Kapitel 24

378 29 23
                                    

Dorian drückte mir einen Kuss auf die Stirn, nachdem sich der französische Gesandte entfernt hat. Ich errötete. Zumindest die Italiener und Franzosen schienen treu zu mir zu stehen. Das war ihnen aber geraten. Seufzend wandte ich mich zu Nemours um. Chevaliers hatte den Raum bereits verlassen, deshalb lehnte ich mich für einen Moment an Dorian. Vor Nemours lohnte es sich nicht, Geheimnisse zu haben. „Ihr müsst zum Diner bleiben", wies ich mit geschlossenen Augen an, „Marcel will mehr über Bonnebelle wissen" Dorian hinter mir versteifte sich und hörte Nemours scharf Luft einziehen. „Der Bastard Eures Mannes?" vergewisserte er sich, worauf ich die Augen aufschlug und ihn mahnend ansah.

„Das halte ich zum jetzigen Zeitpunkt für ausgesprochen schlecht"

„Weil?"

„Weil Euch gerade der Ruf als gute Mutter die Sympathien erkauft und sollte Bonnebelle zurückkommen, das ein herber Schlag in diesem Bild wäre"

„Bleibt Ihr also zum Diner?"

Nemours seufzte theatralisch auf und ich bemerkte, wie sein Blick ein Stückchen über meinen Kopf wanderte. Ich schmunzelte. Dorian schien Nemours nicht zu geben, das er suchte, denn er nickte geschlagen. Keinen Moment später klopfte es an der Tür. Da ich nur einen Gast zum Diner erwartete, nickte ich dem Saalhüter sofort zu.

„Ich sehe mir die Akten für morgen nochmal durch", verabschiedete sich Dorian und ich drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Marcel beäugte ihn misstrauisch, als er an ihm vorüberzog. „Die Verhandlungen haben genauso lange gedauert, wie ich es befürchtet hatte. Komm, Junge. Deine Mutter braucht eine große Nachspeise" Nemours legte Marcel eine Hand auf die Schulter und schob ihn Richtung grünem Salon. Ich konnte die Anspannung des Jungen sehen. Aber ich konnte nicht ausmachen, ob es an Nemours und meiner alleinigen Gegenwart oder an seinem neuen Verständnis einer Mutter lag. Ich befürchte, das werden wir früh genug herausfinden.

Ich schob den Suppenteller unruhig hin und her. An Marcels ungeduldigem Blick konnte ablesen, dass ich endlich erzählen sollte. Aber ich hatte bis jetzt noch keinen passenden Anfang gefunden. „Du solltest wissen, dass ich deine Mama nur zwei Mal gesehen habe", begann ich. Deshalb war Nemours hier. Wenn Paget die Wahrheit gesagt hatte, dann war Bonnebelle schon einige Jahre seine Geliebte. „Das erste Mal kam sie, um mir gegen Pagets Willen zu erzählen, dass sie ein Kind erwarte. Ich glaube, wir wussten in diesem Moment beide nicht Recht, was wir sagen, oder wie wir reagieren sollten. Das zweite Mal war sie hochschwanger", ich zögerte einen Moment. Bisher hatte ich mir über Bonnebelles Intention mir zu berichten nie weitere Gedanken gemacht. Für mich war klar, dass ich das Kind ohnehin genommen hätte, sobald ich davon erfahren hätte. Aber Bonnebelle konnte sich dieser Sache nicht gewiss sein.

„Im Nachhinein betrachtet vermute ich, dass deine Mama wusste, dass Paget diese Schwangerschaft mit allen gottmöglichen Mitteln geheim gehalten hätte. Das wollte sie nicht für dich. Deshalb hat sie mich angesprochen"

„Aber Ihr habt Papa geliebt. Angenommen Dorian hätte eine Mätresse, würdet Ihr ihn dann weniger gern haben?"

Ich fuhr zusammen und Nemours funkelte Marcel böse an. Alleine bei dem Gedanken Dorian könnte ... aber nein. Er hat es versprochen. Bereits vor unzähligen Jahren. „Ich hätte das Gefühl, er hätte mich weniger gern und ... wahrscheinlich würden wir uns streiten"

„Habt Ihr mit Papa darüber gestritten?"

„Manchmal über seine Untreue. Aber nie über dich. Er hatte nach Bonnebelle ..."

Ich hatte diese Dinge bereits so lange nicht mehr ausgesprochen, dass mir plötzlich Tränen in die Augen stiegen. Meine Ehe dauerte zwar kaum zwei Jahre, aber ich wurde trotzdem einige Male betrogen. Vielleicht sollte ich mir das mit Dorian nochmal überlegen.

„Majestät seid Ihr Euch sicher ...", ich hob die Hand und Nemours ließ sich resigniert zurückfallen. Er läutete nach dem Diener, der unsere Suppenteller abservieren sollte, da von uns den Teller niemand mehr anrührte. „Das wichtigste, dass ich dir über deine Mutter erzählen kann", ich schniefte kurz und ärgerte mich gleichzeitig über mich selbst. Warum berührte mich das immer noch? Es war lange vorbei und begraben, „ist, dass sie dich so sehr geliebt hat, dass sie wusste, dass du hier ein besseres Leben hast, als mit ihr im Exil" Marcel starrte einen Moment auf das Tischtuch.

Der Diener verschaffte mir eine Atempause, indem er unsere gebratenen Hähnchen hereinservierte. Ausnahmsweise freute ich bereits auf das Essen. „Warum konnte Mama nicht hierbleiben?" – „Seine Majestät der Kaiser hätte das verboten. Die Affären deines Vaters hatte zuerst nur die Hofgesellschaft entzweit, aber nach und nach drang mehr nach außen. Das Volk war eindeutig auf der Seite Ihrer Majestät" Nemours sah mich einen Moment nachdenklich an. Reflektiert klang das alles sachlicher, als es war. Bonnebelle musste gehen, weil Paget fort war. Mathew sah in ihr den Anfang des Untergangs von Pagets gutem Ruf und ich war nicht selbstlos genug, um sie zu schützen. „Wir konnten es uns nicht leisten, deine Mutter hierzulassen"

Marcel sah stumm auf seinen Teller. Eilig griff ich nach meinem Besteckt und die beiden folgten mir. Ich bemerkte meinen Hunger erst, als ich begonnen hatte zu essen. Das fühlte sich gut an. „Bonnebelle war die Mätresse Pagets seit ich denken kann. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann das begonnen hat, aber wahrscheinlich, als sich Paget für Grace Mutter zu interessieren begann", ergriff Nemours das Wort und ich hob überrascht den Kopf. Bisher hatte ich immer angenommen, Bonnebelle käme nach Grace Mutter. Neugierig legte ich das Besteckt zur Seite.

„Soweit ich das mitbekam, war Bonnebelle äußerst anspruchslos", fuhr Nemours fort, worauf sich Marcels Miene verdunkelte, „Sie nahm Paget so wie er war. Da gab es keine Politik oder höfisches Geplänkel, wenn er mit ihr zusammen war. Noch zusätzlich bestand sie nicht darauf, dass er ihr treu war. Bonnebelle faszinierte den ganzen Hof mit ihrem schillernden, selbstbewussten Auftreten" Schillernd hatte ich sie auch in Erinnerungen. Mit ihrem kurvigen Körper konnte ich mich beinahe bildlich vorstellen, wie sie die Männer in ihrer Jugend angezogen hatte. Marcel lächelte leicht und wir nahmen alle unser Besteckt in die Hand um weiter zu essen.

„Bitte stelle dir die beiden nicht als Liebespaar vor. Die beiden lebten in Symbiose. Paget stattete sie mit allem aus, dass sie bei Hof brauchte und sie gab ihm dafür Zuneigung zu seinen Bedingungen"

„Und als Ihre Majestät kam?"

„Paget drückte sich natürlich davor, Bonnebelle zu berichten, wohin er aufbrach – das übernahm Mathew. Ich kann dir nicht sagen, wohin sie ging. Deine Mutter hatte die Fähigkeit aufzutauchen, wenn dein Vater sie brauchte und anschließend wieder zu verschwinden"

Marcel nickte langsam und nahm einen Bissen von seinem Geflügel. Ich atmete auf. Hoffentlich war es damit getan. Natürlich hatte mich Paget nicht gekannt, aber der Gedanke missfiel mir, dass sich Paget von Beginn an diese Hintertür offengehalten hat. Andererseits sagte das auch einiges über unsere Ehe aus. Paget hatte für jeden Konflikt mehrere Hintertüren und langsam begann ich zu verstehen, wie lange diese bereits existierten. Eigentlich hatte unsere Ehe von Beginn an keine Möglichkeit zu funktionieren.

„Aber mein Vater musste doch mit Bonnebelle gesprochen habe, als er nachhause kam", beharrte Marcel und ich zuckte erneut zusammen. Hatte er wirklich ...? Nemours sah hilfesuchend zu mir, aber ich wich seinem Blick aus. Ich brachte kein Wort heraus. Wollte ich wirklich erfahren ...? „Paget stand ..." Nemours zögerte und ich spürte noch einmal seinen Blick auf mir, „in brieflichen Kontakt mit Bonnebelle. Als er zurückkam, waren die Wogen geglättet und es kehrte Normalität ein. Vor allem zurzeit, als Ihre Majestät nicht am Hof weilte" Nemours Stimme wurde immer leiser, bis er beinahe flüsterte. Dennoch konnte ich jedes Wort verstehen. Als mich die Erkenntnis traf, erhob ich mich im selben Moment. Paget war mir nie treu gewesen. Er hatte mich von Anfang an für unzulänglich bewertet. Ich stürmte zur nächsten Balkontür und stieß sie wütend auf. Nicht einmal eine Chance wurde mir gewährt.


Lavinia, dass Mädchen unter VielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt