Kapitel 30

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Ich sah Dorian abwartend an, der Novels neuem Erzieher stumm musterte. Er hatte bisher noch nicht viel gesagt. In den letzten zwei Wochen seit Kenneths Tod schwieg er generell mehr als früher. Er bestätigte mir seine Zustimmung mit einem Nicken. „Ich hoffe ich habe deutlich gemacht, wie viel an Ihrem positiven Einfluss auf den Jungen hängt", wiederholte ich sicherlich zum zehnten Mal und Dorian verdrehte demonstrativ die Augen. Novels Erzieher bejahte und verbeugte sich steif. Er war einer der hellsten Köpfe Europas. Zwar ein Demokrat, aber trotzdem mit dem notwendigen Respekt für eine Monarchie, um einen Thronfolger zu unterrichten. Seufzend erhob ich mich vom Tisch und Dorian folgte mir mit seinen Augen. „Wenn du noch Zeit brauchst, müssen wir morgen nicht verkünden, ...", begann ich, worauf sich Dorian ruckartig erhob. Ich verstummte und wich seinem Blick aus.

Sein Ehrgefühl verbot es ihm wahrscheinlich, mich aus den Augen zu lassen, obwohl er mir am liebsten den Hals umgedreht hätte. Ich hatte seinen Vater ermorden lassen und beschlossen diese Grausamkeit mit einem Ball und einem Volksfest zu feiern. „Ich will keinen Tag länger warten als notwendig", versprach er und trat näher auf mich zu. Überrascht hob ich en Kopf. In den letzten beiden Wochen hatte ich ihn kaum gesehen. Er nahm zwar höflich alle meine Einladungen an, aber er besuchte mich nicht länger überraschend. Ich schlang dankbar meine Arme um und drückte mich fest an ihn. Wie immer erwiderte Dorian den Druck nur sanft, doch trotzdem musste ich mich nach wenigen Augenblicken hustend abwenden.

„Du musst dich ausruhen. Es wird immer schlimmer, Lavinia"

„Du bist doch kaum bei mir – das kannst du nicht beurteilen"

„Weil du so viel arbeitest, dass kaum Zeit zum Essen bleibt"

Demonstrativ legte Dorian seine Hände um meine Mitte. Es lag kaum eine Handbreite zwischen seinen Fingerspitzen, die mich umschlossen. Ich lehnte mich zurück. „Dann kümmere dich besser um mich", scherzte ich und sah zu ihm auf. Sein Gesicht sah von unten anders aus. Weniger kantig und eher ... matschig. Prustend drehte ich mich und drückte meine Lippen auf seinen Mund. Ich hörte ihn leise aufseufzen, bevor er seine Lippen vor mich öffnete. Dieses Mal hielt ich länger durch.

„Während unserer Flitterwochen wirst du nichts anderes tun als schlafen und essen"

„Ich hatte gehofft, wir könnten Ende November heiraten. Dann hätten wir den ganzen Dezember für uns. Wir müssten erst wieder die Neujahrsgala abhalten"

Dorians Mundwinkel zuckten und er nahm mein Gesicht in beide Hände.

„Ich träume jede Nacht davon", gestand ich und Dorian legte seine Stirn an meine, ohne mich einen Moment loszulassen. „Dann werden wir es so machen", flüsterte er leise. 

***

Nervös musterte ich mein neues, dunkelblaues Samtkleid. Während der Anproben hatte es immer vollkommen perfekt gewirkt. Diese Robe zählte mit zu den teuersten, die ich mir je anfertigen ließ, aber dieser Abend verdiente das Maximum an Prunk, dass aufzubieten hatte. „Kommt her, Lavinia. Ihr starrt ansonsten noch Löcher in das Kleid", neckte mich Maida und erhob sich.

„Darf ich dich etwas fragen?"

„Wenn Ihr dabei etwas esst, natürlich"

Ich warf Maida einen bösen Blick zu, bevor ich mich auf meinem Frisiertisch niederließ und gezielt zur Puddingschale griff. Das Nudelgericht ignorierte ich mit Absicht. Immerhin stand mir ein Dinner bevor und ich wollte Dorian mit meiner Appetitlosigkeit nicht enttäuschen. „Wie ist das zwischen dir und Nemours?" – „Ihr meint, weil er Euch gesagt hat, dass er Euch liebt?" Ertappt wandte ich mich zu Maida um. Mir lag eine Entschuldigung auf der Zunge, aber ihr ehrlicher Blick strafte meine Absicht. Deshalb nickte zögerlich. „Ich konnte nie darüber hinwegsehen, dass sich Paget anderen Frauen zuwandte als mir. Deshalb frage ich mich, wie du ...", ich ließ den Satz verklingen und zuckte mit den Schultern. Heute Abend würde ich meine dritte Verlobung feiern. Das erinnerte mich zwingend an die letzten beiden Male. Vor allem an Paget, den ich ebenso ehrlich liebte, wie ich jetzt Dorian liebe. Maida griff zur Bürste und begann über meinen Kopf zu streichen.

Lavinia, dass Mädchen unter VielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt