Kapitel 2

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Ich ließ mich vor meinem Sohn ins Gras sinken und unterdrückte ein Schmunzeln, angesichts Avel verkniffenen Gesichtsausdrucks. „Was tust du noch hier? Solltest du nicht längst auf einem Ausritt sein?", fragte ich und knuffte ihn in die Seite. Avel wand sich lachend in meinem Griff und verschränkte die Hände vor der Brust. „Novel lernt noch. Staatsrecht ... er will nicht gehen, bevor er es nicht verstanden hatte", erzählte Avel und ich zog meine Augenbrauen zusammen. „Das klären wir", entschied ich und streckte ihm meine Hand entgegen.

„Mama", flüsterte er und scharrte in der Erde herum. „Ich bin groß" Ich schloss für einen Moment meine Augen und nickte. „Natürlich, Avel", ich beugte mich zu ihm hinunter und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. Wo war ich bloß die ganze Zeit gewesen? Unbeholfen legte ich meine Hand auf seinen Rücken.

Avel war vorangegangen und klopfte vorsichtig an der Tür seines Bruders. Ganz anders als ich es kannte. „Verschwinde, Novel!", tönte es durch die Tür und ich drückte entschieden die Türklinke hinunter. „Avel!"; kreischte er, wandte sich aber nicht um. Im Umgang mit Novel war ich wesentlich sicherer. Ich legte ihm meine Hand auf die Schulter und spürte sein Beben unter meinen Fingerspitzen.

„Dein Bruder kommt in einem Moment", wandte ich mich an Avel, der unschlüssig in der Tür stand und schenkte ihm mein wärmstes Lächeln. Das im Moment wahrscheinlich ziemlich verzweifelt aussah. Behutsam zerrte ich an den Blättern, die Avel mit seinem braunen Haarschopf einklemmte.

Kriegsurteil

8 Menschen zum Tode verurteilt aufgrund des Schiedsspruches des obersten Richters, ...

Vorstreckung bei Dämmerung

Anwesenheit des Hofstaates

„Ich habe noch jede Menge berichte von diesem Tag, dieser Zeit", flüsterte er und deutete auf den Stapel. „Weder Onkel Mathew, noch Ihr habt jemals mit mir darüber gesprochen", setzte er hinter und wischte sich wütend über die Wangen, die mittlerweile eine dunkelrote Farbe annahmen.

„Ich weiß, dass Ihr dabei wart, Mama!", fuhr er mich an und seine Stimme drang bis in den Flur hinaus. „Wie konntet Ihr Onkel Mathew das tun lassen?", schrie er und ballte seine noch immer zarten Finger zu Fäusten.

Ich sah ichm stumm zu, wie er im Zimmer auf und ab tigerte und wutschnaubend auf meine Antwort wartet. „Hast du geweint, weil du enttäuscht bist?" – „Nein, Mama. Ich habe Avel nicht angelogen. Ich war traurig, weil ich die Ausnahme nicht begriff. Bis mir mein Lehrer diese Dokumente zeigte" Ich nickte langsam und ließ mich in einen der hell-gepolsterten Sessel sinken. Mein Rock spannte um meine Hüften und ich seufzte auf. „Ich habe es zugelassen, weil dein Onkel der Kaiser ist und ich kein Recht hatte, etwas dagegen zu unternehmen", erwiderte ich langsam. „Aber darüber sprechen wir, wenn du von deinem Ausritt zurück bist" – „Wie Ihr wünscht, Mama"

Ich sah ihm verdattert hinterher, als er wütender, als ich ihn jemals zuvor erlebt habe, aus dem Lehrzimmer stampfte. Eines war klar: diese Diskussion war noch lange nicht beendet.

Ich beobachtete die beiden, als sie ihren Pferden die Sporen gaben und aus meinem Blickfeld verschwanden. Mit einem Trupp Wachen hinter ihnen. Ich rieb mir über meine Unterarme, um den Schauer auf meinen Armen zu vertreiben, aber es half nichts. Novel kannte bereits jetzt die Einsamkeit des Herrschens. Jene Einsamkeit, die ich langsam kennen lernte, als mich Paget verließ, den dieses Gefühl erst fortgetrieben hatte. Im Vergleich zu Mathew konnte er nie damit umgehen lernen. Mathew war allerdings dafür geboren.

„Gräfin" ich fuhr herum, als sich ein junger Mann vor mir verbeugte. Ich lächelte und nickte ihm zu. „Seid Ihr eine Hofdame der Erzherzogin, damit Ihr Euch hier aufhalten dürft, Gräfin?" – „Ja, und Ihr seid?" Ich biss mir auf die Lippe. Wer auch immer es war, ich sollte nicht mit ihm spielen. Vielleicht war er wichtig. Aber das Funkeln in seinen blauen Augen machte mich neugierig. „Ich bin auf der Suche nach Ihrer Majestät. Mein Name ist Lord Kharja, Botschafter von Spanien", stellte er sich vor und faltete seine Hände hinter dem Rücken. Seine stolze Haltung trieb mir ein Lächeln ins Gesicht. Eigentlich war es nicht meine Schuld, dass ich ihm etwas vorspielte. In seiner Rolle als Diplomat sollte er wissen, wer vor ihm steht. „Ihre Majestät ist gerade in wichtigen Besprechungen mit ihren Ministern. Aber soweit ich weiß, ist für Ende der Woche eine Audienz angesetzt", log ich und wich seinem Blick aus. Seine Augen waren so blau wie Heidelbeeren. Schön und ehrlich. Er würde die Lüge in mir sehen können. „Seid Ihr eine Vertraute Ihrer Majestät, Gräfin?" – „Vertraut genug um Ihrer Majestät eine Botschaft zu überbringen"

Er strahlte mich mit einem Blitzen in den Augen an, dass mir einen Schauer über den Rücken jagte. „Ich muss dringend mit Ihrer Majestät alleine sprechen!", sagte er und ich zog meine Augenbrauen gemäß meiner Rolle nach oben. Innerlich weinte ich bereits Tränen vor Lachen. Wüsste er bloß wie nah er seinem Wunsch war. „Ich weiß nicht, ob sich das arrangieren lässt, Mylord" – „Selbst nicht, wenn es sich um Informationen über Kenneth handelt?" – „Ich werde sehen, was ich für Euch tun kann. Seid morgen um diese Zeit wieder hier, Mylord"

Sein Lächeln beschleunigte meinen Herzschlag und für einen kleinen Moment erwiderte ich es. Er wusste nicht wer ich war und ich wünschte, es könnte so bleiben. Denn sobald er meinen Titel kannte, werde ich diese spitzbübische Art nie mehr erleben. Er wird mich auf zehn Meter Abstand halten und jede Information verdrehen. Ganz im Gegenteil zu seiner direkten Art jetzt.

„Falls ich mich jemals dafür erkenntlich zeigen kann, ..." – „Ich muss gehen, Mylord" Ich schob mich an ihm vorbei und widerstand dem Drang mich nochmal umzudrehen. Ich durfte meinen Kopf nicht verlieren, beschwor ich mich selbst. Selbst, wenn er ein schönes Gesicht hatte, war es eine Staatskrise nicht wert. Denn er wusste etwas, dass ich nicht wissen durfte und er mir trotzdem sagen würde. Das wird Ärger nach sich ziehen.

***

„Du hast was?", rief Maida empört und Princesse Esposito lachte auf. „Wenn die Minister erfahren ..." – „Maida, ich habe mich mit einem netten Herren unterhalten. Macht keine Staatsaffäre daraus" Sie hatte Recht und hoffentlich gab sie sich mit der Kapitulation in meinem Blick zufrieden. Denn mehr würde sie nicht bekommen. Morgen Nachmittag konnte ich noch immer herausfinden, um welche geheimen Informationen es sich handelt und im Notfall, sollte es etwas äußerst Gefährliches sein, könnte ich ihn zurück nach Spanien schicken. Immerhin hatte er mich in meiner Rolle als Erzherzogin brüskiert. Ein Lächeln huschte mir über das Gesicht, als mir bewusst wurde, dass ich mir eigentlich nur einen Ausweg freihielt. 

***

„Ich muss mit Euch sprechen, Mama!", behauptete Avel und strafte seine Schultern. Für einen Augenblick erhaschte ich einen Blick auf seine zitternden Finger, bevor er sie hinter seinem Rücken verbarg. „Alleine", setzte er hinterher. Meine Minister zogen ihre Augenbrauen nach oben, worauf sich Avels Wangen röteten. Zuerst dachte ich, er wolle sich zurückziehen und wollte ihm schon zur Hilfe kommen, aber er wehrte sich. „Stünde mein Bruder, unser zukünftiger Kaiser vor Euch, würdet Ihr Euch ebenfalls zieren? Ich bin sein engster Vertrauter also seht Euch vor!", fuhr die beiden Männer an und bevor sie widersprechen konnten, erhob ich mich. Die Audienz war beendet.

„Gut gemacht, mein kleiner Prinz", lobte ich ihn und wuschelte ihm durch seine frisch gewaschenen Haare. „Worum geht es?", fragte ich sachlich und nahm wieder an meinem Schreibtisch platz. Eigentlich sollte ich ihn für sein Verhalten gegenüber meinen Ministern maßregeln, aber sein Blick war zu ernst und seine Haltung zu entschlossen, um mich damit aufzuhalten. Es schien wichtig zu sein. „Ich habe nicht gelogen, Mama. Novel und ich vertrauen uns alles an", erklärte er und in mir legte sich ein Schalter um. Die beiden schienen betroffener zu sein, als ich annahm. Ihre blinde Loyalität schien zu weichen und ich war mir nicht sicher, ob sie sich nicht einen kleinen Teil davon bewahren sollten.

„Ich weiß, dass ihr enttäuscht seid" – „Sind wir nicht, Mama. Aber nach allem, dass Ihr und unser Onkel uns beigebracht haben ... Novel weiß nicht, was er darüber denken soll" Er saß so aufrecht auf seinem Stuhl, als wäre er bereits um zwanzig Jahre älter und ein Minister. Es erschreckte mich, wie unsere Erziehung Früchte trug. „Und was denkst du?", fragte ich und griff nach einer Feder mit der ich spielte. Bis jetzt habe ich mir nie weiter Gedanken darüber gemacht, was die beiden dazu sagen würden. Ein schwerer Fehler.

Avels Augen weiteten sich für einen Moment und seine aufrechte Haltung sackte zusammen. Ich erhob mich von meinem Stuhl und ging zu ihm hinüber. Er war groß geworden. Aber trotzdem noch nicht so weit wie Novel. „Ich denke, dass Ihr einen Fehler gemacht habt", flüsterte er schließlich und ich rang mir ein Lächeln ab. Ich konnte dieses Gespräch nicht alleine mit ihnen führen. Immerhin habe ich auch nicht alleine diese Entscheidungen getroffen.


Lavinia, dass Mädchen unter VielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt