14. Kapitel

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„Herein!"

Als Aric das Zimmer betrat, nickte ihm der hohe Meister freundlich zu. Aric nickte zurück, dann ließ er sich auf ein Knie nieder und senkte den Kopf zum Gruß. Hinter dem riesigen Schreibtisch aus schwerem Eichenholz trat ein Mann hervor. Schlank und hochgewachsen war er und sein weißes Haar fiel ihm in Strähnen über die Schultern.

Ein Lächeln ging über das faltige Gesicht als er Aric ansprach.

„Ich grüße dich Aric. Bitte sei willkommen."

„Ich grüße Euch Hoher Meister. Danke", erwiderte Aric und erhob sich.

Das Büro des Hohen Meisters war ungewöhnlich für einen Raum im Berginnern. Es war zwar wie alle Kammern direkt aus dem Fels gehauen, doch die Wände waren nicht zu sehen. Überall waren Regale angebracht, die sich durch ausgeklügelte Konstruktion direkt an die gebogene Höhlenwand anpassten. Sie waren voller Bücher und Schriftrollen und der Boden war mit Fellen und Teppichen ausgelegt, auf denen sich weitere Bücherstapel empor reckten, die offenbar in den Regalen keinen Platz fanden. Hinter dem Schreibtisch in der Mitte des Zimmers stand ein großer Ohrensessel und in all dem Papierchaos, das sich auch über den Schreibtisch erstreckte, wirkte der Sessel seltsam leer und ordentlich. Aric mochte diesen Raum, der wohl mehr einer Bibliothek glich als dem Büro eines Kriegeroberhauptes. Der Hohe Meister selbst wirkte hier wie ein Fremder. Denn Lanis Treisa war ein Krieger mit Leib und Seele und er trug sein Schwert mit Würde. Mit seiner aufrechten muskulösen Statur sah er nicht gerade aus wie ein Bücherwurm, der sich in einem Ohrensessel hinter seinen Büchern verkroch. Aric fand, dass das Büro diesen Eindruck vermittelte, wusste aber, dass der Hohe Meister kaum diesem Bild entsprach. Er war ein hervorragender Stratege und sehr präsent im Leben des Berges und dem Geschehen im Kriegerbau. Der Meister zog sich einen der Stühle heran, die rechts und links an den Regalen standen, setzte sich und bedeutet Aric es ihm gleichzutun. Dann kam er ohne Umschweife darauf zu sprechen, weshalb er Aric herbestellt hatte:

„Ihr habt eine Fremde in die Feste gebracht. Bitte erläutert mir die genauen Umstände unter denen ihr das Mädchen kennengelernt habt und wie es zu ihrem jetzigen Zustand kam."

Aric seufzte, dann erzählte er dem Meister von seiner ersten Begegnung mit Anna in Zenon. Er erklärte, dass das Mädchen für ihn gearbeitet hatte und wie er auf dem Rückweg von einem seiner auswärtigen Aufträge zufällig auf sie gestoßen war. Als er Annas Entführer beschrieb, unterbrach ihn Treisa.

„Was wollte er von dem Mädchen?"

„Ich weiß es nicht. Anna konnte mir ebenfalls keine Antwort darauf geben. Vermutlich war es ein Sklavenfänger. Sie treiben seit Monaten ihr Unwesen im Hinterland."

Treisa nickte zustimmend, doch als Aric erklärte in welch schlechtem Zustand Anna gewesen war, zog er nachdenklich die Brauen hoch.

„Warum ein Mädchen einfangen und es dann auf dem Weg zum Sklavenmarkt fast umbringen? In diesem Zustand hätte er kaum einen guten Preis für sie bekommen. Da steckt mehr dahinter. Was wisst ihr sonst noch über sie?"

Aric zögerte, doch er wusste, der Meister verlangte von ihm absolute Ehrlichkeit. Also nahm er das Schwert vom Gürtel, das Anna bei sich getragen hatte. Der Meister blickte ihn fragend an.

„Dies trug sie bei sich", erklärte Aric, während er das Schwert aus der Scheide zog und es dem Meister reichte. „Ich habe noch nicht oft eine Waffe dieser Qualität gesehen. Es ist zweifellos sehr alt und..."

Aric unterbrach seine Erläuterungen, als er einen Blick auf Treisa warf. Der Mann war wie versteinert, das Schwert lag reglos auf seinen offenen Handflächen und seine Augen füllten sich mit Tränen. Aric wurde unbehaglich zumute. Noch nie hatte er den Meister so um Fassung ringen sehen wie in diesem Moment. Er wagte nicht, etwas zu sagen, also schwieg er und wartete darauf, dass der Moment vorüberging.

Das Klopfen an der Tür machte der Stille ein Ende. Als erwachte er aus einem Traum, schüttelte der Meister den Kopf und wandte den Blick zur Tür.

„Herein."

Oliver betrat zögerlich das Büro.

„Ihr wolltet mich sprechen, Meister Treisa."

Treisa räusperte sich und trat zu seinem Schreibtisch, wo er das Schwert sorgfältig ablegte. Aric sah wie sich seine Schultern hoben und senkten während er tief durchatmete. Als er sich ihnen wieder zuwandte, war nichts von seiner Verwirrung geblieben und sein Ausdruck strahlte die gewohnte Freundlichkeit und Autorität aus, die er kannte. Der hohe Meister sah neugierig von Oliver zu Aric.

„Nun? Wie ich höre ist das Mädchen mehr als nur ein gewöhnlicher Patient in unserem Hospital. Ich war gerade dabei Aric diesbezüglich um mehr Informationen zu bitten", sagte der Meister und bedeutete Oliver, sich zu setzen.

Aric nickte und fügte sich in die veränderte Situation.

„Sie ist mir nicht zufällig über den Weg gelaufen. Es war meine bewusste Entscheidung sie hier her zubringen. Dass sie die Festung nicht unversehrt erreicht hat, ist eher dem Zufall zuzuschreiben."

„Oder deiner Unaufmerksamkeit?", warf der alte Meister ein und zog die Brauen nach oben. Aric senkte beschämt den Blick.

„Möglicherweise."

„Nun, darüber reden wir später. Was hat dich dazu bewegt, sie herzubringen. Eine Fremde in der Festung ist keine Kleinigkeit."

„Da stimme ich zu und doch bitte ich nicht um Entschuldigung. Erstens ist sie keine Fremde, denn ich kenne sie schon seit vielen Wochen. Zweitens ist sie mir verpflichtet, da ich ihr bereits zweimal das Leben gerettet habe und drittens weiß sie mehr über uns als mir lieb war und hat sogar den Wunsch geäußert eine Kriegerin zu werden."

„Ich verstehe..."

„Viertens: Bin ich der Meinung, dass sie dringend unseres Schutzes bedarf."

„Inwiefern?"

„Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, aber ich glaube sie ist eine Magierin."

„Eine, die nicht in unserer Liste auftaucht?"

„Ja."

Beide Krieger wandten sich nun Oliver zu, dessen Antwort Arics Vermutungen bestätigen würde.

Oliver sah sie an und seufzte.

„Es tut mir leid. Meine Loyalität in dieser Sache gehört anderen. Ich kann euch keine Auskünfte über dieses Mädchen geben."

„Was soll das bedeuten?"

„Das bedeutet, wenn sie eine Magiern ist, ist es nicht meine Aufgabe euch das zu sagen. Wie ihr beide sehr genau wisst, stehe ich den Kriegern mit Freundschaft und Respekt gegenüber, aber meine Loyalität gilt den Magiern und diese verlangen in einer solchen Angelegenheit meine Verschwiegenheit. Ich werde mein Wort nicht brechen."

„Ihr wisst, wer sie ist?", fragte Aric überrascht.

„Nein."

„Was gibt es dann zu verschweigen?"

„Aric", unterbrach ihn der alte Meister. „Oliver hat seine Gründe, wie wir die unseren. Versichert mir nur, dass das Mädchen keine Gefahr für uns darstellt, Oliver."

„Nicht, solange sie unter unserem Schutz steht."

„Spricht irgendetwas dagegen, sie zur Kriegerin auszubilden?"

„Nein."

„Gut, mehr brauche ich erst einmal nicht zu wissen. Ihr könnt gehen."


Aric und Oliver verließen gemeinsam das Büro und gingen den Gang zum Zentrum hinab.

„Du weißt, deine Weigerung, Auskunft zu geben, bestärkt mich nur in meinen Vermutungen", sagte Aric leise.

„Ich weiß und das ist gut so, denn es wird dich vorsichtig machen. Hüte dein Geheimnis, wie ich meines, wenn dir ihr Leben lieb ist."

Aric sah den Heiler lange an, dann ließ er von ihm ab und holte Luft.

„Grüß sie von mir."

„Ja."

Damit trennten sich ihre Wege.

Das Erbe der schwarzen KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt