85. Kapitel

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Die Stadt brauchte lange, bis sie aus ihrer Starre erwachte und als der Rauch sich langsam verzog und sie sich einem unverändert großen und zum Kampf bereiten Heer gegenüber sahen, wurde die Frage laut, was nun geschehen sollte. Die Krieger hatten ihnen die nötige Zeit verschafft, das Tor und die Nordmauer zu verstärken, doch sie hatten einen hohen Preis dafür bezahlt. Das Lazarett quoll über und Emma und Sahir versuchten verzweifelt der Lage Herr zu werden. Es fehlte an fast allem: Medizin, Verbände, sauberes Wasser, Nahrung. Außerdem gab es kaum sachkundige Ärzte. Oliver half, wo er konnte, doch auch seine Kräfte waren beschränkt und er hatte sich bei der Behandlung der Krieger nach der Schlacht so verausgabt, dass er bald kaum noch stehen konnte. Aric sah ihn schwanken und trat zu ihm um ihn zu stützen.

„Du musst dich ausruhen, Oliver. Halb lebendig bist du hier niemandem von Nutzen", erklärte er bestimmt und Oliver fügte sich seufzend, als Aric ihn aus dem Lazarett führte und in eines der leeren Häuser schob, die in der Nähe standen und noch nicht zerstört waren. Vor dem kalten Kamin im Wohnraum lag noch ein wenig Stroh und Oliver ließ sich müde darauf sinken.

Als Aric wieder heraustrat kam ihm eine vertraute Gestalt entgegen. Amon winkte ihm zu und Aric lief ihm entgegen.

„Aric! Gut dich zu sehen!", begrüßte er ihn, sobald Aric ihn erreicht hatte und ließ seinen Blick über Arics vernarbten Oberkörper gleiten. Er war völlig dreck- und blutverschmiert und sein Hemd diente weiterhin Taos zum Schienen seines gebrochenen Armes. Doch Aric hatte Wichtigeres zu tun, als sich neue Kleider zu organisieren. Er ließ Amons Blick unkommentiert und musterte stattdessen fragend den dicken Verband um dessen Kopf. Amon zuckte die Schultern und kam dann endlich zur Sache:

„Wir haben Leyla gefunden. Sie ist nur leicht verletzt und wie wir alle ziemlich durch den Wind. Sie möchte einen Rat einberufen. Es muss geklärt werden, was nun zu tun ist, wie wir vorgehen, na du kannst es dir in etwa vorstellen. Ich habe keinen Überblick, wer bei euch Kriegern das Sagen hat, aber als ich erfahren habe, dass du in der Stadt bist und wir bisher immer mit dir zusammengearbeitet haben...", erklärte er, während er Aric bereits auf den Weg hinauf zum Schloss führte.

Aric nickte und sah sich um. Unter einem benachbarten Hauseingang saßen Lukas und Fern, zwei seiner Kriegerkollegen und ruhten sich aus. Er bedeutete Amon einen Moment zu warten und ging auf die beiden zu.

„Es wird ein Rat im Schloss einberufen. Sucht Lanis und Taos, damit sie sich ihm anschließen können", erklärte er ihnen knapp und die beiden sprangen sofort auf und liefen in unterschiedlichen Richtungen davon.

„Entschuldige", sagte er zu Amon gewandt, „aber auf die beiden solltet ihr nicht verzichten."

Amon nickte nur und sie setzten ihren Weg zum Schloss schweigend fort. Kurz vor den Toren wurde Amon langsamer.

„Kann ich dich etwas fragen?", setzte er an.

„Ich möchte nicht darüber reden", erklärte Aric barsch, der ahnte, wohin dieses Gespräch führte.

„Woher wusstest du...es ist nur so, dass Anna...", versuchte Amon vorsichtig die richtigen Worte zu finden.

„Bitte, Amon, lass es!", wiederholte Aric stur.

„Aber..." begann Amon noch einmal.

„Kein Aber. Ende der Diskussion."

„Wird sie wiederkommen?", fragte Amon hastig und wich instinktiv zurück, als Arics vernichtender Blick ihn traf. „Entschuldige", stieß er hervor und Aric nickte nur.

Annas hasserfüllter Blick, als sie ihm das Schwert auf die Brust gesetzt hatte, ihr kaltes vernichtendes Lachen und dann ihr Körper, der besiegt, verbrannt und doch wie durch ein Wunder unversehrt, zusammengebrochen war, verfolgten ihn in jeder Sekunde. Der Drang den Magiern in den Wald zu folgen und ihnen Anna zu entreißen, sie in die Arme zu nehmen und nie wieder loszulassen, brachte ihn fast um den Verstand. Doch er hatte ihr ein Versprechen gegeben. Er würde nicht eher ruhen, bis Taos auf seinem Thron saß und im Land Frieden herrschte. Und bei allem, was heilig war, dieses Versprechen würde er halten. Sie hatte ihren Krieg geschlagen, nun war es an ihm dafür zu sorgen, dass sie es nicht umsonst getan hatte.

Entschlossen schob er die Gedanken von sich und trat durchs Tor. Amon folgte ihm schweigend. Im Hof erwarteten sie Leyla und Lucius und der Hauptmann der Stadtwache, sowie ein junger Soldat der Garde, den Aric noch nie gesehen hatte. Leyla begrüßte Aric mit einem Lächeln.

„Ich hätte nicht gedacht Euch je wiederzusehen, nachdem Maar Euch in die Finger bekommen hat", sagte sie und Aric sah sie verwirrt an. Es schien ihm ein halbes Leben her zu sein, dass er Anna hatte vom Turm stürzen sehen. Soviel war seither passiert. Er beschloss, dass eine Erwiderung hier unnötig war und richtete daher seinen Blick fragend auf den jungen Mann. Leyla blinzelte und lachte dann müde.

„Entschuldigt meine Manieren. Das hier ist Fin, neuer Hauptmann der Garde. Fin, dies ist Kriegermeister Aric", stellte sie die beiden Männer vor und Aric fragte nicht nach dem Verbleib des alten Hauptmannes. Die Antwort darauf war offensichtlich.

Er nickte dem Hauptmann höflich zu.

„Es ist mir eine Ehre, Kriegermeister", sagte Fin und erwiderte den Gruß. „Es war sehr beeindruckend Euch kämpfen zu sehen."

Aric erwiderte nichts und wandte sich wieder an Leyla:

„Sind Wachen auf der Mauer? Sind die Katapulte besetzt?", fragte er sie drängend und sie sah ihn unschlüssig an.

„Ich weiß es nicht", setzte sie an und warf einen fragenden Blick auf ihren Hauptmann. „Es ist ein einziges Durcheinander, ich habe den Überblick verloren", erklärte sie verlegen.

Aric nickte nur. Er hatte nichts anderes erwartet.

„Dann veranlasst es", sagte er und sah auffordernd in die Runde.

„Nicht nötig!", hallte es da hinter ihm durch den Hof und er wandte sich um.

Taos und Lanis traten eben durch die Tore und waren in wenigen Schritten bei ihnen. Taos hatte sich, wie Aric, nicht die Mühe gemacht ein Hemd zu suchen, zumal sein Arm noch immer mit Arics Hemd und seiner Schwertscheide am Körper fixiert war. Er zwinkerte ihm vergnügt zu.

„Ich habe mir erlaubt, das bereits zu erledigen. Ich hoffe ihr habt nichts dagegen. Ich habe jeden fähigen Mann auf seinen Posten geschickt. Obwohl sich Maar zum Glück seit den letzten Ereignissen nicht mehr gerührt hat, sollten wir auf alles vorbereitet sein", erklärte er ernst und Amon starrte den Hünen verwundert an.

Er fragte sich, ob alle Krieger diese Angewohnheit hatten, plötzlich dreck- und blutverschmiert zu erscheinen und alles besser zu wissen. Leyla schien in etwa denselben Gedanken zu haben, denn sie fragte angespannt:

„Und wer seid Ihr, wenn ich fragen darf?"


Das Erbe der schwarzen KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt