Mutter hatte sich wie immer selbst übertroffen. Kleine Küchlein und Gebäck wurden auf zarten Porzellantellern serviert und das Orchester begleitete das Treiben mit fröhlicher Geigenmusik.
Ich saß mit Clementia und Audrey an einem der Tischchen und trank Tee. Heute waren Audreys Haare nur weiß gepudert, zogen aber durch das ausgestopfte Rotkehlchen darauf trotzdem alle Aufmerksam auf sich. »Findet ihr nicht auch, dass Lady Annes Kleider in letzter Zeit etwas eng sitzen?« fragte sie verschmitzt und fuhr dann fort »Es ist natürlich nur ein Gerücht, aber man erzählt sich, dass die Gute sich jeden Morgen übergibt. Bleibt natürlich die Frage, wer der Vater ist«.
Ich versuchte den Vogel auf ihrem Kopf zu ignorieren und erwiderte mit gesenkter Stimme »Also, ich setze mein Geld auf Lord Chapman«. Audrey kicherte vergnügt »Ja, den hatte ich auch im Sinn. Was ist mit dir, Clementia?«
»Wenn das wirklich stimmt, bemitleide ich Anne. Ich kann euch gar nicht sagen, wie schrecklich ich mich jeden Tag gefühlt habe.« verkündete Clementia jammernd. »Ständig war mir übel und nichts hat geholfen. Ein Kind auszutragen ist eben keine leichte Aufgabe und von der Entbindung möchte ich gar nicht erst anfangen!« Sie hatte vor ein paar Wochen ihr erstes Kind zur Welt gebracht, ein starker, kleiner Junge, dessen Gesicht zu meiner Genugtuung viel Ähnlichkeit mit einem etwas eingedellten Pfirsich aufwies.
»Wie sieht es bei dir aus, Audrey?« fragte sie nun. »Hast du den Kräutersud versucht, den ich dir empfohlen habe? Ich musste ihn nur zweimal nehmen und schon war ich schwanger«.
Audrey lächelte verschwörerisch. »Ich lasse ihn morgen aus der Apotheke holen. Sicherlich wird es nicht mehr lange dauern, bis ich gute Neuigkeiten haben. Der Markgraf und ich sind sehr zuversichtlich«. Clementia wandte sich nun mir zu.
»Keine Sorge, Lucy, ich bin sicher, dass auch dir bald jemand einen Antrag macht. Ehrlich gesagt, dachte ich Lancelot wäre an dir interessiert. Da muss ich mich wohl geirrt haben« Ihr Tonfall war eine Mischung aus Mitleid und Genugtuung. Clementia war schon immer ein wenig eifersüchtig auf mich gewesen, besonders wenn es um Lancelot ging, aber seit sie verheiratet war, schien sie das als persönlichen Sieg gegen mich zu werten.
Und dass sie nun auch noch als erste von uns Mutter geworden war, bereitete ihr unglaubliches Vergnügen. »Ehrlich gesagt, hat er um meine Hand angehalten« antwortete ich ein wenig schnippisch. Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt, ihnen davon zu erzählen, schließlich hatte ich ohnehin abgelehnt, aber ich verspürte das plötzliche Bedürfnis mich zu rechtfertigen. »Ach wirklich?« erwiderte sie zerknirscht. »Wie schön. Dann sind wohl Glückwünsche angebracht«.
Sie lächelte gekünstelt und biss in ein Stück Kuchen. Audrey dagegen stieß ein erfreutes quitschen aus. »Oh, wie wunderbar! Ich hab' ja immer gewusst, dass ihr beide euch wieder vertragen würdet!« Bei diesem Kommentar zog sich meine Brust unangenehm zusammen. Meine Freundinnen wussten von unserer Vorgeschichte. Jedenfalls einem Teil davon. Gott, wie sehr ich es hasste, dass diese Sache mir immer noch im Kopf herumspukte!
»Ich habe den Antrag nicht angenommen« sagte ich schlicht und sah Clementia dabei herausfordernd an. Audreys Kinnlade klappte nach unten. »Wie bitte? Wieso das denn?«. »Weil ich niemanden heiraten möchte, der mich so behandelt wie er es getan hat. Ist das denn so abwegig?«
Aufgebracht zupfte ich am Stoff meines Kleides herum und versuchte Clementia zu ignorieren, die aufmunternd mein Knie tätschelte. »Ich kann dich verstehen, Lucy. Aber an deiner Stelle wäre ich nicht allzu wählerisch, schließlich wirst du nicht jünger«. Oh, das musste der schönste Tag ihres Lebens sein. Mein Vater wäre beinahe gestorben und sie hatte nichts besseres zu tun, als auf mir herumzuhacken, weil der Mann für den sie jahrelang geschwärmt hatte, mich ihr vorzog. Ehrlich gesagt, hatte ich längst vergessen, warum ich mich immer noch mit ihr abgab. Sie war grässlich und verbittert und einfach kein sehr guter Mensch.
»Sei nicht so gemein!« sagte Audrey bestürzt und schenkte mir ein ehrliches Lächeln. »So spät dran bist du gar nicht. Meine Cousine hat erst mit achtundzwanzig geheiratet«. Dankbar drückte ich ihre Hand und machte dann Anstalten aufzustehen. »Wenn ihr mich für einen Augenblick entschuldigen würdet, ich muss mir schnell die Nase pudern«.
Ich wartete die Antwort nicht ab und bahnte mir einen Weg durch die Gäste. Normalerweise machten Clementias Sticheleien mir nichts aus, aber heute hatten sie ein bisschen zu sehr dem geähnelt, was ich mir in letzter Zeit immer öfter von meiner Mutter anhören musste.
Noch dazu war ich nach der Sache mit Vater ein wenig dünnhäutiger als gewöhnlich. Eine Weile irrte ich ziellos durch das Haus. Ich brauchte nur einen kleinen Moment für mich alleine, irgendwo wo ich ungestört war und durchatmen konnte. Wie von allein, trugen meine Beine mich in die Bibliothek. Doch als ich nach der Klinke greifen wollte, bemerkte ich plötzlich, dass die Tür nur angelehnt war. Hatte ich beim letzten Mal vergessen, sie zu schließen? Aber dann hätte einer der Bediensteten sich längst darum gekümmert.
Vorsichtig drückte ich sie weiter auf und betrat leise den Raum.
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Wie fandet ihr das neue Kapitel? Und was haltet ihr von der guten Clementia?
Meinungen wie immer in die Kommis.
Lena
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Die sterbliche Baronin
FantasíaEngland, 1774 Die Londoner Adelsgesellschaft lebt ausgelassen und ohne Sorgen. Mit rauschenden Bällen, prunkvollen Soirees und der neusten Mode aus Frankreich kann man sich leicht die Zeit vertreiben. Lucinda Phillipa Hastings ist Teil dieser Welt...