Kapitel 8 Ein Wettlauf gegen die Zeit

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Ich griff an die Klinke. Das Lila in meinen Venen verschwand. Ich machte einen kräftigen Atemzug und trat ein. Der Raum war dunkel. Es hing eine Eisenstange aus der Wand. An dieser hing etwas. In der Dunkelheit erkannte ich nichts, deswegen ging ich näher drauf zu. Zunächst sah ich ein T-Shirt, dann kleine Beine und schlussendlich kleine Arme, welche an den Handgelenken zusammengekettet waren und an der Stange befestigt waren. Ich leuchtete die Kinder an und schaute in die Ecke. Da lag ein Mann. Ich ging auf ihn zu und maß seine Lebenszeichen. Er besaß keine und war kalt wie Eis. Seine Augen standen offen und waren gefüllt mit stummen Schrecken. Ich fuhr über sein Gesicht und schloss sie.

„Mögest du Frieden finden.", murmelte ich. „Du hast gute Dienste erwiesen."

Dann ging ich zu den Kindern. Es waren zwei. Eine Astral und ein Mensch. Beiden waren die Augen zugebunden. Sie atmeten flach.

„Hallo.", fragte ich und berührte die Astral. „Bist du verletzt?"

Anstatt eine Antwort zu bekommen, zitterte sie und ließ den Kopf hängen. Ich zögerte nicht lange und hob beide von den Stangen runter. Dann warf ich sie mir über die Schulter und rannte raus. Draußen angekommen, hatte ich ein Problem. Es lag noch immer das andere Kind auf dem Stein.

„Wie mache ich das jetzt?!", fragte ich mich. Dann hatte ich eine Idee. Ich nahm die Astral und legte mir ihre zusammengeketteten Arme um meinen Hals, dann nahm ich das andere Kind vom Stein und warf es mir über die Schulter. Irgendwie spürte ich, wie ihre Lebenskraft langsam versiegte. Wie, wenn man merkt, dass beim Duschen der Wasserdruck nachlässt. Ich hechtete raus und zum Versteck von Persepho, wo ich den Stein beiseitetrat.

„Du lebst!", schrie sie.

„Keine Zeit.", keuchte ich. Mir trat der Schweiß auf. Mein Rücken war nass. Ich bin dankbar für die Trainingsstunden, damals in der Vorbereitungsschule, denn ich hatte noch ein letztes Bisschen an Willenskraft zusammengekratzt und in Kraft umgewandelt. „Renn."

Wir rannten den Weg entlang, den wir gekommen sind und schnell waren wir draußen. Wir rannten zu dem McDonalds, wo Boreos stand und gerade den letzten Gefallenen tötete. Ein Windschnitt fegte seinen Kopf weg und ein enthaupteter Gefallener sank zu Boden.

„Sam! Du bist da!", schrie er und öffnete die Arme, dann schien sich seine Miene zu verhärten und er rannte zu mir. „Was ist passiert?"

Ich sackte zusammen. Meine Kraft war weg.

„Sie sind... schwer... verletzt...", keuchte ich. „Brauchen... Hilfe... jetzt."

Er nahm mir die Astral und den Mensch ab und begutachtete sie.

„Sieht nicht gut aus.", sagte er. Der Wind fuhr durch ihre Lungen. „Sie haben massive innere Blutungen. Zudem sind sie stark unterkühlt. Sie haben, ohne die nötigen Mittel, keine Chance. Vielleicht noch 5 Minuten, bevor sie langsam abdriften.", er hob die Kinder hoch und schaute Persepho an. „Komm mit Kleines, wir müssen gehen, schnell!"

Ich kämpfte mich hoch. Jeder Muskel, jede Faser schrie auf vor Schmerzen.

„Sam, wir brauchen mehr Zeit.", drängte Boreos und rannte zu den Fahrstühlen. „Wenn du noch etwas hast, wäre es gut, es jetzt zu benutzen."

Ich versuchte mich auf meine Uhr zu konzentrieren. Ich konnte keine Verbindung finden. Ich schrie aus Verzweiflung. Die Lage war aussichtslos. Ich hatte einfach keine Kraft mehr. Wozu habe ich göttliche Kräfte? Damit ich welche Sterben lasse? Hätte ich die Zeit nicht gegen Fräulein Mannsweib und ihre Band aus Rotschopf und Model verschwendet, hätte ich noch welche übrig.

„Eine Eigenschaft habe ich euch nicht gegeben, das Aufgeben.", ertönte es in meinem Kopf. „Ich habe euch die Eigenschaften meiner Geschwister gegeben und einen Willen. Das waren die Eigenschaften, welche euch so stark machten und die, welche meine Geschwister fürchteten."

Ich riss mich zusammen und konzentrierte mich auf meine Uhr. Wo ein Wille ist, ist ein Weg! Selbst, wenn ich diesen erst bauen muss. Ich konzentrierte mich auf meine Uhr.

„Du musst weiter machen!", dachte ich und konzentrierte mich auf das Feuer in mir. „Nicht aufgeben! Weitermachen! Das Universum zählt auf dich!"

Ich spürte, wie meine Venen wieder mit dem lila Blut gefüllt wurden. Sie rankten sich um meine Uhr. Sie fing an, ganz schwach zu flackern, dann wurde sie heller und kurz darauf erleuchtete sie in einem rot-lila Schein. Ich hielt die Luft an und fasste Persepho und Boreos an den Händen. Die Sekunde wurde zur Minute, die Minute zur Stunde und dann zur Ewigkeit. Da ich sie berührte, waren sie frei von meinem Fluch der Ewigkeit.

„Boreos! Los!", schrie ich und schleppte mich voran. „Ich weiß nicht, wie lange ich das noch schaffe!"

Wir schleppten uns zu den Fahrstühlen. Die Zeit der Kinder, die wir trugen war stehen geblieben. Nur Persepho, Boreos und ich konnten laufen. Dabei musste ich mich auf sie beide konzentrieren und darauf achten, selbst nicht gegen eine Wand zu laufen. Nach einer Ewigkeit aus Kopfschmerzen, waren wir bei den Fahrstühlen. Der Schacht war offen, der Fahrstuhl stand da. Wir gingen rein und Boreos fing an einen riesigen Sturm zu erzeugen, welcher uns nach oben warf. Er war in Schweiß getränkt. Persepho schien Angst zu haben. Ich konzentrierte mich auf beide. Ich durfte den Faden an der Zeitkontrolle nicht verlieren. Das ist so, als ob ich probieren würde mit Essstäbchen eine Erbse zu fassen, nur, dass diese eingewachst wurde und deswegen so rutschig ist. Boreos tat sein Bestes und brachte uns nach oben. Die letzten Meter waren ziemlich holprig und mit letzter Kraft waren wir auf der Krankenebene. Ich versuchte einen Schritt zu machen. Jede Zelle in mir schien Feuer zu fangen. Ich spürte, wie mir Blut aus der Nase lief und zu Boden tropfte. Wir liefen schneller. Wir waren noch etwa 2 Minuten vom Noteingang entfernt, als die Uhr plötzlich anfing zu flackern. Plötzlich fing die Umgebung an sich zu bewegen. Ein Kaffee fiel in Zeitlupe runter, die Bilder auf Monitoren bewegten sich langsam. Selbst das Kamerablitzlicht blitzte eine Ewigkeit auf. Wir schleppten uns weiter. Das Flackern der Uhr wurde immer schneller und dementsprechend bewegte sich auch die Umgebung. Nicht mehr lange und ich könnte die Zeit nicht mehr bremsen.

„Komm schon!", schnaufte ich. Ich konnte spüren, wie auch wieder die Lebenskraft der Kinder versiegte. Wir waren nur noch 100 Meter vom Eingang entfernt. „Bitte! Ich brauche mehr Kraft."

Plötzlich wurden meine Venen größer. Das Lila schoss durch sie hindurch. Es versuchte, die Uhr am laufen zu halten. Die Uhr flackerte zwar noch immer, aber jetzt nur noch langsamer. Dafür fing mein Herz an, zu schmerzen. Ein Stechen, wie das leise Messer, welches das Fleisch schneidet. Ich schmeckte Blut und meine Sicht verschwamm. Ich verlor langsam mein Bewusstsein beim Laufen. Das letzte was ich wusste, bevor alles dunkel wurde, war, dass wir die Schwelle des Eingangs überschritten und Lebensformen aller Art uns entgegenrannten. Dann gab mein Herz einen letzten Aufschrei von sich, als es sich schmerzhaft zusammenzog und mir die Luft wegschnürte. Ich fiel zu Boden.

„Geschafft!", war mein letzter Gedanke, als ich langsam dahin driftete. In die stille Umarmung der Dunkelheit.

Sam Gardner Das Tor der EwigkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt