Der Vorteil an meinem erneuten Gewichtsverlust war, dass die Korsetts nicht mehr so drückend eng waren. Nemours empfing mich an der Treppe, die zum Speisesaal führte, wo mehr Diplomaten warteten, als mir lieb war und musterte mich einmal besorgt. „Ihr könnt das Wochenende auf Mathews Landsitz verbringen", eröffnete Nemours das Gespräch und ich nickte stumm. Als er mir seinen Arm anbot, fühlte ich mich zum ersten Mal unbehaglich in seiner Gegenwart. Er liebte mich. Bisher hatte ich noch keine schlüssige Erklärung für diesen Umstand gefunden. Nemours war mein bester Freund, zumindest soweit es mir meine Position erlaubte. Es war nicht gerecht, dass er das nicht genauso empfinden konnte. Alleine der Gedanke, Dorian könnte jemand anderen mehr lieben als mich, schnürte mir die Luft ab. Nemours musste mit diesem Gefühl jeden Tag leben.
„Habt Ihr Euch Gedanken gemacht, wie wir die Sache mit Kenneth überstehen?", fragte Nemours und ich zuckte zusammen. Mechanisch nickte ich. Ich hatte sogar ausführlich darüber nachgedacht. Dabei war ich zu keinem wirklich zufriedenstellenden Schluss gekommen, aber immerhin habe ich einiges an Zeit damit todgeschlagen. Zeit, in der ich ansonsten Sehnsucht nach allen gehabt hätte, die mich in letzter Zeit verlassen hatten.
Das Licht des Saales blendete mich und die Stimme des Saalhüters war mir zu laut. Ich starrte an den Menschen vorbei. Nemours zog meinen Stuhl heraus und Chevaliers schob ihn hinein. Das würde unsere neue Routine werden. Sie wird gut sein, wenn ich sie erst gewohnt bin. „Meine Herren", ich nickte einmal in die Runde, „Es ist mir eine Freude, sie alle als Organe zu den jeweiligen Verbindungen an meinem Hof begrüßen zu dürfen. Bitte", ich hob mein Glas und die Herren folgten mir. Die Spanier saßen zum Glück einiges weiter links von mir, aber Grace Verlobter senkte respektvoll den Kopf, als er meinen Blick auf sich spürte. Er schien es endlich zu lernen. „Auf das unsere Zusammenarbeit weiter besteht und der Handel erblühen mag" Die Gesandten murmelten mehrere Zustimmungen und wir nahmen alle platz. „Wir haben die Kontrollen an den Häfen verstärkt, Majestät", erklärte der französische Gesandte. Mein Kopf ruckte zu ihm herum. Einen Platz weiter saß Grace Verlobter als spanischer Vertreter, der seinen Blick genauso entsetzt auf ihn richtete. „Mir wurde heute gemeldet, dass unsere Kapitäne angewiesen wurden, die Augen offen zu halten", berichtete Esposito. Italien war nicht direkt von diesem Konflikt betroffen, deshalb schätzte ich es umso mehr, dass sie mich unterstützten. Ich lächelte Esposito an. Das hatte ich mit Sicherheit seiner Schwester, der Princesse zu verdanken. „Habt Ihr bereits entschieden, wie Ihr mit Kenneth verfahren wollt, sollte er auf spanischem Boden gefasst werden?", fragten der norwegische Gesandte und ich lächelte schmal. Eigenartig, dass gerade er so großes Interesse daran zeigte. Alle 11 Gesandten, die heute anwesend waren, spitzten die Ohren. „Nun, ich hoffe, dass sich die Spanier in diesem Fall bereit erklären, uns bei der Niederstreckung dieses Verräters zu helfen", erwiderte und griff nach meinem Suppenlöffel. Ich hatte gehofft, dass zumindest bis zum Hauptgang Frieden herrschte.
„Ich nehme an, daran ist gekoppelt, ob Prinzessin Grace nach Spanien zurückkehren darf"
„Natürlich. Ich schicke mein Kind in kein Land, das solch einer Gefahr ausgesetzt ist"
„Sie ist doch gar nicht Euer Kind!"
Ich verkrampfte meine Fäuste, um mein Besteck und funkelte ihren Verlobten an. „Das Einzige, das für Euch zählt, mein lieber Schwiegersohn ist, dass sie Staatsbürgerin meines Staates und Mitglied meiner Familie ist. Ihr werdet mein Stiefkind nicht heiraten, solange ich es nicht gestatte", ich lehnte mich entspannt zurück und lächelte ihn an. Er hatte sich geirrt, sollte er darauf gehofft haben, dass ich ihm diesen Sieg schenkte. Daran dachte ich nicht im Traum. „Ich vermute, Ihr möchtet Euch entschuldigen, damit Ihr Euch sammeln könnt?", fragte ich scheinheilig, worauf sein Kopf rot anschwoll. Für einen Moment wagte er es, meinem Blick standzuhalten, bevor er seinen Kopf beugte und sich erhob. Er verbeugte sich, nicht besonders tief, aber anständig genug, dass ich es akzeptieren konnte.
DU LIEST GERADE
Lavinia, dass Mädchen unter Vielen
Historical FictionLavinia wird mit der Gewissheit konfrontiert, dass Paget nicht zurückkehren wird, während ihr Cousin Mathew immer schwächer wird. Wer wird das Land reagieren, sollte Mathew wirklich sterben und wer steht ihr dann noch zur Seite? Im letzten Band dies...