der arme Mann würde dich zerreißen, wenn er die Chance dazu hätte. Unser einziger Vorteil ist das Silber. Antwortet mir!«
Endlich gab sich der Vampir geschlagen. »Ich war allein da, das schwöre ich. Bitte tut mir nichts!« Mr. Meadows griff an seinen Gürtel und brachte einen silbernen Pflock zum Vorschein, den er von einer Hand in die andere wandern ließ. »Ihr kennt die Regeln«, sagte er. »Entweder Ihr kooperiert oder Ihr sterbt ein für alle mal.« Der Vampir hob beschwichtigend die Hände. »Schon gut, schon gut! Ich habe ein paar aus dem Gallagher-Clan dort gesehen, aber mehr weiß ich nicht, ganz ehrlich.« Seine Stimme überschlug sich beinahe vor Furcht. Eigentlich kein Wunder, wenn man bedachte, in welcher Lage er war. Auch der Lord schien Mitleid mit ihm zu haben. Als er vorsichtig den Degen zurückzog, trat ich näher heran und reichte dem vor Angst zitternden Vampir meine Hand.
»Keine Sorge, niemand wird Euch weh tun.« Er lächelte dankbar und ich half ihm aus der Truhe. Plötzlich, im Bruchteil einer Sekunde, änderte sich sein Gesichtsausdruck und mit einem unsanften Ruck riss er mich an sich und fletschte die Zähne.
-------
Meinungen wie immer in die Kommentare!Byeeee
![](https://img.wattpad.com/cover/185585520-288-k273215.jpg)
DU LIEST GERADE
Die sterbliche Baronin
FantastikEngland, 1774 Die Londoner Adelsgesellschaft lebt ausgelassen und ohne Sorgen. Mit rauschenden Bällen, prunkvollen Soirees und der neusten Mode aus Frankreich kann man sich leicht die Zeit vertreiben. Lucinda Phillipa Hastings ist Teil dieser Welt...