In diesem Moment öffnete sich die verzierte Eichentür und ein Diener in lindgrünem Gehrock betrat den Raum. Er eilte hastig zu Lord Salverton und raunte ihm etwas zu, dass ich nicht verstehen konnte. Dieser nickte erfreut, woraufhin der Diener mit wehender Perücke kehrt machte und das Zimmer wieder verließ.
Bevor ich nachfragen konnte, hörte ich mehrere Schritte aus dem Flur, die sich zweifellos dem Salon näherten. Wenige Augenblicke später wurde die Tür erneut geöffnet und zwei Gestalten kamen herein.
»Du solltest dir dringend einen neuen Türklopfer zulegen, wir standen eine Ewigkeit vor der Tür bis uns jemand gehört hat«, sagte ein junger Mann mit dunkler Haut neckend, auf dessen Wange eine blasse Narbe zu sehen war, die von seiner linken Schläfe bis zum Kinn reichte.
Ich erkannte ihn sofort. Es war derselbe Mann, mit dem Lord Salverton sich während der Soiree des Grafen von Worcesters unterhalten hatte. Eine zierliche Frau hatte sich bei ihm untergehakt und lächelte breit, als der Lord ihr zur Begrüßung die Hand küsste. »Ich hatte euch erst später erwartet, aber wenn ihr schon da seid, umso besser.«
Er wandte sich an mich und machte eine ausladende Geste in Richtung der beiden. »Ich möchte Euch gern jemanden vorstellen. Lady Lucinda, das sind Jeremiah und Paulina Meadows.« Der Mann verbeugte sich tief und warf mir ein herzliches Lächeln zu.
»Es ist mir eine außerordentliche Ehre.«
»Ganz meinerseits. Ich habe euch, glaube ich, auf der Soiree gesehen. Beim Grafen von Worcester. Ihr habt mit Lord Salverton geredet, nicht wahr?« Der Lord gab ihm keine Zeit zu antworten und nickte bestimmt. »Jeremiah und ich sind gemeinsam ausgebildet worden. Wir sind sozusagen Waffenbrüder.«
Aha. Dann war Mr. Meadows also auch ein Mitglied der Nachtwächter. Das erklärte natürlich die Narbe und die Freundschaft der Beiden. Ich hatte Lord Salverton für einen Einzelgänger gehalten. Bevor ich ihn in der Bibliothek erwischt hatte, waren wir uns noch nirgends begegnet, was besonders verwunderlich war, wenn man seinen offensichtlichen Reichtum in Betracht zog.
Seine Familie musste weit oben in der adeligen Nahrungskette stehen und trotzdem schien er sich lieber unter der Oberfläche zu bewegen. Jetzt verstand ich langsam, dass sein Leben schlicht und einfach außerhalb meiner Welt stattfand. »Caleb hat uns erzählt, dass er Euch unterrichtet. Ich muss zugeben, die Vorstellung einer Frau in diesem Metier ist doch ein wenig befremdlich, aber ich bewundere Euren Mut.« Mrs. Meadows Augen funkelten freundlich.
Auch wenn sie höchstens Ende zwanzig sein konnte, hatte sie etwas weises, verlebtes an sich, das sie um Jahre älter erscheinen ließ. Ich meinte, einen leichten Yorkschire Akzent bei ihr zu hören, der dem unserer Köchin ähnelte.
»Vielen Dank, Mrs. Meadows«, sagte ich. »Ihr geht also nicht mit auf die Jagd?« Diese Frage war für sie scheinbar an Absurdität kaum zu übertreffen.
»O, Gott bewahre!«, rief sie aus. »Ich möchte nichts damit zu tun haben. Nur Tod, Blut und Elend. Furchtbar, wenn Ihr mich fragt. Und bitte nennt mich doch beim Vornamen.« Ehe ich ihr Angebot erwidern konnte, ergriff der Lord ungeduldig das Wort. »My Lady, Ich möchte Euch nicht unterbrechen, aber die beiden sind aus einem bestimmten Grund hier.«
Verheißungsvoll sah er mich mit aufgeregt glänzenden Augen an und hielt kurz inne, um seinen nächsten Worten mehr Bedeutung zu verleihen. »Was haltet Ihr davon, ein wenig praktische Erfahrung zu sammeln?«
Meine Kinnlade klappte sehr unschön nach unten. Dann konnte ich nicht anders als ihn anzustrahlen. »Ihr nehmt mich mit auf die Jagd?« Er nickte, offenbar erfreut über meine Reaktion. »Nichts, was ich Euch hier zeige, kann Euch wirklich auf einen Vampir vorbereiten. Man lernt am besten in der Praxis. Das ist übrigens einer der Grundsätze der Akademie.«
Während er ausholte und mir einbläute, worum es sich bei dem Auftrag handelte und dass ich seinen Anweisungen Folge zu leisten hatte, wenn ich mein junges Leben nicht frühzeitig beenden wollte, waren lautlos zwei Diener erschienen und hatten Gebäck und Erfrischungen gebracht.
Mr. Meadows schenkte uns allen ein und warf dem Lord durch den Raum einen tadelnden Blick zu. »Du verschreckst sie noch bevor sie auch nur das Haus verlässt. Keine Sorge, Madam. Caleb malt gerne den Teufel an die Wand, aber falls Ihr euch noch nicht bereit dazu fühlt, könnt Ihr selbstverständlich bei meiner Frau bleiben. Wenn Ihr uns aber doch begleitet, passen wir auf Euch auf, so gut wir können.«
Wir versammelten uns um den kleinen Tisch und Paulina nahm sich gelangweilt einen Keks. Die Vampir-Angelegenheiten ihres Mannes schienen sie tatsächlich nicht im geringsten zu interessieren.
»Was nicht bedeutet, dass es nicht gefährlich ist«, warf Lord Salverton ein und sah mich durchdringend an. »Ihr dürft euch nicht allein auf uns verlassen. Ich habe euch nicht umsonst gezeigt, wie man mit einem Degen umgeht.«
»Das werde ich bestimmt nicht«, versprach ich und nahm den Becher entgegen, den Mr. Meadows mir reichte. »Gut«, sagte der Lord und hob feierlich sein Glas. »Dann lasst uns hoffen, dass wir bei Sonnenaufgang noch atmen. Aut cum scuto aut in scuto.«
__________
Uhhhh, ihre erste Mission! Mr. Meadows und Paulina werden uns noch öfter begegnen, soviel kann ich sagen.
Mehr will ich aber nicht verraten, schließlich verdirbt das nur den ganzen Spaß :)Bis ganz bald
Byeee
![](https://img.wattpad.com/cover/185585520-288-k273215.jpg)
DU LIEST GERADE
Die sterbliche Baronin
FantasyEngland, 1774 Die Londoner Adelsgesellschaft lebt ausgelassen und ohne Sorgen. Mit rauschenden Bällen, prunkvollen Soirees und der neusten Mode aus Frankreich kann man sich leicht die Zeit vertreiben. Lucinda Phillipa Hastings ist Teil dieser Welt...