Kapitel 18

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„England, also ..." Verunsichert schlang ich die Arme um mich selbst. Auch nach all den Jahren setzte sich der Gedanke in mir fest, er war ohne mich nachhause gefahren.

„Ihr wusstet es nicht", stellte der Botschafter fest und ich wandte mich um. Verengte meine Augen zu Schlitzen. „Die spanische Botschaft zeigte sich besonders verschlossen" – „Karjha hat in aller Intimität nicht mit Euch darüber gesprochen?" Ich schnappte beleidigt nach Luft und verschränkte meine Arme. Das verlief gar nicht gut. Betont langsam griff ich nach der Glocke und läutete nach Tee. „Was wisst Ihr noch über Paget?" – „Das wichtigste ist, dass er nicht zurückkommen wird" Ich starrte den Botschafter entgeistert an. Aber wenn er wusste, dass er in England verweilte, dann wusste er vielleicht auch sonst noch etwas. Grace sagte etwas zu ihm in einer Sprache, die ich nicht verstand, bevor sie mich umarmte.

„Er ist Eure Tränen nicht Wert, Mama"

Ich nickte klamm und drückte meine Stirn in ihre Halsbeuge. Besonders für Grace war Paget ein schlechter Vater gewesen. Trotzdem sollte sie nicht so über ihn sprechen.

„Warum hat er dich verlassen?", fragte ich Grace und lehnte mich ein Stück zurück. Seine Ehefrau zu verlassen, war eine Sache. Aber seine Tochter zurückzulassen, die ihn noch dazu auf seiner irrsinnigen Reise begleiten musste, etwas ganz anderes. „Papa wollte Kenneth tot sehen", berichtete Grace und löste sich endgültig von mir, als ein Diener mit einem Tablet hereintrat. Wir warteten schweigend ab, bis er das Service abgestellt hatte.

Paget hatte seinen ursprünglichen Auftrag also doch nicht vergessen. Mathew tobte, als er von Pagets Verschwinden erfuhr. Er kannte seinen Bruder gut genug um zu wissen, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen war.

„Die Geheimgesellschaft konnte das aufgrund ihres Bündnisses mit Kenneth nicht zulassen. Aber Papa bekam die Erlaubnis, Wachen zu bestechen, damit sie Auskunft über Kenneths Route gaben. Als Pfand, Kenneth wirklich nichts zu Leide zu tun, blieb ich in Spanien", erzählte sie und faltete ihre Hände im Schoß. Mein Blick schweifte zum Gesandten, der mit einer Hand seine Teetasse umklammerte und mit der zweiten Hand nach Graces gefalteten Händen griff. Ihre traurige Miene milderte sich ein Stück.

„Wusste Mathew davon?"

„Nein. Aber Großmama"

Deshalb hatte sie Briefe über Kenneths Reiseroute. Warum hatte sie mir das nicht erklärt? Alles hätte in Ordnung kommen können! Sie wäre die Heldin der Nation gewesen, weil ... ich stockte einen Moment. Müde ließ ich mich auf die Sitzgruppe zurückfallen Sie konnte es nicht zugeben, weil Mathew sofort einen Attentäter ausgesandt hätte. Mama steckte also mit Karjha unter einer Decke, der mir die richtige Dechiffrierung gegeben hatte.

Ich musste Paget zugute halten, dass er das clever eingefädelt hatte. Wenn es auch am Ende des Tages zu Mathews Nachtteil wurde.

„Papa wusste, dass Ihr auf Dorian warten würdet", wechselte Grace das Thema und suchte meinen Blick. Auf ihn warten ... hatte ich das getan? Als Mathew ihn nach Italien gesandt hatte, war ich zu tief in meinen Schmerz über Pagets Verschwinden versunken, als dass ich mich richtig hätte wehren können. Trotzdem hatte ich protestiert. Ihn angebettelt, dass er mir nicht auch noch Dorian nehmen sollte. Aber Mathew war überzeugt gewesen, dass Dorian der Einzige war, der die Italiener langfristig an uns binden könnte. Er hatte Recht behalten.

Verwirrt nippte ich an meiner Tasse Tee. „Papa wusste also die ganzen Jahre über wo Kenneth war?" – „Nein, die Informationen wurden an Großmama weitergegeben" Grace lächelte mich besorgt an. Ich wischte mir über die Stirn. Wie hatte mir das jahrelang entgehen können? Ich ging vor Grace in die Knie und legte meine Hände über die des Botschafters. „Es tut mir unendlich leid, dass du den Preis dafür zahlen musstest", beteuerte ich und drängte die Tränen zurück. Meine Tochter musste für meine Blindheit leiden – es war nicht an mir zu weinen. Ich räusperte mich und ließ meinen Blick zum Botschafter schweifen. Er war ein mutiger Mann. „Ich schwöre Euch, auch mit Grace an meiner Seite, werde ich Kenneth nichts zu Leide tun"

Der Botschafter nickte langsam und sah auf unsere übereinandergelegten Hände. Langsam wurde mir die Berührung zu intim und ich zog mich zurück. Der Botschafter flüsterte Grace erneut etwas ins Ohr, dass ich nicht verstand. Aber Grace breites Lächeln reichte mir als Information. 

***

Ich schob einige Dokumente über meinen Schreibtisch, um mich zu entscheiden, was ich als erstes Verkraften könnte zu unterschreiben. Beim ersten Dokument das ich unterschrieb, setzte ich noch meinen erzherzoglichen Titel darunter.

„Majestät" Timophly salutierte vor mir und ich schob geschäftig meine Blätter weiter von der einen zur anderen Seite. „Wo sind die Buben?" – „Novel wurde vom Oberstkommandanten mitgenommen" Ich sprang auf und sah Timophly fassungslos an. Wie konnte er das zulassen? War er am Ende selbst der Meinung mein Sohn sollte zu diesen Scheusalen? „Erzherzog Dorian sah die Argumente des Oberkommandierenden als schlüssig an" – „Oh, das werden wir noch sehen" Ich fegte meine Unterlagen auf einen Stapel zusammen und verschloss sie in der ersten Schublade. Wie konnte Dorian bloß so leichtfertig sein? Schlüssige Argumente ... das klang für mich nach Bedrohung und Einschüchterung. Ich keifte meine Hofdamen an mir meine Sachen zu bringen.

„Lavinia", bei Dorians Ruf blieb ich abrupt stehen. Was der Oberkommandant bloß gegen ihn in der Hand hat! „Tu jetzt nichts Törichtes" – „Du bist nicht mein Vater" Es stand ihm nicht zu mich vor den Augen der Dienerschaft zu maßregeln. Ich verschränkte wütend meine Arme. Zuerst verschacherte er meinen Sohn um seine Geheimnisse zu bewahren und dann stellte er mich vor der Dienerschaft bloß. Er behandelte mich, als sei er mir als Ehemann längst übergeordnet. Er streckte seine Hand nach mir aus und strich nochmal über meine Wange. Ich funkelte ihn böse an. „Sollen wir das nicht vorher besprechen?", fragte er und lächelte mich sanft an. In meinem Nacken lagen die Blicke der Diener, die mein überhasteter Aufbruch aufgescheucht hat. Überall standen sie wahllos herum, weil sie nicht wussten, was vorging. Ich sah Dorian entschuldigend an.

„Ich bin die Kaiserin", stellte ich klar und hätte mich beinahe an meinen eigenen Worten verschluckt. „Niemand nimmt mir meine Kinder weg" Dorians Miene verhärtete sich und er trat mit einer Verbeugung zurück.

Ich bereute zutiefst keinen Schleier genommen zu haben. Es waren zu viele Wachen um mich. Ich konnte kaum atmen. Auch nach beinahe zehn Jahren konnte ich mit dem Gefühl nicht umgehen. In meinen Köpfen verwandelten sich unsere Uniformen in die von Malheur, obwohl es keine Soldaten mehr gibt, die sie heute tragen. Nachdem Mathew gesiegt hatte, sorgte ich dafür, dass sie verschwanden. Mir strömten die Gerüche aus diesem alten modrigen Keller aus Malheur entgegen, wenn ich auf die Ansammlung von Uniformen starre.

Bisher hatte sich mir keine Wache in den Weg gestellt, aber leider endete meine Glückssträhne gerade. „Ich suche den Kronprinzen" – „Ich führe Euch zum Oberkommandanten" Für einen Moment blieb mir das Herz stehen. Obwohl ich eine einstündige Kutschenfahrt hinter mir habe, hatte ich keine Vorstellung davon, wie ich ihm gegenübertreten sollte. Nachdem sich der Wachmann vor mir verbeugt hatte, führte er mich durch die steinerne Rüstungsanlage und mir wird bereits nach der zweiten Tür klar, das sich ohne Hilfe nie wieder hier raus kam. Das störte mich. „Majestät" dieses Mal salutierte er vor mir und die Abzeichen an seiner Uniform klimperten Ich suchte seinen Blick, aber seine dunklen Augen starrten an mir vorbei. Ohne anzuklopfen öffnete ich die Tür.

Novel stand nur in seiner Unterwäsche bekleidet vor dem Leutnant. Seine Fäuste waren an seiner Seite geballt. Er versuchte seine Wut zu verbergen. Guter Junge. „Majestät", der Oberstkommandant salutierte vor mir. Seine Adjutanten machten es ihm nach. Zielstrebig ging ich auf ihn zu und streckte ihm meine Hand entgegen. Für den Bruchteil einer Sekunde zögerte er. Ich hob meine Augenbrauen. Würde er mich wirklich diese Ehrerbietung verweigern, dann könnte ich ihn sofort des Amtes entheben. Aber den Gefallen tat er mir nicht.

„Lasst mich mit dem Kronprinzen alleine"


Lavinia, dass Mädchen unter VielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt