53. Kapitel

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Schlimmer geht es immer, rief sich Aimee ins Gedächtnis, zog die Cap tiefer in die Stirn und beobachtete die Videoaufnahme auf ihren Laptop. Bisher hatte sie den Spruch immer für unsagbar blöd gehalten. Aber im Augenblick war es das Einzige, was sie irgendwie aufrecht hielt. Sich immer wieder zu sagen, dass es schlimmer ging, so blöd es auch klang, baute sie irgendwo auch wieder auf. Und im Augenblick brauchte sie jeden Zuspruch, den sie irgendwie bekam. Das Gesichterkennungsprogramm durchforste die Aufnahme und die Bilder rasten über den Desktop. Nervös wickelte sie sich eine Strähne um den Finger und nippte an ihrem Kaffee. Aimee saß unweit des Krankenhauses entfernt, in dem sie die Aufnahme des Videos vermutete. Die beiden Männer auf dem Video hatten vor einem Fenster mit Blick auf das Meer gesessen und das Interieur und die Wandfarbe haben sie sofort an ihren Krankenhausaufenthalt vor gut einem Jahr erinnert. Sie hatte jeden Morgen durch eines dieser Fenster den Sonnenaufgang sowie abends den Sonnenuntergang beobachtet. Deshalb war ihr der Hintergrund sofort bekannt vorgekommen. Glücklicherweise hing neben dem Fenster an der Wand eine elektronische Uhr mit Datumsanzeige. Dem geschulten Analystenauge war dieses Detail sofort aufgefallen und hatte sie letztlich dazu verleitet, sich in das Sicherheitsnetzwerk des Krankenhauses einzuhacken. Jetzt hieß es abwarten und Kaffee trinken.

Ihr Blick glitt nach draußen auf die belebten Bürgersteige. Auf der Flucht zu sein, war nicht so spannend wie alle insgeheim glaubten. Ständig musste man auf der Hut sein, dreimal nach links und rechts schauen und mindestens zweimal mehr hinter sich. Dies war kein Leben, das sie dauerhaft führen wollte. Ihr Handy klingelte und sie nahm den Anruf sofort entgegen. „Aimee", keuchte Nadja erleichtert. „Wie geht es dir? Ich habe mir Sorgen gemacht, weil ich seit zwei Tagen nichts von dir gehört habe."

„Es ist alles in Ordnung. Ich habe mir ein Zimmer organisiert und musste einiges erledigen", flüsterte sie und sah sich prüfend im Café um. „Aimee, dein Bruder ist hier. Er sucht nach dir und macht sich Sorgen."

Ihr wurde ganz schwer ums Herz. Adam dreht sicherlich grade durch. „Wie geht es ihm? Hast du ihm gesagt, dass ich damit nichts zutun habe?"

„Natürlich habe ich das. Er macht sich große Sorgen und hat den besten Anwalt des Landes einfliegen lassen. Sie arbeiten grade deine Unschuld soweit möglich aus."

„Es wird alles gut", sagte Aimee und betete, dass es so kommen würde. „Aimee, hier ist die Hölle los seit du und .."

„Und? Was ist los, Nadja?"

Ihre Freundin seufzte laut. „Parker ist verschwunden. Der Chef hat Conner wieder zurückgeholt und zusammen mit seinem Bruder auf dich angesetzt. Niemand weis so wirklich, was hier grade abgeht. Es ist ein Chaos."

„Conner und sein Bruder", murmelte Aimee und musste bei der Erwähnung seines Namen die Tränen unterdrücken. Ihr Herz schmerzte und ihr war nach einer weiteren Packung Eis zumute. „Hast du ihn gesehen?"

„Lass uns nicht über ihn reden. Sag mir lieber, ob du schon etwas Neues herausgefunden hast? Ist dir irgendetwas aufgefallen als du mit Conner dort warst, was du bisher für nicht wichtig erachtet hast?" Aimee dachte nach. „Ich meine, es ist unglaublich eigenartig, dass Parker kurz nach deiner Flucht ebenfalls verschwindet. Irgendetwas ist doch Faul an dieser ganzen Sache."

„Nein. Ich habe alles erzählt, was mir aufgefallen ist."

„Irgendetwas stimmt nicht. Es ist als würde ein essenzieller Teil fehlen. Bist du dir wirklich sicher?"

„Oh Gott", keuchte sie, als ihr tatsächlich etwas einfiel. „Ich habe doch in dem Hotel eine Halskette gefunden. Sie war silbern mit einem Anker als Anhänger. Auf der Rückseite waren Initialen eingraviert. PJR."

„PJR? Was bedeutet das?"

Aimee schloss die Augen und konnte nicht fassen, dass sie das vergessen hatte. Wie konnte sie ausgerechnet dieses Detail vergessen. Mit einem Mal ergab alles einen Sinn. Der Häckerangriff. Das Hotel. Der Angriff in der Bank. Das plötzliche Auftauchen von ihrem Ex-Verlobten. Beweise, die sie aus dem Nichts belasten. Sein Verschwinden. „PJR steht für Parker Jacob Ramsey. Er ist der Mann mit den eiskalten, blauen Augen."

Nadja schnappte erschrocken nach Luft. „Parker ist der Mann, der mich in der Bank angegriffen und anschließend auf Conner geschossen hat. Er ist es."

Bleib doch wo der Pfeffer wächst, Arschloch!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt