Epilog, Teil 1

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10 Jahre später

Novel ging neben meiner Liege in die Knie und drückte mir einen Kuss auf die Hand. Die spanische Sonne hatte sein Gesicht gebräunt. In den letzten Jahren war es zur Tradition geworden, dass wir eines der Sommermonate an einer ausländischen Küste verbrachten. Das tut uns gut. Natürlich konnte ich den Hof nicht völlig führungslos lassen, aber mein Papierkram in den Ferien war in wenigen Stunden am Vormittag zu schaffen.

Ich wandte mich hustend von Novel ab. Die Luftveränderung zwischen den einzelnen Ländern wurde von Jahr zu Jahr schwerer zu ertragen. Da konnte auch unser Anwesen an der Küste keine Wunder bewirken. „Nemours und Chevaliers sind hier", berichtete er leise und strich behutsam über meine Hand. Ich richtete mich besorgt auf. „Es gibt schlechte Nachrichten", setzte er hinterher, worauf ich meine Beine von der Liege schwang und mich an Novels Arm aufzog. Langsam stiegen wir die Treppen hinauf und oben angekommen presste ich eine Hand an meine Seite. Novel gab mir einen Moment, bevor ich mich ins Innere des Haues schleppte. Für sie hatte ich mich lediglich wieder einmal erkältet und ich gab alles dafür, dass sie nicht mehr erfuhren.

Nemours kam mir bereits entgegen, dass mich aufseufzten ließ. „Comte Romano ist tot", platzte es aus ihm heraus und ich öffnete entsetzt meinen Mund. Ich hatte ihn seit beinahe zwei Jahrzehnten nicht mehr gesehen. Er hatte sich von einem Freund zu einem meiner größten Sorgenkinder entwickelt, da er Kenneths Bastards mit äußerst fragwürdigen Methoden groß zog. „Weiß es Seine Majestät bereits?", fragte ich besorgt. Dorian kannte Comte Romano um einiges besser als ich. Das muss ihn schwer getroffen haben. „Da liegt das Problem, Majestät", räumte Chevaliers ein und ich sah ihn misstrauisch an, „Kenneths Bastard scheint in die Ermordung verwickelt gewesen zu sein und die Geheimgesellschaft scheint fest davon überzeugt zu sein, dass er auf Dorians Anweisung gehandelt hat" - „Das ist lächerlich, Chevaliers" Nemours deutete Novel mit dem Kopf zu verschwinden, worauf er einen Schritt näher auf mich zutrat. „Ich muss mich setzen", keuchte ich und geleitete die drei Männer in einen Salon. Hier waren alle Salons hell und von irgendwo wehte immer eine salzige Briese. Doch gerade schien die Natur zu verharren.

„In Italien wird Anklage gegen Kenneths Sohn, Dorians Halbbruder erhoben, aber die Geheimgesellschaft hat uns Abschriften von Briefen geschickt, die Dorians Schuld deren Meinung nach belegen", klärte mich Nemours auf und ich presste meine Hand gegen meine Stirn. „Belastend?", erriet ich, worauf Nemours langsam nickte und Chevaliers seufzend mit den Schultern zuckte. „Das Problem ist, dass der Ministerrat Seiner Majestät die Tat zutraut. Seine Majestät machte keinen Hehl aus seiner Verachtung gegen Comte Romano und besuchte erst vor einigen Wochen Comte Romanos Anwesen", brachte Chevaliers den Sachverhalt auf den Punkt. Dorian verhielt sich so feindlich gegenüber Comte Romano um keinen Zweifel an seiner Loyalität aufkommen zu lassen. Der Besuch in Italien ergab sich durch unseren Aufenthalt in Spanien und dauerte nur wenige Tage, weil er seinen italienischen Sohn und Kenneths Bastard besuchte. Die Zeit reichte nicht aus, um eine Verschwörung anzuzetteln. „Erhebt der Ministerrat ebenfalls Anklage?", fragte ich und Nemours sah mich schmerzerfüllt an, bevor er nickte. Ich ließ mich resigniert zurücksinken und Novel übernahm das Gespräch für mich.

„Können wir dem einen Riegel vorschieben?"

„Die Briefe und der Aufenthalt reichen für eine Anklage aus. Wir warten auf die Übermittlung einer Zeugenaussage von Kenneths Bastard und Dorians Sohn"

„Sollte Dorian für schuldig befunden werden ..."

„... wird der Ministerrat die Empfehlung aussprechen, ihn des Landes zu verweisen"

Ich erblasste. Novel griff nach meiner Hand und drückte sie fest. „Bitte entschuldigt mich", brachte ich heraus und erhob mich. Nach unzähligen Jahren in denen Dorian der feste Anker aller meiner Entscheidungen und Erlebnisse war, wollte man mich entwurzeln. „Majestät, noch eine Sache", hielt mich Chevaliers auf und erhob sich ebenfalls. Nemours verzog das Gesicht, schwieg aber.

„Wenn Ihr behauptet, dass Seine Majestät auf Euren Befehl gehandelt hat, können wir diese Sache noch unter Kontrolle bringen", schlug Chevaliers vor und ich riss erschrocken die Augen auf. Einen Moment lang konnte ich ihn nur fassungslos anstarren, bis ich den Ausweg entdeckte, den er mir aufzeigte. Er würde mich decken. Könnte eine geheime militärische Operation daraus machen. Irritiert schüttelte ich meinen Kopf. „Ich ... danke, Chevaliers. Ich muss ..." stotterte ich und deutete zur Tür. Die Männer nickten schweigend.

Ich stürmte die Treppen zu Dorians Arbeitszimmer hinauf. Als ich die Tür hinter mir geräuschvoll zuzog, ließ Dorian den Pergamentbogen in der Hand sinken. Er registrierte alles von meiner heftigen Atmung, bis zu den Tränen auf meiner Wange. Er blieb sitzen. „Ich habe die Anklageschrift soeben gelesen" – „Das ist verrückt" Dorian erhob sich langsam und ich hastete auf ihn zu und schloss meine Arme um ihn.

„Bitte sage mir, du hast das nicht getan!"

„Nein, das habe ich nicht"

Dorian strich mir beruhigend über den Rücken. Aber in seinem Gesicht stand mehr Schmerz, als eine zu unrechte Beschuldigung auslösen konnte. Ich schloss verzweifelt meine Augen und zwang mich nachzufragen: „Aber?" – „Ich habe von den Plänen gewusst und meinen Teil dazu beigetragen, dass sie funktionieren"

Ich sah ihn fassungslos an, bevor ich ihm einem Impuls nach eine Ohrfeige verpasste. Er riskierte unsere Zukunft. Jetzt würde mir nichts mehr anderes übrig bleiben, als Chevaliers Hilfe anzunehmen und die Schuld auf mich zu nehmen. „Der Ministerrat wartet auf eine Aussage deines Sohnes– wird sie dich entlasten?" – „Leone ist ein guter Junge, aber ich kann nicht von ihm verlangen, dass er lügt und ich weiß nicht, was er gesehen hat" Resigniert ließ ich mich auf den Sessel gegenüber von seinem Schreibtisch sinken. Ich klammerte mich an der Armlehnen fest, als könnte sie mein zerfallendes Leben zusammenhalten. „Wir reisen noch heute ab", bestimmte ich und stemmte mich aus dem Stuhl hoch. Sollten die Minister es wagen, ihn zu verurteilen, wollte ich ihnen dabei in die Augen sehen.

„Ich habe es für dich getan", rief Dorian, als ich bereits an der Tür angekommen bin. Ich schluckte schwer. Er hatte für mich ein Mordkomplott unterstützt. „Du hast mich gewarnt, dich jemals wieder zwischen deiner Pflicht und mir wählen zu lassen", redete er weiter und trat näher hinter mich. Erneut traten mir Tränen in die Augen. Ich hätte mich jedes Mal für ihn entschieden. „Comte Romano geriet außer Kontrolle und du weißt, dass der Ministerrat mir die Schuld dafür gibt. Die einzige Lösung war ein Mord. Man konnte lediglich zwischen Comte Romano und dem Jungen wählen", er wurde immer leiser und legte die Arme auf meine Schultern. Dieser dumme Satz. Das nächste Mal entscheide ich mich für mein Land ... Er war nicht töricht genug, mir das zu glauben, aber Patriot genug, unsere Liebe dafür aufs Spiel zu setzen. Ich schüttelte ihn ab und stürmte aus dem Zimmer. 

Lavinia, dass Mädchen unter VielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt