60. Kapitel

1.8K 120 14
                                    

Nur am Rande registrierte Conner das Quietschen der Reife und das laute Geheule der Sirene. Es war nichts im Vergleich zu dem Dröhnen seines Herzens in seiner Brust und den Stimmen in seinem Kopf, die ihn anspornten sich zu beeilen. Sein Blick war auf den schwarzen Van gerichtete, der von der Halle am Hafen los raste und zwischen den Containern verschwand. „Fahr schneller, Blake! Wir dürfen sie nicht verlieren."

Sein Bruder drückte das Gaspedal weiter durch, zog die Handbremse an und bog scharf zwischen die Container ein, während er den ihn folgenden Wagen Befehle zu brüllte. Sie fuhren zickzack durch die Container und Conner versuchte nicht jedes Mal zusammenzuzucken, wenn Parker mit einen Container touchierte. Der Wagen geriet ins Schlingern. Conner umfing den Griff seiner Pistole fester, sodass seine Fingerknöchel weiß hervor traten.

Blake bog um eine weiter Kurve, ihr Wagen kreischte protestierend auf. „Auf der anderen Seite stehen Polizisten. Sie werden nicht weit kommen", informierte ihn Blake, aber Conner ignorierte ihn. Sein Blick heftete an dem Auto vor ihnen. Parker raste aus dem Containerpark heraus, streifte ein Stapel Fässer. Das Fahrzeug geriet ins Schlingern. Es fuhr mit Vollgas auf eine metallene Wegbegrenzung zu. In letzter Sekunde versuchte Parker noch den Wagen zu drehen. Doch es war zu spät. Ihm stockte der Atem. Wie in Zeitlupe beobachtete er wie der Wagen mit der Metallplanke kollidierte und sich darüber hinweg rollte. Glas splitterte und es knallte. Das Fahrzeug überschlug sich und kam wenige Sekunden später scheppernd zum Liegen. „Scheiße", schrie Blake und brachte ihr Auto abrupt zum stehen.

Fassungslos starrte Conner das Wrack an und war für einen Moment außerstande sich zu bewegen. Die Fahrertür wurde geöffnet und ein zorniger, kaum verletzter Parker stieg aus.

Alarmiert taten Conner und Parker es ihm nach, brachten sich hinter den Türen in Position. Parker zerrte eine erdbeerblonde, völlig desorientierte Frau hinter sich her, hielt ihr ein Messer an die Kehle und ging langsam in Richtung Hafenbecken. Conners Herz setzte zu schlagen aus, als er die Frau näher betrachtete. Aimee. Ihr Kopf hing herab und auf ihrer Stirn prangte eine Platzwunde. Sie war kreidebleich und blutete. „Nimm das Messer runter, Parker!", schrie Blake und entsicherte seine Pistole.

Parker ignorierte ihn. Stattdessen sah er Conner mit einem triumphierenden Lächeln an, bei dem ihm ganz schlecht wurde. Er zog Aimee mit sich in Richtung des hinter ihm stehenden Boots. Auf dem Boot bewegte sich etwas - oder jemand. Der Motor sprang an. Ein Mann stand am Steuer und blickte ungerührt zwischen ihnen und Parker hin und her. Scheiße. Wenn sie jetzt nicht reagierten, wäre er gleich weg. Und mit ihm Aimee.

„Ich wiederhole es kein drittes Mal, Parker! Lass das Messer fallen und die Frau los."

Parker lachte höhnisch und verstärkte stattdessen den Druck des Messers an ihrem Hals. „Ihr werdet nichts an der Tatsache ändern, dass wir zwei Hübschen uns jetzt aus dem Staub machen werden."

„Soweit wird es nicht kommen!"

„Doch das wird es." Um sie herum trafen weitere Beamte ein, richteten ihre Pistolen auf Parker. Es war eine aussichtslose Situation. Parker hielt Aimee so vor sich, dass sie keine freie Schussbahn hatten und niemand ging das Risiko ein, sie zu treffen. Er knirschte mit den Zähnen. Er konnte das nicht zulassen.

„Was machen wir jetzt?", fragte Blake und warf ihm einen kurzen Blick aus dem Augenwinkel zu. „Wir brauchen einen Augenblick, in dem er nicht auf seine Haltung achtet und Aimee weg dreht, um ihn erschiessen zu können."

„Wie wollen wir das anstellen?" Conner dachte krampfhaft nach. Aber ihm wollte nichts einfallen.

Sein Atem stockte, als Aimee den Kopf hob und in die Runde sah. Er konnte förmlich sehen wie die Rädchen in ihrem Kopf sich drehten und sie ihre Situation einschätzte. Eine Träne kullerte ihre Wange hinab, als sie realisierte, dass sie im Weg stand und niemand ihr helfen konnte. Im Moment war sie völlig auf sich allein gestellt.

Parker beugte sich vor und flüsterte ihr etwas ins Ohr, woraufhin sie sich verkrampfte und die Füße in den Boden stemmte. Er zerrte sie weiter Richtung Boot. „Wir haben die Wasserschutzpolizei informiert", drang einen Stimme aus dem Funkgerät. „Sie wird in wenigen Minuten eintreffen und euch unterstützen."

„Wir haben keine Minuten."

„Bleib ruhig, Conner", mahnte Blake. „Ich kann das nicht zulassen. Ich -"

Er riss die Augen weit auf, als Aimee die Hände hob und sie um den kräftigen Oberarm von Parker legte. Ihre Augen waren dabei fest auf Conner gerichtet und ihre Lippen bewegten sich stumm. „Nein", keuchte er eine Sekunde, bevor sie zupackte, sich gegen Parker und die Klinge drängte und ihn über sich hinweg rollte. Schüsse fielen und hallten in seinen Ohren wieder.

Parker kippte nach vorne über und riss Aimee mit sich über die Absperrung in das tiefe Hafenbecken. Conner stürzte vor. Er riss sich das Shirt vom Körper, nahm Anlauf und sprang kopfüber hinterher.

Das kalte Wasser schlug über ihm zusammen. Panik pulsierte durch seine Adern, eisig und kribbelig. Er suchte in dem trüben Wasser nach Aimee, tauchte tiefer. Beinahe hätte er kostbare Luft ausgestoßen, als er sie entdeckte.
Ihr Haar schwebte um sie, rahmte ihr regungsloses Gesicht ein. Blut trat aus der Wunde an ihrem Hals hervor und färbten das Wasser um sie herum ein.

Conner biss die Zähne fest zusammen und versuchte den Anflug an Angst zu verdrängen. Sie musste an die Luft. Sie musste atmen. Ohne zu zögern packte er sie und schwamm gen Oberfläche. Er schnappte nach Luft und blickte sich um. Die Wasserschutzpolizei raste auf sie zu, brachte sich in Position um sie an Board zu ziehen. Aimee lag schwer in seinen Armen und er hatte Mühe sie über Wasser zu halten. Sie bewegte sich noch immer nicht und allmählich stiegen ihm Tränen in die Augen. Er war doch nicht zuspät gekommen, oder?

Die kommenden Minuten rasteten an ihm vorbei. Er stand völlig neben sich und war außerstande etwas anderes zu tun, als zu hoffen, zu beten und zu beobachten wie unzählige Menschen um ihr Leben kämpften. Erst als Aimee in den Krankenwagen verladen wurde, fand Conner zurück in die Realität. Man hatte ihm eine Decke um die Schulter gelegt und ihn in den Kofferraum seines Wagens gesetzt. Sein Bruder stand neben ihm und telefonierte. „Es geht ihm gut, Mom. Es ist alles in Ordnung .. Sie lebt und - .. Nein. Ihr braucht - .. Aufgelegt."

„Sie lebt?"

Blake nickte. „Sie ist wieder unter uns. Allerdings muss die Wunde am Hals und an der Stirn genäht werden."

Sie lebte. Das war gut. Und sie war nun außer Gefahr. Das war das aller wichtigste. Jetzt musste er sich nur noch entschuldigen und die Dinge zwischen ihnen wieder gerade biegen. Conner warf die Decke von sich, stand auf und fuhr sich frustriert mit den Händen durch sein Haar. Er hatte es wirklich verbockt. Wenn sie eine seiner Schwestern wäre, würde er ihr davon abraten zu verzeihen. Er könnte es ihr nach allem nicht einmal übel nehmen. Er konnte es nachvollziehen. Dennoch hoffte er, dass sie den Sprung in das kalte Wasser wagen und ihm seine Dummheiten verzeihen würde. Ihm war egal, was er dafür tun musste. Hauptsache er bekam eine zweite Chance. Und dieses Mal würde er es nicht verbocken. Ein Sanitäter sprang aus dem Rettungswagen und schlug die Türen zu. Conner rannte auf den Mann zu. Er würde sie keine Sekunde aus dem
Auge lassen. Er konnte nicht. Nicht noch einmal. „Kann ich mitfahren?"

„Sind Sie ein Verwandter?", fragte der Mann und hielt in seiner Bewegung inne.

Bevor er antworten konnte, wurde hinter ihm eine Tür zugeschlagen und Adam kam auf ihn zugeraunt. „Ich bin ihr Bruder und fahre mit. Lassen Sie mich einsteigen."

„Wir fahren ihnen hinterher", sagte sein Bruder, legte ihm eine Hand auf die Schulter und hinderte ihn daran Adam in den Wagen zu folgen. „Sie muss dringend ins Krankenhaus. Ignoriere deinen Dickschädel, denk an sie und lass den Krankenwagen ohne dich fahren."

Conner ballte die Hände zu Fäusten und knurrte. „Ich hasse es, wenn du so vernünftig bist."

Der Krankenwagen setzte sich mit Blaulicht in Bewegung und fuhr davon. Conner sah ihm hinterher. Das war nicht das letzte Mal. Er würde sie wiedersehen.

Bleib doch wo der Pfeffer wächst, Arschloch!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt