In den nächsten Tagen traf ich mich immer öfter mit Lord Salverton. Er hatte nicht gelogen, als er versprochen hatte mich nicht zu schonen. Wenn wir fertig waren, fühlte ich mich jedes Mal, als hätte mich jemand durch halb London geschleift und dann mit einer Kutsche überfahren. Fast täglich fand ich einen neuen Bluterguss und auch meine Handflächen schienen rauer geworden zu sein. Wenigstens musste ich mich inzwischen nicht mehr mit meinen Röcken herumschlagen, denn Mrs. Clarke hatte wie versprochen ein Paar dunkler Hosen und einige von Lord Salvertons Hemden für mich umgeschneidert. Am Anfang hatte ich mich irgendwie entblößt gefühlt, fast nackt, aber inzwischen machte es mir kaum noch etwas aus.
Ich hatte sogar eine ähnliche Maske bekommen, wie er sie bei unserer ersten Begegnung getragen hatte, aber bis jetzt hatte er mir noch keine Gelegenheit gegeben sie zu tragen. Auch mit dem Degen kam ich nun besser zurecht. Schon zweimal hatte ich es geschafft, einen Treffer zu landen und ich wurde immer besser darin, seine Hiebe abzuwehren.
»Ich denke, Ihr seid jetzt bereit mit dem Parierdolch zu üben«, sagte er eines Tages. Diesmal war ich erst nach dem Nachmittagstee zu ihm gefahren. Er hatte darauf bestanden, mir aber nicht verraten weshalb, also hatte ich meiner Mutter sicherheitshalber gesagt, dass sie nicht mit dem Dinner auf mich warten sollte. Ich war gerade dabei, mich hinter dem Paravent umzuziehen und konnte ihn deshalb nicht sehen, aber er klang regelrecht feierlich.
»Was genau soll das sein?«, fragte ich und stopfte das Hemd in den Hosenbund. »Naja, ein Dolch, mit dem man pariert. Was denn sonst?« Ich kam hinter dem Paravent hervor und sah, wie der Lord ein schmales Messer um seinen Daumen rotieren ließ. Er überreichte es mir, zusammen mit meinem Degen, und wies mich an, einen festen Stand einzunehmen. Er selbst hatte sich unterdessen selbst bewaffnet und stellte sich mir gegenüber auf.
»Durch den Dolch können Sie im Kampf nun auch ihre linke Hand zu Hilfe nehmen. Sie können damit die gegnerische Klinge aufhalten, und gleichzeitig mit der rechten Hand zustoßen.« »Warum haben wir ihn dann nicht von Anfang an benutzt?« fragte ich und betrachtete den Dolch. Die Klinge war verhältnismäßig lang und dünn. Vom Griff ging eine U-förmig gebogene Stange aus, die an beiden Seiten parallel zur Klinge verlief. Das Silber war verziert mit den Worten Silent leges inter arma. Ich seufzte auf. Es wurde wirklich Zeit, dass ich Latein lernte.
»Parierdolche sind eigentlich nicht mehr üblich«, sagte er schulterzuckend und fuhr dann fort: »Außerdem dachte ich, dass Sie damit vielleicht überfordert wären. Schließlich hatten Sie davor noch nie eine Waffe in der Hand.«
»Ich dachte, Sie haben nicht vor mich zu schonen«, bemerkte ich schnippisch. Er nickte leicht. »Habe ich auch nicht.« Dann machte er einen Ausfallschritt und stach mit dem Degen zu. Ich riss meine Waffe instinktiv hoch und schaffte es, seinen Hieb dadurch so zu parieren, dass er mich nicht traf.
»Sehr gut.« Lord Salverton nickte wohlwollend. »Aber wenn Ihr euren Dolch etwas dreht, könnt Ihr meinen Degen mit der Parierstange einklemmen. Seht Ihr? So.« Er stellte sich näher vor mich und legte seinen Degen an meinen Dolch, zwischen die Klinge und den gebogenen Teil, den er vermutlich mit Parierstange gemeint hatte. Dann griff er nach meinem Handgelenk. Er legte seine Hand über meine und drehte den Dolch bis er sich mit dem Degen verkeilt hatte. Ich hielt verlegen den Atem an und kam nicht umhin zu bemerken, wie warm seine Haut sich anfühlte. Doch so schnell wie der Moment gekommen war, war er auch wieder vorbei.
Lord Salverton räusperte sich kurz und zog seine Hand zurück. »Natürlich könnt ihr euch auch nur mit dem Dolch verteidigen« erklärte er und legte seinen Degen auf dem Boden ab. Ich tat es ihm nach und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich dieser kleine Moment aus der Fassung gebracht hatte. »In welche Stelle muss man stechen?« fragte ich und versuchte mich zusammenzureißen. Ich war hier um zu lernen, nicht um mich wie eine Fünfzehnjährige zu benehmen.
»Eigentlich ist es viel effektiver jemanden aufzuschlitzen.« Das letzte Wort jagte mir einen Schauer über den Rücken. »Effektiver?«, fragte ich blauäugig.
»Tödlicher«, erwiderte er ohne zu zögern. »Wenn Ihr zustecht ist das zwar enorm schmerzhaft, aber Euer Gegenüber wird daran vermutlich nicht sterben. Es sei denn ihr zielt gut.« Erneut griff er nach meiner Hand, die den Dolch hielt und drückte die Klinge an eine Stelle zwischen seinem Hals und der Schulter.
»Wenn ihr Euren Gegner hier schneidet, so tief Ihr könnt, ist er innerhalb von Sekunden tot. Genauso hier«, er zog die Klinge zu seiner Kehle. »Oder hier«, er lenkte meine Hand über seine Bauchdecke. »Ich dachte, Vampire können nur sterben, wenn man sie pfählt«, sagte ich mit belegter Stimme.
Er drehte sich von mir weg und holte sich einen Becher mit Wasser vom Silbertablett auf dem Beistelltisch. »Vampire schon, aber Menschen sind weit weniger...widerstandsfähig.« Er nahm einen großen Schluck. Ich betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn. »Warum sollte ich einen Menschen töten wollen?«
Meine Naivität schien ihn zu amüsieren. Er reichte mir etwas zu trinken und zuckte dann mit den Schultern. »Man weiß nie mit Sicherheit wer auf der richtigen Seite steht, Madam. Also ist es besser, auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein, merkt Euch das.«
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Uhhhhh, genau eine Woche seit dem letzten Update, ich halte mich tatsächlich an meine eigenen Vorsätze!
Byeee
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Die sterbliche Baronin
FantasíaEngland, 1774 Die Londoner Adelsgesellschaft lebt ausgelassen und ohne Sorgen. Mit rauschenden Bällen, prunkvollen Soirees und der neusten Mode aus Frankreich kann man sich leicht die Zeit vertreiben. Lucinda Phillipa Hastings ist Teil dieser Welt...