Kapitel 1

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„Es ist unschicklich, dass Ihr hier seid", flüsterte ich, als ich Mathews starke Finger spürte. „Ich bin der Kaiser. Ich bin, wo es mir beliebt", raunte er und ich lachte heiser auf. Mein Kopf pochte wie verrückt und mir war so furchtbar heiß. Maida wich aber nicht von meiner Seite und zog die Decke ständig zurück, sobald ich sie von mir schob. „Was sagen die Ärzte?", fragte mich Mathew und ich seufzte auf. Vergrub meinen Kopf tiefer im Kissen und versuchte seine Hand zu drücken. Aber ich konnte meinen Arm nicht wirklich bewegen. Ich hatte seit Tagen nicht richtig geschlafen und gestern bin ich bei einem Spaziergang in den Regen gekommen. Das hatte mir wahrscheinlich den Rest gegeben. „Was Ärzte halt so sagen", murmelte ich und zog meine Beine an, als ich erneut Husten musste.

Blöder Husten.

Mathew strich mir eine Strähne hinter mein Ohr und seufzte leise auf. „Ihr solltet selbst im Bett sein", mahnte ich und sah zu ihm auf. Seine Augen waren wie immer eingefallen, aber er wirkte nicht so mager wie in den letzten Wochen. Ein gutes Zeichen. Das brachte mich zum Lächeln. „Noch schlägt mein Herz. Das bedeutet, ich kann mich bewegen" – „Und um diesen Zustand zu verlängern solltet Ihr Euch in Eurem Bett bewegen" Mathew verzog das Gesicht. Ich hätte ihn gerne berührt. Ich zog meine Beine noch weiter an, als ich erneut hustete. Schlaf, ich wollte endlich schlafen. Mathews besorgter Blick begegnete mir erneut ich rang mir ein Lächeln ab. Er durfte sich nicht mit meinen Dämonen quälen. Mathew hatte die fünf Jahre, die ihm die Ärzte noch gegeben hatten, bereits um drei überschritten. Als es ihm in den letzten Wochen schlechter ging, glaubte ich bereits, es wäre vorbei.

„Wie schwer seid Ihr erkrankt?", fragte Mathew und befühlte meine Stirn. „In zwei Tagen bin ich wieder auf den Beinen" – „Ich könnte Euch in der Zwischenzeit vertreten" – „Ihr wisst, wozu das führen wird" Die Menschen würden in Panik geraten, wenn sie erst mit eigenen Augen sahen, wie nah wir dem Ende Mathews Linie standen. Das Letzte, das ich gebrauchen konnte, waren Spekulationen über sein Ableben und meine Herrschaft. Die ich nicht antreten werde. Wenn ich mich für eines entschieden habe, dann, nicht zu herrschen.

„Mama?", Avel steckte seinen Kopf durch die Tür und Mathew seufzte auf. Es drängt sich bereits die ganze Kinderschar hinter ihm herein. Sie sah alle bedrückt zu Boden. „Kommt her", lud ich sie ein und drehte mich ächzend auf den Rücken um. Mit Maidas Hilfe konnte ich mich aufrichten. Diese Kopfschmerzen würden mich noch umringen. Die sechs sollten sich keine unnötigen Sorgen machen, deshalb gab ich mein bestes tapfer zu lächeln. Mathew hob seinen eigenen Sohn auf seinen Schoß während Pagets Kinder mein Bett belagerten.

Ich zog Leila zu mir und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Sie war mit ihren sieben Jahren noch immer so klein und zierlich, dass ich Angst hatte, sie zu zerbrechen, sobald ich sie berührte. „Warum seid Ihr nicht im Unterricht?", fragte ich und sah die Jungs abwechselnd an. Die Zukunft des Landes war in äußerst lustigen Händen mit diesen Kindern. „Man hat uns Zeit gegeben Euch zu besuchen" – „Gott schütze Bonheur, Lavinia" Alle begannen zu prusten, bis auf Avel. Sein Gesicht war in letzter Zeit erschreckend ernst und sein Lachen völlig verschwunden. „Eure Mama muss sich ausruhen!", rief Mathew die Kinder schließlich zu Ordnung und schickte sie mit einem Wink aus der Tür. Nicht ohne jedem von ihnen einen Kuss auf die Stirn zu drücken.

„Avel, bleib bitte noch kurz", bat ich und ließ mich zurück in eine liegende Position gleiten. So war der Kopfschmerz erträglicher. Sobald ich ausgeschlafen war, musste ich unbedingt ein Bad nehmen. Ich spürte jeden einzelnen meiner Knochen. „Was bedrückt dich, Avel?", fragte ich und ließ ihn keinen Moment aus den Augen. Er wand sich unter meinem prüfenden Blick. Aber im Vergleich zu den anderen lag es sicherlich nicht daran, dass er mit mir und Mathew alleine war. Als Thronfolger verbrachte er mehr Zeit mit uns beiden als mit seinen Lehrern. Im Vergleich zu seinen Geschwistern. „Darf ich alleine mit Euch sprechen, Mama?", fragte er und drehte Mathew dabei absichtlich den Rücken zu. Es dauerte einige Minuten und kostete meinen Cousin ein Ächzen und Stöhnen, aber dann hatte er es zur Tür hinaus geschafft.

„Onkel Mathew wird sterben", verkündete er und ich zuckte zusammen. Mit seinen achteinhalb Jahren sollte er nicht dazu gezwungen sein, darüber nachzudenken. „Was geschieht dann mit uns beiden, Mama?", fragte er und seine Augen weiteten sich. „Werdet Ihr ...", er deutete auf das Bett und ich konnte seine Augen schimmern sehen.

„Komm her", forderte ich und er bewegte sich ergeben auf mein Bett zu. Als ich erneut Husten musste, hatte ich Angst, dass er jeden Moment in Tränen ausbrach. „Ich habe mich erkältet, mein Liebling. Ich brauche einige Tage Ruhe, dann bin ich wie neu. Wenn Mathew wirklich von uns gegangen ist, ...", ich zögerte mit meiner Antwort und zog meine Augenbrauen zusammen. Ich legte meine Hände auf seine Schultern und seufzte auf. „Wird Papa zurückkommen?", fragte er und die Hoffnung in seiner Stimme schnürte mir die Brust zu. Meine Augen brannten und ich schloss sie für einen Moment, bevor ich ihn näher zu mir zog. „Nein, mein kleiner Prinz, Papa wird nicht zurückkommen"

„Wie geht es den Kindern?", platzte ich heraus und Maida lächelte breit, während sie vor mir auf Knie sank. „Alles in bester Ordnung, Majestät. Novel kümmerte sich den Nachmittag über um Avel und er scheint wieder guter Dinge zu sein", erzählte sie und nahm an meiner Bettkannte platz. Das bedeutet, dass etwas geschehen war. Ich presste meine Lippen zusammen. „Die Marokkaner tauschten ihren Botschafter", setzte sie hinterher und ich ließ mich tiefer in meine Kissen sinken. „Er bindet inständig um eine Audienz und da Ihr nicht offiziell machen möchtet, dass Ihr Ruhe benötigt, fehlen Gräfin Delune die Gründe, ihn weiter hinzuhalten", fuhr sie unbeirrt meiner Reaktion fort und ihr bohrender Blick nervte mich. War ein Tag für mich zu viel verlangt? Seufzend fuhr ich mir durch meine feuchten Haare und nickte.

„Forsche ihn aus. Er soll seine Audienz Ende der Woche habe. Bis dahin will ich ihm inoffiziell begegnet sein", erwiderte ich und Maida sah mich mit schräg gelegtem Kopf an. „Innerhalb des Schlosses könnt Ihr Euch nicht inkognito bewegen" erinnerte sie mich und ich schnaubte. Ich mag mir den Kopf gestoßen haben, aber mein Gehirn funktionierte noch. „Niemand spricht davon, ihm im Schloss anzutreffen"

Maidas Lächeln war teuflisch.

Ein neuer Gesandter also. Während ich der Sonne beim Untergehen zusah, versuchte ich mir einen plausiblen Grund vorzustellen, warum die Regierung so einen Schritt wagen sollte. Es war kein Geheimnis, das Pagets Verschwinden und Graces Verlobungen auf marokkanischen Boden unsere Verbindung nicht gerade stärken. Da ich Grace nicht zurückholen konnte, blieb unser Handel aufrecht und die Gesandten gaben sich wohlgesonnen. Aber der ganze Hofstaat wusste, dass kein Marokkaner mich herausfordern sollte. Auch der Botschafter nicht. Ein alter, träger Mann, der zwar vor zwanzig Jahren ein guter Politiker gewesen sein mochte, heute aber lediglich vom Papier abliest, was ihm aufgetragen wird. Ich empfand es als Beleidigung für unser Land, aber Mathew sah die Chance darin, direkt mit den höchsten Gliedern zu kommunizieren.

„Worüber denkt Ihr nach?", seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern und ich rührte mich nicht. Genoss einfach seinen Blick in meinem Rücken. „Dass Ihr nicht hier sein dürftet", erwiderte ich und vernahm sein heißeres Lachen hinter mir. „Jedem, der mir zutraut Euch zu verführen und beizuwohnen, werde ich nicht widerspreche" – „In einem anderen Leben, Mathew" Er ließ sich neben mir auf den Sessel sinken und legte seine Hand in meine Griffweite. Zögernd griff ich nach ihr und Mathew verflocht unsere Finger. Es passte, als hätte es nie etwas anderes zwischen uns gegeben.

„Bitte lasst mich noch nicht alleine", wisperte ich, als wir beide eine Weile Still geblieben sind.

„Wir sind noch nicht so weit"


Lavinia, dass Mädchen unter VielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt