Kapitel 19 - Der Arzt und seine Ehefrau

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Nach dem Frühstück schickte Mr. Meadows die anderen aus dem Zimmer und bat mich mein Hemd auszuziehen. Er reichte mir ein Tuch, mit dem ich wenigstens das nötigste verdecken konnte und begann dann meine Schulter abzutasten. Als er knapp über meinem Schlüsselbein angelangt war, sog ich zischend die Luft ein. 

»Ja, das wird noch eine Weile weh tun«, sagte er und trug eine kühle Salbe auf der Stelle auf. »Wenn Sie darauf achten sich zu schonen, sollte es aber auszuhalten sein. Können Sie einmal den Arm für mich heben?« Mit geübten Handgriffen hantierte er an mir herum und ich biss die Zähne zusammen, wann immer er einen Bluterguss berührte. 

»Ihre Frau scheint sich nicht besonders für Vampire zu interessieren«, bemerkte ich und er schmunzelte. »Das hat sie noch nie. Ihr wäre es lieber, wenn unser Leben ein wenig unaufgeregter wäre.« Er hielt kurz inne und lächelte. »Andererseits wusste sie worauf sie sich einließ, bevor sie mich geheiratet hat.« 

»Wirklich?«, fragte ich und er nickte energisch. »O ja, alles andere wäre mehr als ungerecht gewesen. Wenn ein Nachtwächter heiratet, wird auch seine Frau eingeschworen. Sie muss versprechen, das Geheimnis zu wahren und den Nachtwächtern gegenüber loyal zu sein, bis sie stirbt. So wie der Rest von uns auch, nur dass wir uns auch bereit erklären, im Kampf unser Leben zu geben, wenn es sein muss. Das bleibt den Ehefrauen erspart.« 

Sein Tonfall war unbeschwert, gerade so, als sähe er kein größeres Problem damit, einem obskuren Verein lebenslange Treue zu schwören. »Stimmt es, dass Ihr beide zu den Nachtwächtern gehört, seit Ihr sieben seid?« Wieder nickte er. »Caleb jedenfalls, ja. Ich wurde erst mit neun rekrutiert. Aber das hört sich alles schlimmer an als es ist. Natürlich durften wir nicht direkt mit auf die Jagd, am Anfang ist die Akademie wie jede gewöhnliche Schule auch. Man lernt Latein und Griechisch, Mathematik, Etikette und Politik. Und irgendwann eben auch Geschichte der Nachtwächter, Kampf und Verteidigung und alles über Vampire.«

 Mein Herz wurde ein wenig leichter. Die Vorstellung Vampire auf Kinder loszulassen war furchtbar und ich war froh, dass Lord Salverton ein wenig übertrieben hatte. »Also, wann wart Ihr dann das erste Mal dabei? Auf der Jagd, meine ich.« Mr. Meadows dachte kurz nach. »Mit etwa zwölf.« Ich schnappte entrüstet nach Luft.

 Zugegeben, zwölf war besser als sieben, aber trotzdem vollkommen verantwortungslos. Mr. Meadows, der meine Reaktion bemerkt hatte, ließ von meiner Schulter ab, um mich anzusehen. »Tut mir leid, Madam. Manchmal vergesse ich, wie das auf außenstehende wirken muss. Aber ihr müsst verstehen, die meisten von uns kennen nichts anderes. Unsere Väter waren Nachtwächter, und unsere Großväter vor ihnen. Im Mittelalter wurden Ritter auch schon von Kindesbeinen an ausgebildet.« 

Na ja, das Mittelalter war nun wirklich nicht für Fortschrittlichkeit bekannt. »Ich finde es trotzdem falsch«, erklärte ich und Mr. Meadows begann, einen Verband um meinen Oberkörper zu wickeln, damit die Salbe nicht an meinen Kleidern klebte. »Ja, manchmal ist es das vielleicht, aber hin und wieder heiligt der Zweck die Mittel.«

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Mr. Meadows sollte Recht behalten. Die Schmerzen wurden jeden Tag weniger und ich konnte es kaum erwarten wieder mit Lord Salverton zu trainieren. Die Geschehnisse hatten mich nur noch mehr motiviert und erinnerten mich daran, wie viel ich zu lernen hatte. »Wer hat 1564 die erste offizielle Silberklingenschmiede der Nachtwächter gegründet und von wem wurde das Vorhaben finanziert?«, fragte der Lord. Ich wühlte hektisch in den Unterlagen, die vor mir auf dem Tisch ausgebreitet waren.

 »Ähm...«, stammelte ich. »Ich bin mir nicht ganz sicher, aber sein Vorname war wahrscheinlich John.« Da Mr. Meadows ihm vorerst verboten hatte, mich weiter im Zweikampf zu unterrichten, hatte Lord Salverton sich etwas anderes ausgedacht. Um keine Zeit sinnlos zu verschwenden, hatte er kiloweise Bücher aus der Collectio ausgeliehen, einer Art Bibliothek der Nachtwächter, in der sich jedes geschriebene Werk über Vampire befand, das jemals verfasst worden war. Dann hatte er begonnen, sie mit mir gemeinsam durchzuarbeiten, Zeile für Zeile. 

»Wie du auf Seite 315 hättest nachlesen können, war sein Name Robert Gugling und bezahlt wurde alles vom Herzog von Devonshire, der bei den Nachtwächtern aber nur unter dem Decknamen Herakles agierte.« Ich sah verzweifelt zu der kleinen Uhr, die auf der Kommode stand. Seit fast drei Stunden arbeiteten wir ununterbrochen, aber im Gegensatz zu mir war der Lord immer noch hochkonzentriert und schien sogar Spaß daran zu haben. Er hätte einen guten Lehrer abgegeben.

 »Im Jahr 1587 hat Gugling die Manufaktur an seinen Sohn vererbt, der das ganze Vermögen, das sein Vater erwirtschaftet hat, in einer einzigen Nacht beim Karten spielen verlor. Jedenfalls erzählt man sich das. Daraufhin haben die Nachtwächter das Geschäft an Richard Pope weitergegeben, was dem jungen Gugling natürlich ganz und gar nicht gefiel. Also heuerte er einen Unverschworenen an, der Pope in seinem Schlafzimmer auflauerte und biss. Pope verwandelte sich, floh nach Italien und gründete dort den berüchtigten Pope-Clan, der zur größten Vampir-Vereinigung Venedigs aufstieg und bis heute existiert.« 

Er sah mich beinahe feierlich an, als erwarte er ehrfürchtiges Staunen meinerseits. Tatsächlich war sein Enthusiasmus anfangs ziemlich ansteckend gewesen und es hatte Spaß gemacht mehr über die Nachtwächter zu lernen, aber jetzt war meine Konzentration aufgebraucht. Plötzlich wurde die Tür geöffnet und Mrs. Clarke betrat das schummrige Studierzimmer. Auf dem Arm balancierte sie ein Tablett mit Sandwiches und geschnittenen Äpfeln. 

»Also wirklich, Junge!«, rief sie empört und stellte das Essen schwungvoll auf meinen Unterlagen ab. »Die arme Lady hat eine Pause verdient, sonst schläft sie dir noch ein.« Lord Salverton riss erschrocken die Augen auf und riss das Silbertablett vom Tisch, wobei die Sandwich-Pyramide gefährlich ins Schwanken kam. »Mrs. Clarke das sind wertvolle Dokumente!« Er sah sie anklagend an. »Einige davon hätte ich offiziell nicht einmal hierher bringen dürfen.« 

»Dann wird dir das hier hoffentlich eine Lehre sein und jetzt nimm dir ein Stück Brot bevor du mir noch vom Fleisch fällst.« Er grummelte etwas unverständliches und stellte die Platte dann auf einem Hocker ab. »O, und bevor ich es vergesse: dein Vater möchte dich sehen. Und euch auch, my Lady.« Ich wollte mir gerade einen Apfel nehmen, hielt dann aber erstaunt inne. »Mich?« Der Lord runzelte die Stirn. »Hat er gesagt worum es geht?«

 »Nein«, sagte sie. »aber er war äußerst guter Dinge, also wird es wohl nichts ernstes sein.« Erstaunt lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück. »Ich wusste gar nicht, dass euer Vater auch hier ist.« Wenn man bedachte, wie oft ich mich hier aufhielt und dass ich sogar einmal hier geschlafen hatte, war es durchaus verwunderlich, dass ich ihm nicht einmal begegnet war. »O doch, das ist er«, sagte Lord Salverton und schmunzelte dabei gutmütig. »Mein Vater lässt sich keine Season entgehen. Aber meistens zieht er sich in sein Gewächshaus zurück, deshalb habt Ihr ihn noch nicht gesehen.« Ich hätte gern noch kurz gewartet, um das Essen nicht verkommen zu lassen, aber der Lord hatte bereits die Tür geöffnet und führte mich dann ans andere Ende des Hauses.




Die sterbliche BaroninWo Geschichten leben. Entdecke jetzt