2. Kapitel

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„Aimee?" Nadja klopfte erneut an die Tür der Kabine, in der sie seit nunmehr zehn Minuten saß und sich zu sammeln versuchte. Ihr Leben schien abrupt bergab zu verlaufen - zumindest fühlte es sich so an.

Aimee hatte stets die Zügel in der Hand gehalten und alles dirigiert. Nichts war einfach so geschehen ohne das sie vorher akribisch darüber nachgedacht und ihre Optionen abgewogen hatte. Dies war das erste Mal seit Jahren, dass ihr die Hände gebunden waren und sie die getroffenen Entscheidungen akzeptieren musste. Außendienst. Und dann auch noch mit diesem chauvinistischen Dreckskerl. Wieso ausgerechnet er?

Seufzend legte Aimee den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Jahrelang war sie dem Außendienst und diesen Agents erfolgreich aus dem Weg gegangen und binnen Sekunden war sie wieder bei Null, wenn nicht gar bei minus zwanzig.

Aimee kannte Außeneinsätze in ihrer Funktion als Analystin und Häckerin und war froh, nie direkt vor Ort zu sein. Das sich das nun änderte, war eine einem Albtraum gleiche Katastrophe.

Es gab viele Geschichten über Analysten und Häcker im Außeneinsatz. Bedauerlicherweise kannte sie nicht eine ohne mindestens eine Amportation oder lebenslänglicher Beurlaubung.

Es hatte schon seine Gründe, weswegen sie in ihren kleinen Boxen im Großraumbüro und nicht in einer provisorischen Leitstelle im hinteren Teil eines Transporters saßen. Sie waren einfach nicht für den skrupellosen, tödlichen Außendienst gemacht.

Leute, wie Aimee, Nadja und die anderen Analysten ihrer Einheit, brauchten eine heimische, beruhigende Umgebung, um von der Grausamkeit ihrer Fälle abzulenken und keinen Zusammenbruch zu erleiden, weil sie emphatische Menschen waren und eine Konfrontation mit einer zerstückelten Leiche von Angesicht zu mehr oder weniger Angesicht nicht wie die Streicheleinheit an einem flauschigen Welpen wegsteckten. Nein. Sowas verkraftete sie einfach nicht.

Zumal ihre motorischen Fähigkeiten verglichen mit Phoenix bescheiden sowie ihre Kraft zum schnellen Treffen von Entscheidungen eher mangelhaft war. Wenn man draußen auf einer Mission war, Verbrecher jagte und einzubuchten versuchte, zählte jede Handlung.

Jeder Schritt musste gut durchdacht sein und fürs Denken hatte man nur den Bruchteil einer einzigen Sekunde. Eine Sekunde, die über Leben, Tod und einer weniger lebenswerten Existenz im Stadium dazwischen entschied.

Ein Kloß bildete sich in ihrer Kehle und sie schluckte. Aimee war kein Mensch, der auf diese Weise der Menschheit helfen wollte.

Nein. Für solche Dinge gab es die Agents. Agents wie Phoenix: waghalsig, stur, leichtsinnig, tapfer. Agents, die diesen Adrenalinkick brauchten wie sie die Luft zum Atmen, um sich wirklich lebendig zu fühlen und mit einem Hauch von Anerkennung, wenn ihnen ein erfolgreicher Abschluss gelang.

Aimee war nicht wie diese Agents. Sie zog lieber eine riesige Packung Eis einem solchen Adrenalinkick und die kurze Einblendung des Wortes ‚Sieg' untermalt von einer instrumentalen Lobeshymne auf ihrem Desktop nach einer Schlacht in ihrem MMORPG der realen, artikulierten Bewunderung vor.

Es klopfte erneut. „Aimee? Ich weiß, dass du Angst hast, aber .. auch wenn du das nicht hören willst. Phoenix ist ein Profi und du musst dir um deine Sicherheit keine Sorgen machen. Er hat immer für die Sicherheit seiner Partner gesorgt und hat diese stets unversehrt zurückgebracht. Die waren manchmal weit aus ängstlicher und schwächer als du. Ich
bin mir sicher, dass ihr den Fall gemeinsam ruckzuck aufklären und zurückkehren werdet. Wenn jemand das schafft, dann du!"

„Nein. Ich wirke vielleicht taff, aber in Wirklichkeit bin ich nicht so stark."

Nadja seufzte laut. „Wo ist meine optimistische, selbstbewusste Freundin hin, die vor nichts und niemanden Angst hat? Schau mal, alle haben sich allein beim Gedanken sich Phoenix zu stellen in die Hose gemacht. Du bist vorgeprescht und hast ihn konfrontiert. Und kannst du dich noch an das Mädchen erinnern, dass im Aufzug einen Verbrecher auf der Flucht aus dem Gebäude niedergeschlagen hat? Oder als sie mit einem riesigen Blumenstrauß einen übergriffigen Mann hingehalten hat, sodass die Polizei sich um ihn kümmern konnte? Aimee, das warst alles du. Wenn es hart auf hart kommt, bist du zur Stelle. Du schaffst das."

Bleib doch wo der Pfeffer wächst, Arschloch!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt