Dorian legte mich auf der Sitzgruppe im Grünen Salon ab und setzte sich auf den Tisch davor. Behutsam strich er mir über die Wange. Ich hatte es nicht einmal geschafft, eine Träne für dieses unschuldige Mädchen zu vergießen. „Ich kenne die Tochter von Comte Romano", durchbrach Dorian die Stille und ich hob überrascht meinen Blick. Lächelte leicht. Zumindest hatte sie hier einen Anhaltspunkt, jemanden, der ihr bereits vertraut war. „Sie ist ein munteres Mädchen von sechs Jahren. Vielleicht eine Spielkameradin für Leila" – „Ich habe zugelassen, dass man sie verkauft. Genauso, wie es Paget bei Grace zugelassen hat" Dorian öffnete den Mund, schüttelte entschlossen den Kopf und ging vor mir auf die Knie. Sein breiter Rücken schob den niedrigen Tisch zurück. Er legte seine Hände um meine Wangen und zwang mich, ihm dabei zuzusehen, wie er immer wieder den Kopf schüttelte.
„Du hast einen Kompromiss gefunden, um uns allen noch mehr Leid zu ersparen. Lass es uns für die Comtesse wie ein Abenteuer gestalten, uns zu ihrer zweiten Familie werden", beschwor mich Dorian und ich nickte schwach. Es gab keine zweite Familie. Es gab die eigene und jene, die einem aufgezwungen wurde. „Bitte lass mich alleine. Ich bleibe auch im Warmen", bat ich und Dorian strich wieder mit seinen Daumen über meine Wangen. Er lehnte sich nach vor und streifte mit seinen Lippen meinen Mundwinkel. Sofort beugte ich mich seiner Berührung entgegen, suchte seine Lippen. Einen Moment traf mich sein belustigter Blick, bevor ich wieder seinen Geschmack auf meiner Zunge hatte. „Reden darf ich nicht, aber küssen schon?", murmelte Dorian und wanderte mit seinen Lippen zu meinem Wangenknochen hinunter. Ich seufzte zustimmend auf und zog Dorians Gesicht wieder zu meinem.
„Mein Engel", murmelte Dorian und schwang sich in einer flüssigen Bewegung auf die Sitzgruppe und über mich. Er kniete zur Hälfte auf meinem Kleid, aber das war mir gerade gleichgültig. Hungrig zog ich seinen Kopf wieder zu mir herunter und stöhnte auf, als er anstelle meiner Lippen, meinen Brustansatz liebkoste. „Es wird nicht so sein, wie bei dir, Lavinia", prophezeite Dorian und ich zuckte kurz zusammen. Diese Worte rissen mich brutal aus dem Nebel, in den mich Dorians Liebkosungen gehüllt hatten. Er bemerkte meinen erstarrten Blick und sein Gesichtsausdruck wurde ernster. „Du wirst gesund werden", behauptete er mit einer Strenge in der Stimme, die ich zuvor nie bei ihm erlebt hatte. „Für mich. Und unsere Kinder", setzte er hinterher und ich nickte mechanisch. Konnte nicht glauben, dass er es für möglich hielt, dass ich stärker war, wie meine Lungenkrankheit. „Wir beginnen morgen damit, in Ordnung?", in seinem Blick stand eine Entschlossenheit, die mir das Gefühl vermittelte, dass es möglich war. Ich begann zu hoffen.
***
Kritisch betrachtete ich mein Hochzeitskleid im Spiegel. Dieses Mal hatten wir genügend Zeit, alle Details zu besprechen und ich konnte mir bei diesem Kleid jeden Luxus leisten, den mir mein Onkel damals verboten hatte. Mittlerweile war es allerdings leider so, dass eher die Schneiderinnen auf mehr Prunk beharrten, damit ich standesgemäß aussah. Ich hörte die Tür zuschlagen und zuckte zusammen. „Wer ist da?", rief ich panisch. Mein Kleid sollte eine Überraschung für den Hof sein. Bisher durften nur meine engsten Vertrauten einen Blick darauf erhaschen. „Princesse Esposito, Majestät", antwortete meine italienische Freundin amüsiert und ich atmete erleichtert aus. Ich nickte Timophly zu, der wiederum der Wache befahl, sie durchzulassen.
Esposito trat zögerlich näher auf mich auf mich zu. „Ihr seid so schön, dass ich es nicht wage, Euch zu berühren", wisperte sie und mir traten Tränen in die Augen. Noch fehlten einige Spitzenverzierungen an den Ärmeln des Kleides und das Fell, dass über meine Schultern gelegt wird. Paget habe ich im Frühjahr geheiratet. Dorian aber werde ich mein Ja-Wort in der dunkelsten Zeit des Jahres, dem Winter geben. Hoffentlich konnten wir einander aus dieser Finsternis herausführen. „Was gibt es; Princesse?", fragte ich und wandte mich wieder dem Spiegel zu. Ja, es war wirklich perfekt. Unter Dorians strengem Blick hatte ich zugenommen. Jetzt konnte ich meine Kleider wieder tragen, anstelle das mich meine Kleider trugen. Das fühlte sich gut an.
„Die Tochter von Comte Romano ist angekommen", berichtete sie und ich blies verärgert Luft aus. Nicht umsonst hatte ich meine Sekretäre davon unterrichtet, dass ich nicht gestört werden möchte. Wozu betrieb ich den Aufwand, wenn Esposito hereinplatzte und meine Anprobe ruinierte. „Erzherzog Dorian schickt mich", ergeben nickte ich und bewegte mich von den findigen Händen der beiden Schneiderinnen weg. „Hast du noch andere Nachrichten von Italien?", fragte ich nach und deutete ihr neben Maida platz zunehmen. „Der Erzieher, den Ihr geschickt habt, ist eingetroffen und wird in Kürze Bericht erstatten", erwiderte sie gelassen und ich seufzte auf. Dorian wollte unbedingt, dass ich ihn mit dieser Sache betraute. Widerwillig habe ich zugestimmt. Ich wollte ursprünglich Verantwortung an ihn abgeben, aber wenn er einen Fehler beging, würde mein Volk glauben, Dorian sympathisiere mit ihm. Das ich natürlich nicht mit Sicherheit bestreiten kann. „Ich weiß, dass ist Dorians Domäne, aber seid Ihr nicht der Meinung, dass bringt ihn in einen Interessenkon...", Esposito unterbrach, als ich abwehrend die Hand hob. Ich wollte davon nichts hören. Meine Gedanken kreisten ohnehin schon schnell genug.
***
Einen Moment lang blieb ich zögerlich in der Tür stehen. Dorian saß mit dem Rücken zu mir und spielte mit dem Mädchen ein Kartenspiel. Sie bemerkte meinen starren Blick und hielt erschrocken in ihrer Bewegung inne. Dorian neigte seinen Kopf, bevor er sich um umwandte und lächelte. „Warum hast du dich nicht ankündigen lassen?", fragte Dorian vorwurfsvoll und schritt auf mich zu. Wie jeden Tag musterte er mich prüfend, um mir anschließend zufrieden einen Kuss auf die Wange zu drücken. „In meinen eigenen Räumen?", erwiderte ich und ließ meinen Blick wieder zu dem Mädchen schweifen. Sie war gut einen Kopf größer, als Leila und auch um einiges breiter, obwohl die beiden im selben Alter waren. Das nicht bedeutet, dass sie dick war. Obwohl sie eine mehrwöchige Seereise hinter sich hat, waren ihre Wangen geröteter, als es Leilas waren.
„Darf ich dir die Comtesse Camilla vorstellen, meine Liebe?", Dorian deutete auf das schwarzhaarige Mädchen, dass aus ihrer Starre erwachte und einen Knicks vor mir machte. Durch Dorians scharfen Blick unter Zugzwang gesetzt, bewegte ich mich auf sie zu, ging vor ihr in die Knie und reichte ihr meine Hand. „Ich hoffe du hattest eine angenehme Überfahrt", begrüßte ich sie und wartete geduldig ab, bis ihre zitternden Finger nach meiner Hand gegriffen haben.
„Papa hat gesagt, Ihr seid mir böse", antwortete sie und ich zog überrascht meine Augenbrauen nach oben. Ich hatte Comte Romano für einen Mann gehalten, der seine Tochter beschützen und nicht zum Mittel seines Irrsinns machen würde. „Komm, setz dich", lud ich sie ein, worauf sie sich zögerlich zurück zu ihrem Platz bewegte. Dorian streifte kurz meine Hand und ich lächelte ihn beruhigend an. Comte Romano soll mit Kenneths Bastard verfahren, wie ihm beliebt, aber ich werde mich anständig gegenüber dem kleinen Wesen gegenüber von mir Verhalten. So wie ich es mir gewünscht hätte, als ich bei Onkel Hawkins sein musste.
„Ich bin dir nicht böse. Dein Papa hat mich erzürnt, aber das hat nichts mit dir zu tun"
„Papa hat gesagt, ich darf Euren Worten keinen Glauben schenken"
„Nun ... dann müssen unsere Taten für sich sprechen. Mit Sicherheit wird es dir hier gefallen. Ruhe dich aus. Ich stelle dich später vor"
Camilla nickte zögerlich, sah mich abwegig an, bevor sie knickste und von einem Diener in ihre Räume geleitet wurde. Im selben Moment erhob ich mich und begann unruhig im Raum herumzuwandern. Comte Romano hatte ihr das alles nicht umsonst erzählt. Er musste kalkuliert haben, dass sie mir diese Dinge ins Gesicht sagte.
„Mir gefällt das nicht, Dorian", murmelte ich, worauf ich ihn hinter mir seufzen hörte. „Hat sie noch andere Dinge solcher Art zu dir gesagt?", bohrte ich nach und lehnte mich ans Fensterbrett. Die Überfahrt dauerte mehrere Wochen und dabei war sie überwiegend von Menschen aus Bonheur übergeben. Leuten, denen ich vertraute, dass Kind nicht zu verängstigen. „Tatsächlich habe ich sie ermutigt, dir diese Dinge zu erzählen", antwortete Dorian und überschlug seine Beine.
„Ich habe das Gefühl, dass Comte Romano darauf hofft, dass du sie aus Mitleid zurück schicken könntest"
„Dann ist er töricht"
„Er hat dich lediglich anders in Erinnerung"
Für einen Moment hielt ich die Luft an. Als ich zum letzten Mal mit dem Comte gesprochen hatte, war Paget noch hier. Das war in einem anderen Leben. Ich wollte nicht länger über Bedeutung dieser Veränderungen nachdenken. Sie brachte uns einen Vorteil ein: Comte Romano unterschätzte mich.
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Lavinia, dass Mädchen unter Vielen
Historical FictionLavinia wird mit der Gewissheit konfrontiert, dass Paget nicht zurückkehren wird, während ihr Cousin Mathew immer schwächer wird. Wer wird das Land reagieren, sollte Mathew wirklich sterben und wer steht ihr dann noch zur Seite? Im letzten Band dies...