Kapitel 18 - Der Morgen danach

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Er trug mich behutsam aus dem Raum und die Stufen hinunter nach draußen ganz ohne sichtbare Anstrengung. »Macht Ihr so was öfter?«, fragte ich. »Frauen tragen, meine ich.« 

O Gott! Was für eine dumme Frage! Warum konnte ich nicht einfach den Mund halten? Halb erwartete ich, dass er mich einfach fallen ließ, aber er lachte nur leicht. »Nein, nicht oft.« 

Ein kalter Wind zog durch die Gasse, aber seine Brust war so warm, dass ich mich am liebsten daran angeschmiegt hätte. Da fiel mir plötzlich etwas ein, was ich mich schon vorhin gefragt hatte. »Der Vampir hat gesagt, er sei ein Unverschworener. Was hat er damit gemeint?« 

»Vampire leben normalerweise in Clans zusammen. Sie schwören Loyalität zu ihrem Clanführer, dem sie dann gehorchen müssen und im Gegenzug bekommen sie Sicherheit und ein Dach über dem Kopf. Diejenigen, die sich alleine durchschlagen nennt man Unverschworene. Von denen wiederum, schließen sich manche den Nachtwächtern an.« Überrascht runzelte ich die Stirn. »Sie töten ihre eigene Spezies?« 

»Nein, natürlich nicht. Aber sie liefern uns Informationen und dafür lassen wir sie in Ruhe. Sie bekommen sogar Blut von uns.« 

»Wie bitte?«, rief ich entrüstet aus. »Ich hoffe doch Ihr redet von Tierblut.« Er sah zu mir herunter. »Sagen wir einfach, dass einige Nachtwächter gute Beziehungen zum Zuchthaus haben.« Dieser Gedanke jagte mir Schauer über den Rücken. »Also, ich finde das barbarisch.« Lord Salverton seufzte. »Dafür, dass Ihr solche Schmerzen habt, seid Ihr äußerst gesprächig. Vielleicht sollte ich euch besser selbst laufen lassen.« 

»O Nein, das würde Mr. Meadows sicher nicht gefallen.« Er lachte und ich konnte spüren, wie seine Brust dabei bebte.

»Glaubt Ihr einer dieser Vampire, von denen er erzählt hat, aus dem Gallagher-Clan, ist derjenige, den ich suche?«, fragte ich. Er nickte nachdenklich. »Ja, das ist jedenfalls am naheliegendsten. Leider ist das einer der größten Clans in ganz London, wir haben noch viel Arbeit vor uns.« 

»Mag sein, aber immerhin sind wir ihm einen Schritt näher.«

»Ich werde Euch so leicht nicht wieder los, oder?«, sagte er. »Tut mir übrigens leid, mit Eurer Schulter. Das sollte ein ganz simpler Auftrag werden. Andererseits hat euch das vielleicht eine Lektion erteilt. Diese Sache ist keine Spielerei, sondern bitterer Ernst. Manchmal glaube ich, Ihr habt das immer noch nicht verstanden.« 

Seine Stimme war so beruhigend und der gleichmäßige Rhythmus seiner Schritte so einschläfernd, dass meine Lieder immer schwerer wurden. »Ich bin nur halb so naiv wie Ihr denkt.«, murmelte ich und überlegte, ob es wohl in Ordnung wäre meinen Kopf auf seiner Brust abzulegen. Nur für einen Augenblick. »Das hätte ich an Eurer Stelle auch gesagt, aber wir werden sehen.«

 Vielleicht sollte ich es einfach tun. Wenn es ihn störte, konnte er das ja einfach sagen. Langsam ließ ich meinen Kopf nach unten sinken und legte meine Wange auf sein Hemd. Er blieb still, was ich als stumme Erlaubnis wertete. Während ich in immer weiter in den Schlaf glitt, konnte ich hören wie sein Herz schlug. Dumpf, kräftig und vielleicht sogar ein wenig schneller als normalerweise.

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Ich erinnerte mich nicht an viel, was danach geschah. Irgendwann wurde ich auf ein Pferd gehoben und wir trabten über die nassen Pflastersteine. Ich saß vor Lord Salverton und lehnte mich an ihn. Nach ein paar Minuten stiegen wir in die Kutsche um und dann lag ich plötzlich in einem Bett mit dicken, weichen Kissen. Erst am nächsten Tag wurde ich vom hellen Sonnenlicht geweckt, das mir durch das Fenster direkt ins Gesicht schien.

 Ich schreckte hoch. Meine Eltern! Dem Stand der Sonne nach, musste es beinahe Mittag sein.

 Hastig schlug ich die Decken beiseite und fuhr augenblicklich zusammen. Ich fühlte mich wie gerädert. Der Schmerz in meiner Schulter durchzuckte mich messerscharf und ich stöhnte auf. Langsam kletterte ich aus dem Bett, darauf bedacht, mein rechtes Bein nicht zu beanspruchen.

 Ich trug noch immer, die selben Kleider wie gestern. Grobe Hosen und ein Männerhemd. Nur meine Stiefel hatte jemand ausgezogen und ordentlich an die Wand gestellt. 

Ich zog sie über und humpelte aus dem Zimmer. Ein langer Korridor offenbarte sich mir, mit Türen zu jeder Seite. Eine Weile wandelte ich ziellos durch den breiten Gang, bis ich an eine Treppe kam. Von deren Fuß kam mir eine rundliche Gestalt entgegen, die mich strahlend anlächelte. »Guten Morgen, my Lady. Ich wollte Sie gerade wecken kommen. Die Herrschaften haben bereits gefrühstückt, aber ich habe etwas für Sie übrig gelassen. Warten Sie, ich helfe Ihnen.« Mrs. Clarke nahm meinen Arm und führte mich vorsichtig die Stufen hinunter.

 »Wie spät ist es?«, fragte ich besorgt und versuchte nicht zu tief zu atmen. »Kurz nach elf Uhr. Ich hätte sie schon früher aus dem Bett geholt, aber Dr. Meadows hat gemeint, ich solle Sie schlafen lassen. Er und seine Frau haben die Nacht hier verbracht, damit er nach ihnen sehen kann, sobald Sie sich dazu bereit fühlen.« Ich sah sie eindringlich an. »Bitte, ich muss sofort einen Boten nach Hause schicken, es ist dringend!«

 »Aber, my Lady«, sagte sie beschwichtigend. »Das ist doch längst erledigt.« Ich runzelte verwundert die Stirn und Mrs. Clarke dirigierte mich geduldig durch einen zweiten Korridor zu einer großen Flügeltür. »Der Junge hat schon gestern Nacht einen Brief an ihre Familie schicken lassen.« Mir schwirrte der Kopf. »Wie bitte?«, stammelte ich und ein Diener öffnete stumm die Tür. An einer langen Tafel, die fast den gesamten Raum einnahm, saßen drei Gestalten und unterhielten sich.

 Neben Paulina hatte jemand einen Frühstücksteller gestellt. Als mir der köstliche Duft in die Nase stieg knurrte mein Magen erwartungsvoll. »Guten Morgen«, murmelte ich und die anderen erwiderten den Gruß. »Deine Eltern glauben, du wärst von der Treppe gestürzt und weil man dir die Kutschfahrt noch nicht zumuten wollten, hättest du bei deiner Freundin übernachtet«, erklärte Lord Salverton ungefragt, während Mrs. Clarke mir in den Stuhl half und dann mit wehenden Röcken aus dem Raum rauschte. »Vielen Dank«, sagte ich. »Auch dafür, dass Ich hier bleiben durfte.« Paulina schnaubte belustigt. »Das Haus ist so groß, dass es vermutlich nicht einmal aufgefallen wäre, hätte man eine ganze Kompanie hier einquartiert. Als die Kinder das letzte Mal dabei waren, sind sie beim Verstecken-spielen beinahe verloren gegangen.« 

»Ihr habt Kinder?«, fragte ich und Mr. Meadows nickte stolz. »Drei Stück. Unsere Jüngste wird im Sommer vier Jahre alt.« Auch Paulina lächelte nun und ihr Yorkshire-Akzent verstärkte sich kaum merklich, als sie weitersprach. »Sie leben im Moment in unserem Landhaus. Mit Jeremiahs Mutter und der Kinderfrau, die damals schon auf ihn aufgepasst hat. Ein wundervoller Ort für Kinder und tausendmal sicherer als London, wenn ihr mich fragt.« Beim letzten Satz sah Lord Salverton kurz zu Mr. Meadows, aber sein Gesichtsausdruck hatte sich nicht verändert. Ich biss von meinem Toast ab. 


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Uhhh, ich liebe es einfach, wenn die Protagonistin vom Love-Interest getragen wird. Es ist ein Klischee ich weiß, aber aus gutem Grund, wenn ihr mich fragt! Ich hoffe ihr hattet spaß beim Lesen. Meinungen immer gerne in die Kommentare :)


Byyeeee


Die sterbliche BaroninWo Geschichten leben. Entdecke jetzt