Kapitel 37

324 19 9
                                    

Das nächste Mal wurde ich von behutsamen Händen geweckt, die mir über meine Stirn strichen. Lächelnd rieb ich mir einmal über das Gesicht, bevor ich die Augen aufschlug. Nicht einmal Maida trat so nah an mich heran, wie la Rovere. „Wo ist Dorian?", fragte ich, als ich bemerkte, dass sich hinter mir nichts regte. „Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht, Majestät. Erzherzog Dorian unterzieht sich gerade seiner eigenen Morgentoilwette und kommt anschließend, um den Tag mit uns zu besprechen", sofort verspannte ich mich und la Rovere strich mir nochmal bewusst die Haare aus der Stirn, bevor sie sich erhob. Sie holte das dampfende Tablett von meinem Frisiertisch und wartete, dass ich mich aufrichtete. Mühsam stemmte ich mich hoch. Eigentlich fühlte ich mich ausgeruht. Aber sich zu bewegen war unendlich anstrengend. La Rovere ließ sich nichts anmerken und verfolgte penibel jede Gabel Eierspeis, die ich zu mir nahm. Ob das wohl jemals wieder aufhören würde?

„Wie haben die Minister reagiert, als sie erfuhren, dass ich krank bin?", durchbrach ich das Schweigen und la Rovere seufzte auf. Das bedeutete, dass sie verärgert waren. Als gäbe das Jahr hindurch nicht genügend Bankette und Festivitäten. „Soll ich gleich zu den Lösungsvorschlägen kommen?", ich hörte Dorians Stimme durch die Tür meines Ankleidezimmers hindurch und richtete mich ein Stückchen weiter auf. La Rovere erhob sich, als er die Tür hinter sich schloss. Da er hier war, schien er sich entschieden zu haben. Für mich. Ich lächelte ihn an. Seine Mundwinkel zuckten kurz, bevor er sich gegen meine Kommode lehnte.

„Um das Dinner heute Abend kommst du nicht herum, aber wir könnten die Adeligen auf mehreren runden Tischen verteilen", erklärte Dorian und ich nickte langsam. Das würde bedeuten, ich käme nur mit dem Hochadel in Kontakt. Das war für mich kein Nachteil. Aber es war nicht das, das ich mir gewünscht hatte. Ein weiteres Klopfen ertönte und Dorian hielt dieselbe Litanei nochmal für meinen Arzt.

„Das halte ich für eine gute Lösung", stimmte er ebenfalls zu. Beleidigt verschränkte ich die Hände. „Wir können das Dine nicht absagen, ohne ..." – „Ich möchte es auch nicht absagen, sondern einfach so abhalten, wie es geplant war" Dorians und la Roveres Augenbrauen rückten gleichzeitig in die Höhe. Gleich darauf fanden la Rovere und mein Arzt einen Grund sich zurückzuziehen. Seufzend ließ ich mich tiefer in meine Kissen gleiten und wartete, bis Dorian sich zu mir gesetzt hatte.

„Du hasst Bankette"

„Ich wäre die Braut gewesen"

„Du bist die Braut. Dein schottischer Arzt erklärte mir gestern Abend ganz rustikal, dass wir das Programm entweder herunterfahren oder wir dein Begräbnis zu planen hätten"

Zuerst lachte ich auf, bevor ich mich enger an Dorian schmiegte und mein Schluchzen zu unterdrücken versuchte. Erst jetzt hatte ich bemerkt, dass es die ersten Feierlichkeiten seit langem waren, auf die ich mich gefreut hätte.

***

Nervös spielte ich mit den Applikationen meiner hellgrünen Robe. Es war das erste Mal seit Jahren, dass ich wieder bewusst etwas Helles trug. Etwas, dass betonte, das ich erst 25 war, anstelle es wie üblich zu verbergen. Heute Abend durfte ich zumindest jung aussehen, wenn ich mich auch nicht jung verhalten durfte. Aber das musste reichen. Dorian tat mir den Gefallen und hielt das Dine ab. So musste ich nur den Empfang geben und alleine der Gedanke ließ meine Knochen ermüden. Ich musste einsehen, dass ich unmöglich zwei Tage durchstehen konnte und die Zeremonie zog ich dem Dinner allemal vor.

Die Realität war genauso schlimm, wie ich es befürchtet hatte. Ich ließ mir die Hand küssen und versuchte dabei meine Müdigkeit in Schach zu halten. An den missbilligenden Mienen des Altadels war aber zu erkennen, dass mir das nicht besonders gut gelang. „Esposito", ich nickte ihm zu, als er meine Hand küsste. Obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, dass die Sanktionen, die ich gegen sein Land erlassen habe, unsere Beziehung nicht beschädigen würden, war es anders. Ich merkte, wie er emotional Abstand zu mir warte. Er lächelte nicht mehr so offen. Das Gefühl, dass wir einander Rückendeckung gaben, war verloren.

„Comtesse Camilla ist wohlauf, wenn auch ein bisschen überdreht"

„Sie ist einfach ein fröhliches Kind"

Ich musste mich zurücknehmen nicht beleidigt die Hände zu verschränken. Bedeutete das in etwa, meine Kinder waren keine fröhlichen Kinder? Esposito bemerkte das Fettnäpfchen zu spät, hatte aber zumindest nun den Anstand zu erröten. „Leila nahm sie heute das erste Mal mit in ihre Unterrichtsstunden. Ihr könnt beruhigt sein, sie ist in guten Händen" – „Dasselbe trifft auf Kenneths Sohn zu. Der Lehrer Ihrer Majestät ist eingetroffen und hält planmäßig den Unterricht ab" Ich nickte ihm zu und er trat mit einer Verbeugung zurück. Ich blinzelte die Tränen fort.

Ich sah Maida tadelnd durch den Spiegel an. Es kostete sie einiges an Mühe, nicht vor Freude auf und ab zu springen. „Ihr wart so schön", schwärmte sie, worauf ich die Augen verdrehte. Ich begann mir selbst die Armbänder und Ringe von der Hand zu ziehen, weil ich einfach nur schlafen wollte. Mein Kopf wog mehrere Tonnen, auch jetzt noch, wo meine Haare bereits geöffnet waren. „Ich wünschte, ich hätte den Empfang mit Dorian geteilt" – „Aber Majestät" Maida lachte auf und sammelte meinen Schmuck ein, „Ihr werdet noch so viele Feierlichkeiten gemeinsam bestreiten, da kommt es gerade auf diesen Empfang nicht an" Mit Schräg gelegtem Kopf sah ich sie durch den Spiegel an und nickte schließlich langsam.

Ich würde noch an hunderten von Abenden die Kaiserin sein und bald auch Dorians Frau.

Aber nie wieder, würde ich an einem Abend die Braut sein.

***

In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Verkrampft versuchte ich den Gedanken an Paget zu verdrängen. In der Nacht vor dieser Hochzeit, war meine größte Angst, er könnte nicht erscheinen und das wäre wahrscheinlich das Beste gewesen, das mir hätte passieren können. Ich schüttelte den Kopf über mich und huschte aus meinem Bett. Einige Salons weiter hörte ich immer noch Dienstboten arbeiten, also musste ich mich bemühen, leise zu sein. Von Paget und mir gab es beinahe keine Fotos oder Portraits.

Aber es gab die Fotografie dieses schicksalshaften Tags. Kopfschüttelnd öffnete ich die letzte Schublade meines Frisiertisches und glättete das faltige Papier. Es war vor der Kirche aufgenommen und ziemlich unscharf. Ich prustete. Obwohl es bereits Ende November war, schlug mir kein kalter Wind entgegen, als ich die Tür auf meinen Balkon öffnete. Die Luft war zwar kalt, aber ich musste mich ohnehin beeilen. Ich hockelte mich auf den Boden und begann das Blatt Papier genüsslich zu zerreißen Morgen würde ein neues Leben für mich beginnen. Ich hatte keine Lust mehr Altlasten mitzunehmen, als unbedingt notwendig waren. Das Häufchen Papier vor mir zündete ich mit einer Kerze an.

Ich tappte zurück in mein Bett, pustete die Kerze aus und schlang die Arme um mich selbst. Der Gedanke, das morgen Abend Dorian bei mir liegen würde, jagte einen Schauer über meinen Rücken. Ich quietschte vor Freude in meinen Polster und zwang mich, die Augen geschlossen zu halten. Morgen war er wichtigste Tag im Leben eines Mädchens. Er könnte auch zu meinem wichtigsten Tag werden. 


-----

Hey ihr Lieben!

Bitte entschuldigt die Verspätung, aber am Wochenende ist unser W-LAN kaputt gegangen und es hat einige Tage gedauert, bis ein Internetfirmenmensch zu mir nachhause gekommen ist, um es zu reparieren. 


Lavinia, dass Mädchen unter VielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt