Kapitel 42

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Dorian

Einige Augenblicke verharrte ich still, bevor ich Maida zunickte. „Seht nach Ihr", verlangte ich, worauf sie erleichtert nickte. Am Hof meines Vaters habe ich nie erlebt, dass eine Hofdame ihrer Herrin so zugetan war, wie Maida oder la Rovere. Als sie den Raum verlassen hatte, ließ ich mich resigniert zurückfallen und fuhr mir einmal durchs Haar.

„Ihr beiden duzt euch nicht?", fragte Olivia erstaunt, worauf ich Luft ausblies. „Das ist das Einzige, das bei dir hängen geblieben ist?", neckte sie Henry, worauf ihm seine Frau einen bösen Blick zuwarf. „Natürlich duzen wir uns", erwiderte ich verärgert. Immerhin waren wir keine Antiquitäten, „aber nur, wenn wir alleine sind" Olivia lächelte breit und ich warf ihr einen bösen Blick zu. Lavinia reagierte allergisch auf das Untergraben ihrer Autorität, dass ich verstehen konnte, auch wenn ich mir wünschte, dass ich davon nicht betroffen wäre.

„Was wirst du tun?", fragte Henry und ich warf ihm einen vielsagenden Blick zu. Aber er schien ehrlich besorgt zu sein. Ich rief mir erneut in Erinnerung, dass ich nicht bei Hof war. Hier war nicht jeder auf seinen eigenen Vorteil bedacht. „Genau das, dass Lavinia mir sagt", erwiderte ich schlicht. Ich brauchte nicht zu erwähnen, dass ich einen Einfluss auf ihre Meinung und ihre Entscheidung hatte. Es gab einen Grund, warum der Ministerrat mich fort haben möchte. Wenn Nemours und ich zusammenstanden, hat das Militär kaum eine Chance. Nemours alleine ist eine weit kleinere Gefahr. Ich starrte auf das kalte Essen vor mir und schob mir missmutig noch eine Gabel in den Mund. Olivia und Henry folgten mir nicht, deshalb legte ich das Besteck wieder zur Seite.

„Meine primäre Sorge ist, wie es ihr geht. Ich bin ihr Mann, ich werde immer an Regierungs-geschäften beteiligt sein. Aber Lavinia ist dieser Ministerposten wichtig und ...", ich zögerte es auszusprechen, „es ging ihr endlich besser" Das Wissen, dass dies ein erneuter Rückschlag in ihrer Gesundheit sein würde, lastete wie ein Stein auf mir. Ich wollte sie nicht verlieren, wo ich sie gerade wiederhatte.

„Dann geh zu ihr", forderte mich Olivia auf, worauf ich entschieden den Kopf schüttelte.

„Gräfin Yorker muss diesen Sturm erst einmal zähmen"

„Sie wirkte auf mich nicht aufgebracht"

„Sie ist die Kaiserin, Olivia. Solche Indiskretionen kann sie sich nicht leisten"

Olivia schob beleidigt ihre Unterlippen vor. Die beiden verstanden nicht, in welcher Welt wir lebten. Olivia genoss einen so guten Ruf, weil sie es zeigte, wenn sie aufgebracht war. Aber Lavinia konnte nicht jedes Mal aus der Haut fahren, wenn ihr danach war. Prinzipiell konnte sie nie so handeln, wie es ihren Gefühlen entsprechen würde.

Dieser Gedanke fesselte mich, bis ich mich entkleidet hatte und vorsichtig ins Schlafzimmer lugte. Lavinia lag wie ein Stein im Bett. Ich schmunzelte, als ich bemerkte, wie steif sie war. Als ich mich zu ihr ins Bett schob, wurde sie sogar noch eine Spur steifer. Ich prustete und drückte ihre einen Kuss auf die Wange. „So siehst du nicht aus, wenn du schläfst", neckte ich sie, worauf sie schnaubte und sich auf den Rücken drehte. Wir waren 48 Stunden verheiratet und sie zog sich das erste Mal vor mir zurück.

Behutsam strich ich ihr über die Wange. „Ich bin so wütend", presste sie hervor und ich seufzte auf. In den letzten Wochen hatte ich mir im Ministerrat keine Freunde gemacht. Außer Nemours natürlich. Warum entfernten sie nicht ihn? „Möchtest du ins Schloss fahren und ihnen die Leviten lesen?" – „Nein!" Ihr Ausruf überraschte mich und ich zog meine Hand zurück. „Ich lasse mich nicht vertreiben", stellte sie klar und sah mich bekümmert an. „Und ich lasse auch nicht zu, dass man dich vertreibt", flüsterte sie und drückte mir einen Kuss auf die Nase. Ich zog sie näher zu mir und Lavinia schmiegte sich an mich. Ob ich davon jemals genug bekommen werde? „Was werden Majestät jetzt tun", wisperte ich in ihr Ohr, worauf sie schnaubte. Ich wünschte, sie könnte ihre Macht so fühlen, wie ich es tat. Als etwas Strahlendes und Permanentes. Auch wenn sie ihre Macht nicht wahrnahm, jeder andere spürte es deutlich. „Ich werden ihnen schreiben, dass das Berufen und das Entlassen meiner Minister mir vorbehalten ist und dass wir das im neuen Jahr besprechen", sagte sie und ich drückte zustimmend meine Lippen auf ihre Stirn. Diese wenigen Wochen Frieden hatte sie sich mehr als verdient.

Lavinia

Olivia steckte den Kopf durch die Tür meines provisorischen Arbeitszimmers und ich lächelte sie verhalten an. „Bitte, kommt herein", lud ich sie ein. Ihr Stirnrunzeln zeigte mir, dass sie diese Situation eigenartig fand. Bemüht mir nichts anmerken zu lassen, deutete ich ihr, platz zu nehmen. „Danke, dass ich das Zimmer beanspruchen darf", eröffnete ich das Gespräch und lächelte sie an. „Ich möchte Euch nicht aufhalten, Majestät, aber meine Zofe hat mir erzählt, dass Ihr nicht gefrühstückt habt und da dachte ich mir ...", sie zuckte zögerlich mit den Schultern. Mein Lächeln verrutschte. Hatte Dorian ihr am Ende erzählt, dass ich zu oft auf regelmäßige Mahlzeiten vergaß. Wie nah standen sich die beiden eigentlich?

„Nein danke, ich brauche nichts"

„Ich weiß Ihr seid andere Mahlzeiten von der Palastküche gewöhnt, aber vielleicht kann ich ja auftreiben, ..."

„Wenn Ihr darauf besteht, wäre ich über eine Schüssel Porridge sehr dankbar"

Lady Malet verzog kurz den Mund, bevor sie nickte und sich erhob. Sobald sie den Raum verlassen hatte, ließ ich mich wieder auf meinen Schreibtischstuhl sinken. Ich war so müde. Die ganze Nacht konnte ich nicht schlafen, deshalb bin ich bereits im Morgengrauen aufgestanden und hatte mich an den Brief gesetzt. Ich hoffte auf eine Art Befriedigung, wenn ich sie in die Schranken gewiesen hatte, aber anstelle saß ich immer noch an dem provisorischen Schreibtisch und setzte Schreiben nach Schreiben auf. Einerseits wollte ich meinen Leuten zeigen, dass ich sehr wohl über die Geschehnisse unterrichtet wurde und andererseits sollte es ihnen zeigen, das sich mich nach wie vor um sie kümmerte. Hoffentlich brachte mir das Sympathiepunkte ein, wenn es darum ging, Dorian seinen Ministerposten zurückzugeben.

Lady Malet setzte völlig überraschend die Schüssel Porridge neben mir ab und ich zuckte erschrocken zusammen. Meine Feder strich einmal quer über das Dokument. Ich prustete und drückte das Löschblatt auf den Pergamentbogen. Aber es war eindeutig nicht mehr zu retten. „Es tut mir so leid", schluchzte Lady Malet auf und ich wandte mich überrascht zu ihr um. Tränen standen ihr in den Augen und ich strich ihr eilig über den Oberarm. „Es hat geschneit. Gehen wir in den Garten", schlug ich vor und Olivia nickte zögerlich. Maida verstand den Wink und holte unsere beiden Mäntel.

„Ihr könnt mich Lavinia nennen, Olivia", bot ich meiner Gastgeberin an. Ich spürte, dass sie mit der höfischen Distanz zwischen uns nicht umgehen konnte und vielleicht würde das die Situation zwischen uns entspannen. Hoffte ich.

„Ich bin Euch bei meiner Entscheidung hierzubleiben übergegangen. Das tut mir leid, Olivia. Ihr werdet für den zusätzlich Aufwand natürlich finanziell entschädigt", wechselte ich das Thema, worauf Olivia ihre Lippen zusammenpresste. Das Thema war ihr offenkundig unangenehm. „Ihr erinnert Euch an mein Bittgesuch", stellte sie fest, worauf sich mein Lächeln erweiterte. Ich erinnerte mich an jede verheiratete Frau, die die Dinge selbst in die Hand nahm.

„Ich gehen davon aus, dass die Gelder in den nächsten Wochen bewilligten werden sollten"

„Sollte ich tatsächlich von der Krone unterstützt werden, wären wir die erste Familie, die von der Regierung so viel Geld bekäme"

Ich sah sie einen Moment stumm an, unschlüssig, wie ich auf ihren indirekten Vorwurf reagieren sollte. Natürlich wusste ich von den ungleichen Bedingungen im Land, aber sie zu beheben war schwierig, als Olivia es sich vorstellte. Schlussendlich wurde mir eine Antwort erspart, da ich Dorians Stimme aus dem hinteren Teil des Gartens vernahm. Ich zog Olivia mit mir hinunter von der Terrasse in den tieferen Schnee und bedeutete ihr still zu sein, bis Dorian an uns vorbeigegangen war.

Olivia senkte den Blick und verharrte still. „Ich möchte nur einen Moment den Schnee genießen", erklärte ich ihr und fuhr mit meinen Fingern durch das weiße Pulver. Ich vermisste die Unbeschwertheit, die Schnee früher mit sich gebracht hatte. Ich spürte Olivias unverständlichen Blick im Rücken und strafte meine Schultern ein wenig. „Dorian ... habt Ihr einen Menschen schon einmal ganz langsam sterben gesehen?", endete ich in einer Frage und Olivia schüttelte langsam den Kopf. Vielleicht würde ich es bereuen, wenn ich jetzt weitersprach, aber alles in mir drängte, es endlich auszusprechen.

„Ich habe erlebt wie Mathew langsam erstickt ist. Dorian erlebt gerade dasselbe. Ich will ihm keine unnötigen Sorgen bereiten"

„Aber ihr seid jung, Lavinia. Jünger als ich. So schlimm kann es unmöglich sein"

„In den letzten Wochen war es schlimm. Vor allem für alle, die zusehen mussten"

Ich war ein wandelndes Krankenzimmer und ich begann mich dafür zu schämen. Das war der dritte Tag unserer Ehe und ich hatte immer noch nicht mit Dorian geschlafen. Aus meinen schlichten Unvermögen heraus, gesund zu sein. 

Lavinia, dass Mädchen unter VielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt