„Ich beginne zu begreifen, warum Mathew unbedingt wollte, dass du die Krone trägst", lobte mich Dorian und kam mit einer zusätzlichen Decke unter seinem Arm auf mich zu. Ich nahm sie ihm dankend ab und erhob mich von meiner Sonnenliege. Die Meeresluft tat meiner Lunge wirklich gut. Das Atmen fiel mir schon leichter. Ich schwang mich auf meine Beine und blieb steif wie ein Brett stehen, als Lichtpunkte durch mein Sichtfeld tanzten. Dorian bot mir schweigend seinen Arm an und ich war dankbar, mich auf ihn stützen zu können. „Geh ein Stück mit mir", bat ich und Dorian folgte meiner Bitte erneut ohne etwas zu sagen. Ich fühlte mich alt.
Als wir den Weg zum Strand geschafft hatten, schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf den kühlen Wind, der mir ins Gesicht schlug. „Du bist du so schön", flüsterte Dorian und ich lachte auf. Schön .... So fühlte ich mich ganz und gar nicht. Sondern ausgezehrt. Deshalb reagierte ich nicht darauf. Dorian führte mich weiter, sobald ich meine Augen wieder aufschlug. Trotzdem schloss ich dieses Wort ganz tief in meinem Herzen ein. Für Dorian war ich immer noch schön. „Ich habe gute Neuigkeiten für dich" – „Hast du schon einen Plan für das Seehaus?" Dorian lachte auf und nickte. Ich versuchte miteinzustimmen, aber meine Lunge zog sich sofort zusammen und ich blieb keuchend stehen. Dorian sah alarmiert zu mir herunter. „Gehen wir wieder hoch", ich stimmte nickend zu und Dorian sparte sich den Rest seiner guten Neuigkeiten bis wir wieder oben waren. Er legte seine zusätzliche Decke um meine Schultern und setzte sich an den Rand der Liege.
„Wir haben Nachricht vom spanischen Botschafter", flüsterte Dorian und beugte sich weiter zu mir nach vor. Ich richtete mich kerzengerade auf. „Grace und ihr Verlobter packen bereits ihre Sachen", sprudelte es endlich aus ihm heraus und ich fiel ihm jauchzend um den Hals. Dorian schloss sofort die Arme um mich. Ich lachte laut und drückte mein Kinn fest auf seine Schulter. Endlich ... Kaum hatte ich den Gedanken realisiert, spürte ich das Kratzen in meinem Hals. Ich drückte mich von Dorian los und ließ mich hustend zurücksinken. „Brauchst du noch eine Decke?" – „Nein, ich danke dir Dorian, für alles"
***
Ich habe mich den Kindern und Dorian im Familienanwesen verbarrikadiert. Es erschien mir die einzige Lösung Novell vom Militärlager fernzuhalten, ohne den Ministerrat oder noch schlimmer das Militär noch weiter zu verärgern. Wahrscheinlich sollte ich mir keine allzu großen Hoffnungen machen, dass es klappt, aber ich könnte es zumindest versuchen. Außerdem lag der Hof immer noch im Trauerkleid. Hier konnte ich meiner Schuld wenigstens ein Stück weit entkommen.
„Wann kommt Prinzessin Grace endlich?", fragte Leila und verschlang gerade ihre zweite Portion Rührei. Leider hatte sie meine Essgewohnheiten übernommen. Sie aß nur, wenn es ihr gut geht. Das konnte ich verstehen, aber gerade für so ein kleines Mädchen waren regelmäßige Mahlzeiten wichtig.
„Irgendwann im Laufe des Tages", versprach Dorian und lächelte sie an. Die Jungen nahmen es gelassener, das Dorian nun mehr Zeit mit uns verbrachte. Leila sah das eher skeptisch und ich merkte, wie es Dorian anspornte, sie von sich zu überzeugen. „Wird sie dann bei uns wohnen" – „Nein, sie wird mit ihrem Verlobten in der spanischen Botschaft residieren" Novell verdrehte genervt die Augen, worauf sich Leila beleidigt zurückfallen ließ und einen Schmollmund zog. Seufzend schob ich mir einen Bissen meines eigenen Rühreis in den Mund.
„Majestät! Das Schiff hat soeben angelegt! Die Prinzessin ist unterwegs!", rief der Butler und stolperte beinahe über seine eigenen Füße, als er durch die Tür stürmte. Mich überlief ein eisiger Schauer. Es hatte beinahe neun Jahre gedauert bis ich alles so weit hatte, sie zurückzuholen. Ob sie mir das jemals verzeihen kann? Ich nickte im knapp zu und erhob mich von meinem Stuhl. „Ich hole mir nur schnell einen wärmeren Umhang", entschuldigte ich mich.
Meine Hofdamen schwärmten in ihrer üblichen Betriebsamkeit durch meine Räume und ich fühlte mich wie ein Störfaktor in ihrer Harmonie. Verlegen drückte ich mich an meine Frisierkommode und wartete auf Maida, die mir einen wollenen Umhang heraussuchen wollte. Was soll ich zu ihr sagen. Es tut mir leid? Dein Papa hat es wie alles andere vermasselt?
„Lasst uns alleine", ich spürte Dorians Arme, bevor ich seine Stimme erkannte. Ich ließ mich wortlos an seine Brust ziehen und spürte seine Lippen an meinem Haaransatz. „Ich hatte gehofft du wärst ganz außer dir vor Freude" – „Du weißt wie das mit Hoffnung ist. Sie ist nur dann vorhanden, wenn man berechtigte Zweifel hat"
Ich wand mich aus seiner Umarmung und stützte mich am Fensterbrett ab. Ein und Aus. Ein und Aus. Grace hat sich bereits öfters für mich entschieden. „Du konntest doch nichts dafür", flüsterte Dorian. Ich schluchzte auf.
„Majestät, sie ist da"
Grace knickste vor mir und ich war einen Moment so irritiert von der Geste, dass ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte. Meine Routine übernahm und ich reichte zuerst dem Gesandten und dann meiner Tochter die Hand. „Mein aufrichtiges Beileid für Euren Verlust, Majestät", begrüßte er mich und mein Blick schweifte nochmal kurz zu ihm hinüber. Seine Augen waren genauso dunkel wie seine Haare uns alles an ihm strahlte eine eigenartige Strenge aus. Mit ihm würden wir wenigsten in der Diplomatie weiterkommen.
Mein Blick flog zurück zu Grace. Es schien ihr in Spanien tatsächlich gefallen zu haben. Ihre Augen hatten ein Strahlen, das ich selbst nur selten sehen durfte und zum ersten Mal war sie nicht mager, sondern sah aus wie eine richtige Frau. „Es freut mich Euch hier begrüßen zu dürfen, Botschafter", ich nickte ihm mechanisch zu, weil mein Blick eigentlich auf Grace verweilen wollte.
„Ihr macht mich nervös", reagierte Grace und ich wandte schmunzelnd den Blick ab. „Mama", setzte sie flüsternd hinterher und mir schossen Tränen in die Augen. „Mein Engel", erwiderte ich und zog sie zu einer Umarmung an mich. Ich konnte nicht glauben, dass ich sie nach all den Jahren doch noch in meine Arme schließen konnte.
„Mir geht es gut, Mama. Bitte hört auf zu weinen", flüsterte Grace in mein Ohr und ich lachte heiser auf. Ich spürte Dorians Hand auf meiner Schulter, die tröstend zudrückte. Langsam löste ich mich von ihr, sah sie aber immer noch an. Ich konnte nicht glauben, wie erwachsen sie geworden war. „Möchtet Ihr uns nicht hinein bitten?", half mir Grace auf die Sprünge, worauf ich eilig nickte. Gott, hatte ich ein Glück sie wiederzuhaben.
Der Botschafter war schweigsam, aber schien trotzdem alles um sich herum wahrzunehmen. Gelegentlich flüsterte er mit Grace. Sie hing an seinen Lippen. Ich bete dafür, dass das für immer so bleiben möge. „Ich mag das neue Haus", sagte Grace und drehte sich nochmal um ihre eigene Achse. „Mathew hat es mir geschenkt. Das Familienanwesen war ohne dich und Papa zu kalt", gestand ich und wandte mich im selben Moment ab. Ich sollte sie nicht weiter an meine Schuld erinnern.
„Wird Papa zurückkommen?", fragte Grace, als wir im blauen Salon platznahmen. Meine Augenbrauen schossen in die Höhe. Davon hatte sie mir nie geschrieben. Nicht, dass unser Briefkontakt besonders regelmäßig oder detailreich gewesen wäre. Novel drehte sich zu mir herum. Ich bemerkte die Frage in seinen Augen und sah ihn streng an. Seine Geschwister sollten von diesem Gerede nichts mitbekommen. „Der Erzherzog ist tot", stellte der Botschafter scharf fest, worauf Novel den Blick abwandte.
„Wolltet ihr nicht einen Ausritt machen? Es istvielleicht die letzte Gelegenheit, bevor wir in die Stadt zurückkehren", wechselteich das Thema und die Buben waren alle vier sofort hellauf begeistert. Grace wartete, bis alle Kinder außer Hörweite waren. Dann sprach sie weiter: „Ihrwisst genauso gut wie ich, dass Papa ein quicklebendiger Engländer ist"
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Lavinia, dass Mädchen unter Vielen
Historical FictionLavinia wird mit der Gewissheit konfrontiert, dass Paget nicht zurückkehren wird, während ihr Cousin Mathew immer schwächer wird. Wer wird das Land reagieren, sollte Mathew wirklich sterben und wer steht ihr dann noch zur Seite? Im letzten Band dies...