1. Kapitel

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Aimee Farrell war stinksauer. In ihren siebenundzwanzig Jahren hatte sie sich von einem Menschen noch nie derartig beleidigt und herablassend behandelt gefühlt wie in den vergangenen Tagen. Und das, obwohl sie nicht einmal namentlich genannt worden und es kein direkt auf sie gerichteter Angriff gewesen war.
Aber das war auch völlig irrelevant. Man hatte ihre Berufsgruppe erniedrigt, vor Abermillionen Menschen öffentlich bloß gestellt, sodass sie seit nunmehr drei Tagen das Gespött der gesamten Welt waren.

Mittlerweile gab es GIFs, vermeintlich lustige Bilder und kleine Videozusammenschnitte mit absurden, herablassenden Dialogen. Vor weniger als fünf Minuten hatte eine Freundin ihr ein Bild von einem ungepflegten, verrunzelten Goblin auf einem alten Bürostuhl vor einem Computer geschickt. Er ließ den Kopf hängen und aus seinem Mundwinkel rann Speichel, der zu seinen Füßen einen See bildete (wobei Füße der falsche Ausdruck war, immerhin war der halbe Raum mit Speichel gefüllt und der Bürostuhl schwamm mittlerweile). Zusätzlich hatte man wie die Kirsche auf dem Sahnehäubchen einen ruhmlosen Spruch hinzugefügt.

Aimee presste die Zähne fest aufeinander und atmete tief durch, um ihren vor Zorn rasenden Puls zu beruhigen. Es war entwürdigend sie als Goblin darzustellen. Goblins waren Kreaturen, die in Fantasyfilmen getötet wurden und die normalerweise niemand, wirklich niemand, in vergleichbaren MMORPG spielen wollten. Kreaturen, die einfach nur ihrer Hässlichkeit wegen existierten, damit die wunderschönen Wesen sich auch wirklich hübsch fühlen konnten. Es war widerlich.

Sie kochte vor Wut und konnte gerade so verhindern von ihrem Bürostuhl aufzuspringen, ihren Desktop zu Boden zu werfen und so lange brüllend darauf einzutreten bis ihre Wut einigermaßen gelindert war. Sie war kurz davor einen Mord zu begehen - dabei war es ihr Job, bei der Aufklärung von Morden zu unterstützen.

Aimee war sich in diesem Fall allerdings nicht sicher, ob es sich bei dem Mord um einen Mord im eigentlichen Sinne handelte oder nicht eher eine Wohltat im Geiste der Gesellschaft wäre und somit einen Nobelpreis verdiente.

Das aufgesetzte Lächeln ihres Objekt des Hasses lächelte sie von ihrem Desktop aus spöttisch an. Es kribbelte ihr in den Händen, ihre zierlichen Finger um diesen breiten Hals zu legen und zuzudrücken bis es sich nicht mehr regte.
Dieses Hassobjekt war wie eine Spinne. Manchmal bekam man es einfach nicht tot - ob mit dem Staubsauger, dem Taschentuch in Verbindung mit der Toilettenbestattung oder der freundlichen Unterhaltung bezüglich des Weggehens. Diese Viecher waren genauso lästig. Wobei eine Spinne verglichen mit ihm noch .. wie soll man sagen? .. nett war. Nett im Sinne von ‚Sie .. Sie denunzieren nicht diejenigen, die ihr tagtäglich die Arbeit erleichterte und das Leben rettet', ‚Sie laberte keinen Bullshit' und ‚Sie war nicht dermaßen abstoßen, das ein fuckin' Müllhaufen auf einem fuckin' Recyclinghof auf einmal attraktiv erschien!'.

„Aimee." Aimee hob den Blick und sah ihre Freundin und Kollegin Nadja schnaubend an. „Beruhig' dich."

„Ich kann mich nicht beruhigen, wenn - "

Nadja unterbrach sie, indem sie die Hand hob und auf ihrem Bürostuhl um die Trennwand rollte. „Unser Chefs unternehmen sicherlich etwas dagegen. Schlechte Presse kann hier niemand gebrauchen. Du solltest dich beruhigen und auf die Arbeit konzentrieren. Das was wir machen ist wichtig."

„Ich kann nicht akzeptieren, dass unsere Arbeit mit Füßen getreten wird. Wer hat diesem Arschloch vor zwei Wochen den Arsch gerettet, als er beinahe in eine Schießerei von zwei Kartellen geraten ist? Das war Dave. Ohne Dave läge dieser Mistkerl jetzt in einer rechteckigen Kiste und könnte dem Gras von unten beim Wachsen zusehen. Dieser Kerl .."

„Aimee", rief Nadja und legte ihr die Hände auf die Schultern. „Es reicht, wenn wir die Relevanz unseres Jobs kennen. Wir stehen über der öffentlichen Meinung."

Bleib doch wo der Pfeffer wächst, Arschloch!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt