Anna seufzte erleichtert, als sie nach 10 Tagen den Wald hinter sich ließen und sich nordwestlich von ihnen das Gebirge erhob. Es war nicht mehr weit. Sie beschleunigte ihren Schritt und sagte zu Koshy:
„Siehst du dort das Gebirge. Wir müssen um die Ausläufer herumwandern und uns dahinter gegen Westen wenden, vielleicht schaffen wir es in den nächsten zwei Tagen."
Koshy folgte ihrem Blick.
„Ich bin müde, Anna. Können wir hier eine Rast einlegen?"
Anna sah ihn an. Koshy wirkte tatsächlich erschöpft. Auch sie selbst war nicht mehr gut bei Kräften, aber da das in den letzten Tagen zum Dauerzustand geworden war, hatte sie es nicht als Maßstab gesetzt.
„Natürlich", lenkte sie sofort ein und sie setzten sich, wo sie waren, ins Gras. Koshy seufzte erleichtert und ließ sich zurückfallen, die Arme rechts und links von sich gestreckt. Das hohe Gras kitzelte ihn im Gesicht und er lächelte.„Wie funktioniert das eigentlich bei dir, Koshy?", fragte Anna neugierig. „Du bist kein Magier, aber du hast trotzdem irgendwie eine Verbindung zu den Elementen? Die Tiere, die Bäume, das Gras, alles reagiert auf dich."
Koshy dachte einen Moment nach, bevor er antwortete.
„Hmm, wie kann ich das am besten erklären? Also, ein Magier beherrscht sein Element, kann es formen, in etwa so wie ein Musiker sein Instrument. Je nach Begabung und Übung, kann er ihm die tollsten Kompositionen entlocken. Oder wie ein Künstler, der aus einem Stück Ton eine schöne Figur formt. Genau so macht es der Magier. Er spielt mit den magischen Bahnen im Element, formt es, lässt es tanzen."
Anna nickte. Das war ein treffender Vergleich.
„Meine Bindung zur Natur ist unabhängig von Elementen und magischen Bahnen. Ich bin ein Teil von ihr. Wenn nachts das Gras mich zudeckt oder ein Vogel zu mir herabfliegt, selbst wenn sich die Erde vor mir öffnet und mir einen Weg in ihr Inneres bahnt, all das geschieht nicht, weil ich es will oder befehle. Es geschieht, weil meine Umgebung mich wahrnimmt, meine Gefühle, meine Worte. Sie reagiert darauf auf ihre eigene Weise, wie ein guter Freund etwa, der mir einen Gefallen tut, oder eine Mutter,die mich schützt und umsorgt. Ich habe keinen Einfluss darauf, ob und wie sie mir hilft, kann sie aber um Hilfe bitten, verstehst du?"
Anna nickte.
„Und wenn du die Form deiner Umgebung annimmst? Du veränderst dich, deine Haut verfärbt sich, dein Haar..."
Koshy grinste sie an.
„Das hat weder was mit Talent, noch mit Freundschaft zu tun", erklärte er vergnügt. „Es ist eine Eigenheit meiner Art. Wir werden so geboren. Es funktioniert mehr intuitiv als willentlich gesteuert. Natürlich kann man es auch steuern, wenn man will. Zum Beispiel, als ich dir gezeigt habe wie mein Vater aussieht, das war Absicht. Und der Reflex lässt sich natürlich auch unterdrücken. Das habe ich in Zenon getan, damit niemand auf meine Andersartigkeit aufmerksam wird. Hier brauche ich nicht vorsichtig sein", erklärte er achselzuckend und Anna beobachtete fasziniert wie seine Augen von sattem grün in himmelblau übergingen, als er seinen Blick nach oben wandte.
Eine Weile schwiegen sie beide und hingen ihren Gedanken nach, dann musterte Koshy sie nachdenklich.
„Ich denke, ein Magier kann die Verbindung zum Element auch so nutzen wie ich. Ihr lernt es nur nicht, weil es viel einfacher ist, das Element eurem Willen unterzuordnen", sinnierte er. „Der Wind reagiert doch auf dich und deine Gefühle, wenn du es zulässt, oder?"
Anna dachte darüber nach.
„Ja. Das tut er", sagte sie dann langsam und erinnerte sich an viele Momente in ihrer Kindheit, wenn der Wind ihr tröstend über die Wangen gestreichelt hatte und ihre Tränen getrocknet hatte, wenn sie traurig gewesen war, oder wie er mit ihren Haaren spielte, wenn sie lachte. Auch später, wurde ihr mit einem Mal bewusst. Selbst als sie der Magie den Rücken gekehrt hatte, hatte es immer wieder Momente gegeben, in denen der Wind um ihre Aufmerksamkeit buhlte, ihr nahe war. Sie erinnerte sich noch an den eiskalten Morgen im Wald, an dem Tag als Aric Zenon verlassen hatte und sie bittere Tränen geweint hatte. Der Wind hatte sie trösten wollen und sie hatte ihn verscheucht. Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr wurde ihr seine Gegenwart bewusst. Wie zur Bestätigung ihrerEinsicht, fuhr ihr der Wind liebevoll durchs Haar und sie lächelte.
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Das Erbe der schwarzen Königin
FantasyFeuer wird Erde verbrennen, Wind wird ihre Asche aufs Meer hinaus tragen, Wasser schenkt ihr neues Leben. Nichts ist ewig, doch es währt für immer... Anna lebt auf der Straße. Zusammen mit ihrem besten Freund Amon lässt sie sich treiben. Ihre einzig...