Kapitel 9

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Das Leuchten in Karjhas Augen, als er mich erblickte, machte mich verlegen. Er hatte mich zwar verraten, aber er blieb trotzdem der einzige Mensch, der mich aus dieser Affäre noch herausziehen konnte. Es dämmerte bereits und im Schutz einiger Bäume würde uns hoffentlich niemand erkennen. Außerdem sollte sich in meinen privaten Gärten sowieso niemand aufhalten. Aber Karjha hatte mich gelehrt, mich nicht darauf zu verlassen.

„Könnt Ihr mir die Briefe zeigen, die Mama an Kenneth geschrieben hat?", fragte ich in die entstandene Stille hinein. Er musterte mich einen Moment, bevor er sich vor mir verbeugte. Irritiert reichte ich ihm meine Hand. Er küsste anstelle meines Handrückens meine nackte Handfläche und mich überlief ein Schauer. „Ich habe Seiner Majestät dem Kaiser eine Abschrift gegeben" – „Hat er sie dechiffriert?" Für einen Moment wurde ich von Karjhas strahlenden Augen abgelenkt. Als ich bemerkte, wie ich ihn anhimmelte, wandte ich mich räuspernd ab.

„Ich habe ihm den falschen Chiffrierschlüssel gegeben"

„Werdet Ihr mir den richtigen geben?"

„Solltet Ihr Kenneth fassen, werdet Ihr in hinrichten?"

„Nein"

Karjhas Augen weiteten sich für einen Augenblick, bevor er mich anlächelt und sich vor mir verneigte. Als er mir seine Hand entgegenstreckte, zögerte ich für einen Moment. Ich sollte nicht so töricht sein ihm zu folgen. Wenn uns jemand sah, wäre Mathew nur noch wütender und mein Ansehen bei Hof dahin. Karjha richtete sich wieder auf und sein auffordernder Blick bewegte mich dazu, ihm doch meine Hand zu geben. Ein siegessicheres Lächeln stahl sich in sein Gesicht. „Uns wird niemand sehen", versprach er und das uns in seinem Satz ließ mich zusammenfahren. Für mich gab es kein uns und für ihn sollte es das auch nicht geben. Die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich.

Sollte ich meine Hand zurückziehen, würde er mir keinesfalls die dechiffrierten Briefe zeigen. Einen Moment zögerte ich noch, bevor ich eilig dem Zug seiner Hand folgte.

Er brachte mich durch einige der Geheimgänge direkt in sein Arbeitszimmer. Ich konnte den Blick nicht von der fremden Dekoration lassen. Die Wandtäfelung konnte ich kaum noch erkennen, da die Wände mit Teppichen verhangen waren und es hing ein eigenartiger fremder Duft in der Luft. „Wollt Ihr Euch zuerst umsehen?", fragte Karjha und ich errötete leicht. Doch nichts in seinem Blick deutete auf Verärgerung hin, deshalb drehte ich mich einmal im Kreis um zu bewundern, was Karjha aus diesem sicherlich kargen Raum gemacht hat.

Karjha rückte mir einen Stuhl zurecht und obwohl ich gerne einen der Teppiche berührt hätte, nahm ich platz. Er holte aus der obersten Schreibtischschublade einen Stapel Zettel, den er mir überreichte. „Sie gehören Euch Majestät", erklärte er und ich zog überrascht die Augenbrauen nach oben. Als ich seinem wissenden Blick begegnete, musste ich über mich selbst schmunzeln. Er hatte gewusst, dass ich kommen würde und ihn, um genau jene Dokumente bitten werde.

„Ich kann mich darauf verlassen, dass dies die richtige Dechiffrierung ist?"

„Eure Mutter ist eine wahre Meisterin im chiffrieren. In einem Brief konnte sie bis zu fünf verschiedene Botschaften verbergen. Aber diese drei sind alle, die wir herausfinden konnten"

Ich lachte kurz auf. Das sah Mama ähnlich. Karjha erhob sich vom Schreibtisch und ich folgte gedankenverloren seinem Beispiel. Manchmal viel mein Name in den Dokumente. Was Mama wohl über mich geschrieben hat? „Manche sind an Euch andressiert", flüsterte er und ich wandte mich überrascht zu ihm um. Wann war er mir so nahe gekommen? Kaum zwei Schritte trennten uns voneinander und ich musste bereits zu ihm Aufsehen.

Sein Blick durchbohrte mich und ich seufzte leise auf. Wann hatte mich ein Mann zuletzt mit so viel Leidenschaft angesehen? Hatte mich Paget überhaupt einmal wirklich begehrt, wenn ihn seine Pflicht nicht dazu zwang? „Mylord", ich wandte mich von ihm ab und trat einen Schritt zurück. Presste die Dokumente schützend vor meine Brust. Doch er verringerte unseren Abstand erneut. Warum konnte er seine Spielchen nicht sein lassen? „Was gedenkt Ihr mit Kenneth zu tun, sollten diese Dokumente aufschlussreich sein?", flüsterte er und strich mich vorsichtig über die Wange. Irritiert vom plötzlichen Themenwechsel blinzelte ich einige Male, bevor ich hilflos mit den Schultern zuckte. „Ich werde Ihn einkerkern lassen und ihn irgendwann nach England ausliefern ..." – „Wo er dann hingerichtet wird" Karjha Mundwinkel zuckten und ich schob mich noch ein Stück weiter zurück. Bereits als Mathew damals von Hinrichtungen sprach, wusste ich, dass dies auch jemand anderes für uns tun könnte. Wenn es der Kaiser gewollt hätte.

Karjha beugte sich nach vorne und ich hielt für einen Moment die Luft. Aber seine Lippen drückten sich lediglich auf meine Wange. „Ihr verpasst einen Heidenspaß, Majestät", flüsterte er mir ins Ohr, worauf ein Schauer über meinen Rücken jagte. Er trat in einer Verbeugung einige Schritte zurück, worauf ich erleichtert ausatmete. Er griff zielstrebig nach der Klingel und keinen Moment später streckte sein Diener den Kopf durch die Tür. Seine Augen weiteten sich einen Moment, bevor er sich wieder im Griff hatte. Ich funkelte Karjha böse an. Wahrscheinlich hatte er das von Anfang an im Sinne gehabt. Ich dumme Närrin! „Geleitet Ihre Majestät bitte zurück in ihre Räume.

Ich hatte erneut sofort nach Nemours schicken lassen. Zuerst hatte er große Augen gemacht, aber dann haben wir beide vereinbart, diese Sache vertraulich zu behandeln. Es war in niemandes Sinne jetzt bereits einen Wirbel zu machen, wenn am Ende vielleicht gar nichts herausschaute. Außerdem ärgerte ich mich über mich selbst in Karjhas Falle getappt zu sein! Ich hätte wissen müssen, dass er seinen Machtvorteil gegenüber mir ausnützen würde. Um ihm zu beweisen, dass ich immer noch am längeren Ast saß, habe ich die nächste Audienz die festgelegt war gleich abgesagt. Ich konnte ihm kaum noch davon abbringen, mit mir zu spielen, aber er sollte wenigstens für seine Unverschämtheit bestraft werden. Missmutig starrte ich den Papierstapel an, bevor ich mich auf meine Kommode setzte und begann, das erste Blatt zu lesen. Obwohl es erst sechs Uhr abends war, hatte ich mich für heute zurückgezogen. Ich schob Unpässlichkeiten vor.

Am Ende des ersten Dokumentes, dass mir mehr Aufschluss über Kenneths Reiserouten gab, als jede Spekulation der letzten fünf Jahre, wischte ich mir den Schweiß von der Stirn. Nemours und ich steckten in einer wirklichen Unpässlichkeit. Dem Wissen, es Mathew berichten zu müssen und der Angst, dass er ihn dann blindlings niederstrecken wird. 

***

„Er tut was?", rief ich empört aus und erhob mich im selben Moment vom Stuhl. Die Minister folgten verdrossen meinem Beispiel. Mir war klar, dass ich mich seinen direkten Wünschen entgegengesetzt, nein, sie sogar missachtet habe, aber das rechtfertige nicht, dass er vor hat, mich vor dem gesammelten Hof zu demütigen. Ganz im Gegenteil. Wir sollten das unter uns austragen. Ob er am Ende Wind davon bekommen hat, dass ich gestern in Karjhas Gemächern war und dass er deshalb so heftig reagierte. Wüsste er bloß, was mir dieser Besuch gebracht hatte.

„Seine Majestät der Kaiser", Chevaliers sah mich mit einem tadelnden Blick an. „hat veranlasst, dass Euch in den ersten vier Jahren Eurer Regierungszeit ein Gremium zur Seite steht, dessen absolute Mehrheit Ihr für einen Beschluss braucht", wiederholte er mahnend. Ich schnaubte und ließ mich mit verschränkten Händen auf meinen Stuhl sinken. In den letzten zehn Jahren hab ich alles für unser Land getan. Was auch immer Mathew von mir verlangt hatte. Ohne Widerworte habe ich jede Aufgabe erfüllt und mindestens genauso hart gearbeitet wie er. Als er krank war hab ich ihm so gut ich es konnte jede Last von den Schultern genommen.

Mit seiner Nichtachtung konnte ich zurechtkommen. Wenn es auch hart war. Aber niemand am Hof würde nur ein Quäntchen Respekt von mir haben, wenn selbst Mathew meine Führungskraft anzweifelte. „Ich nehme an, der Ministerrat ist sehr glücklich darüber" – „Wir respektieren die Entscheidung des Kaisers" Ich krallte mich im Stoff meines Kleides fest und schüttelte über mich selbst den Kopf. Es wäre klüger gewesen, vorab mit Mathew zu sprechen oder mir sein Verständnis verschaffen.

Die Minister legten mir ein unterschriebenes Dokument des verlangten Erlasses vor. Es war also entschieden. Innerhalb von vier Tagen hatte es Mathew geschafft meine Zukunftspläne zu Nichte zu machen. Auch wenn es grausam war, daran zu denken, dass Mathew sterben wird, hatte ich doch einen Hoffnungsschimmer: Ich könnte Grace zurück zu mir holen, wenn ich erst die absolute Macht gehabt hätte. Das nun frühestens in vier Jahren eintritt, wenn die Minister nicht eine Möglichkeit finden mich länger an ihren Mehrheitsbeschluss zu binden. Mit Sicherheit werden sie etwas ausgraben, das Einschränkung aufrechterhält.


Lavinia, dass Mädchen unter VielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt