Kapitel 26 - Interview mit einem Vampir

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Als Huntington außer Hörweite war, drehte ich mich zu Lord Salverton. »Vielleicht ist das Dinner gar keine so schlechte Idee. Es könnte sehr aufschlussreich sein.« Der Lord verzog missgelaunt das Gesicht. »Huntington ist einer der gefährlichsten Männer Englands. Du tätest gut daran etwas misstrauischer zu sein.« 

Plötzlich kam eine Gestalt durch die Menge auf uns zugelaufen. Es war Mr. Meadows, der mit seinem dunklen Mantel und den groben Stiefeln definitiv nicht für diese Veranstaltung gekleidet war. Seinen vor Kälte geröteten Wangen nach zu urteilen, war er gerade erst angekommen. »Caleb! Mylady! Es gibt Neuigkeiten.« Ein bisschen außer Atem wischte er sich mit dem Ärmel feine Schweißtröpfchen von der Stirn. 

»Heute Abend haben sie einen aus dem Gallagher-Clan zu fassen gekriegt. Ist vor zwei Tagen verstoßen worden und irrt seitdem alleine im Hafen herum. Hat wohl auf eigene Faust gejagt, armer Idiot. Auf jeden Fall habe ich gedacht, Ihr beide würdet ihm vielleicht ein paar Fragen stellen wollen.« Mein Herz mache einen aufgeregten Satz. »Glaubt Ihr er könnte etwas über meinen Vater wissen?« Mr. Meadows zuckte leicht die Schultern und tauschte einen Blick mit Lord Salverton. »Es gibt nur eine Möglichkeit das herauszufinden.«

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Sich von unserer eigenen Verlobungsfeier zu stehlen war einfacher, als ich gedacht hätte. Alle waren so beschäftigt damit zu tanzen und Spaß zu haben, dass niemand bemerkte, wie wir uns zuerst aus dem Saal schlichen und dann im Hof in eine Kutsche stiegen. Um keine Zeit zu verlieren hatte ich mein Kleid einfach angelassen. Das war zwar nicht besonders praktisch, aber dafür würde ich wenigstens hübsch aussehen.

 Mr. Meadows lotste uns in ein verfallenes Viertel irgendwo am Themseufer. Es roch nach Fäkalien und billigem Fusel und ich zuckte zusammen als ich in einer Gasse drei Ratten sah, die an etwas nagten, was wohl mal eine Katze gewesen war. Schließlich hielten wir vor einem alten Haus, das genauso dreckig war wie der Rest der Straße. 

Als wir aus der Kutsche stiegen raffte ich meine Röcke bis zu den Waden, denn mir grauste vor der Vorstellung, mein Kleid könnte auf dem Boden schleifen und all das Abwasser aufsaugen, das sich zu vielen kleinen Pfützen gesammelt hatte. »Da sind wir«, verkündete Mr. Meadows feierlich und reichte jedem von uns eine schwarze Maske. Dann hielt er mir galant die klapprige Haustür auf und lächelte mir ein letztes Mal aufmunternd zu. 

Dahinter verbarg sich ein kleiner stickiger Raum, nur beleuchtet von einer Kerze. Zwei Nachtwächter saßen an einem kleinen Tisch, der über und über bedeckt war mit Papier, gruseligen Metallutensilien (die große Ähnlichkeit mit Folterinstrumenten hatten) und allerlei anderem Zeug. Die beiden spielten Karten und tranken Bier aus dreckigen Zinnbechern. »Na endlich!«, rief der größere und erhob sich, als er uns den Raum betreten sah. 

»Hat ja lang genug gedauert. Wenn es nach mir ginge hätten wir ihn längst erledigt.« Mit dem Kinn zeigte er auf einen schlaksigen Mann, vielleicht Anfang vierzig, mit kurzem braunen Haar und totenbleicher Haut, der an einen Stuhl in der Zimmerecke gefesselt war und ängstlich auf den Boden starrte. Die Ketten an seinen Handgelenken mussten aus Silber sein, denn auf der Haut zeichneten sich rote Brandmale ab, die sicher furchtbar schmerzhaft waren. 

»Jaja, jetzt sind wir ja da. Ihr könnt nach Hause gehen«, sagte Lord Salverton ungeduldig. Der zweite Nachtwächter saß mit dem Rücken zu uns und sammelte seufzend die Spielkarten zusammen. »Wurde auch Zeit«, murmelte er mit tiefem schottischen Akzent. Dann drehte er sich um und sein Blick fiel auf mich. »Wer hat sie reingelassen? Das ist wirklich nicht für die Augen einer Dame bestimmt.« 

»Die Lady wird es überleben, Amulius«, sagte Lord Salverton ungeduldig und trat näher um den Vampir genauer zu betrachten. 

Der Schotte zuckte mit den Schultern. »Na mir soll's Recht sein. Viel Spaß mit dem hier. Wir sind seit drei Stunden hier und er hat die ganze Zeit über gewimmert und gebettelt«, sagte der Schotte und verbeugte sich. »Einen schönen Abend wünsche ich.« 

Wir erwiderten den Gruß, dann verließen beide das Haus und ließen uns mit dem wimmernden Mann im Stuhl zurück. Der begann schon zu zittern, als der Lord sich nur mit verschränkten Armen vor ihn stellte und auf ihn herabsah. »Bitte! Ich habe nichts falsch gemacht!«, heulte er verzweifelt. Mr. Meadows rollte mit den Augen, sah aber kein bisschen amüsiert mehr aus. Seine Miene war jetzt steinhart und kalt, genau wie die des Lords. 

»Das sagen sie alle. Stimmt es, dass Ihr aus eurem Clan verstoßen wurdet?« Der Vampir nickte zaghaft. »Ja. Aber das war nicht fair. Wenn alle sich das Blut teilen müssen wird am Ende keiner satt. Wir haben uns lediglich das geholt, was wir gebraucht haben, mehr nicht. Dafür hätten sie uns nicht verstoßen dürfen, das war ungerecht.« 

»Und stimmt es, dass Ihr am 27. April in der Hampstedroad umher gestreift seid und dort den Grafen von Chester angegriffen habt?« Der Vampir runzelte die Stirn. »Am 27. ? Das weiß ich nicht.« Der Lord nahm beiläufig einen Silberpflock vom Tisch und betrachtete ihn prüfend. Die zitternde Mann riss panisch die Augen auf. »Möglich wär's«, rief er schnell.

»Wir waren irgendwann dort, ja, aber das genaue Datum weiß ich nicht. Und außerdem hatte ich damals kein Glück, aber die anderen sind beide satt geworden, da bin ich sicher.« Lord Salverton und Mr. Meadows tauschten einen Blick. »Was sind ihre Namen?«, fragte Mr Meadows und setzte sich an den kleinen Tisch. Er tauchte eine Feder in dunkle Tinte, zog ein leeres Blatt Papier zu sich her und sah den Vampir erwartungsvoll an. Der schüttelte nur überdeutlich den Kopf und sah zu Boden. 

»Das kann ich euch nicht sagen. Die würden mich umbringen.« Lord Salverton zuckte mit den Schultern. »Nicht, wenn wir ihnen zuvorkommen. Also sprecht!« Er stieß einen verzweifelten Laut aus, dann flüsterte er: »Lazarus Cook und Elijah Wright.«


Die sterbliche BaroninWo Geschichten leben. Entdecke jetzt