41. Kapitel

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Aric weckte sie in den frühen Morgenstunden.
„Es geht los", sagte er nur und ging zur Feuerstelle hinüber um die noch verbliebene Glut abzudecken. Anna hatte in voller Montur geschlafen. Sie trank einen Becher Wasser, spritzte sich den Rest ins Gesicht, band sich ihr Schwert um und folgte Aric hinaus auf die Straße. Koshy setzte sich verschlafen auf, als sie gerade die Tür schließen wollte.
„Anna?", fragte er ängstlich.

„Koshy, geh auf den Marktplatz, zu Sahir ins Lazarett. Emma wird auch dort sein. Hilf ihnen!"

Sie wartete nicht auf eine Antwort, ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen und eilte zum Tor.

Zenon lag in einer Bucht. Im Süden erstreckte sich das offene Meer, im Osten und Westen erhoben sich steile Klippen, die stark zerklüftet waren und ohne Seil und Kletterhaken nicht begehbar waren. Dadurch war die Stadt von dieser Seite völlig unzugänglich. Die westlichen Klippen flachten schnell ab und gingen von kahlem Fels über in dicht bewaldete Hügel, bis sie viel weiter im Landesinneren in einer breiten Ebene ausliefen. Ein Teil der Westmauer stand den Ausläufern dieses Waldes gegenüber während sich im Norden eine breite Ebene erstreckte. Von dort kam auch der Fluss, der durch die Stadt und dann ins Meer hinein floss. Hier war die Mauer besonders verwundbar, denn sie öffnete sich nach unten. Schwere Gitter waren ins Wasser hinabgelassen worden um den Zugang zu versperren. Das Nordtor war neben dem Westtor der einzige Zugang zum Stadtinnern und sofern sie nicht vom Meer her angegriffen wurden, war die Stadt nur zur Ebene hin verwundbar. Zenon war Ausgangspunkt für die königliche Marine und ihre Kriegsschiffe lagen hier zur Montage in den Werften. Leyla hatte einige zu Wasser gelassen und sie bemannt, so dass auch zum Meer hin eine Verteidigungslinie bestand. Sie waren gut gewappnet.

Als Anna neben Aric an die Brüstung trat, erschrak sie. Das Land rings um die Stadt stand in Flammen. Gespenstisch türmten sie sich in der Dunkelheit auf und Anna versuchte vergeblich die Armee auszumachen, die sich angeblich vor der Stadt eingefunden hatte.
„Sie brennen die Siedlungen und Hütten vor der Stadt nieder", erklärte Aric neben ihr leise und sie harrten aus, während die Feuer langsam kleiner wurden und die Dämmerung heraufzog. Es war ein wolkenverhangener Tag und es dauerte eine Weile bis das Licht ausreichte, um in den Rauchschwaden die langsam anrückende Front erkennen zu können. Anna zog scharf die Luft ein, als sie die ganze Größe der königlichen Armee erfasste, die da auf sie zukam.

„Komm", sagte Aric und beugte sich näher zu ihr hin. „Wenn du das wirklich durchziehen willst, brauchst du einen besseren Platz", er sah sie fragend an und sie nickte nur. Aric ging voran auf der Mauer entlang, bis sie sich dem Fluss näherten. Hier ragte einer der vier Wachtürme in die Höhe, die in die Mauer eingelassen waren. Aric öffnete die Tür zum Turm und sie folgte ihm hinein. Oben angekommen, wechselte er einige Worte mit den Posten dort und winkte sie zu sich. Anna musste zugeben, dass dies der perfekte Ort war. Sie konnte sowohl die Mauer in beide Richtungen komplett sehen, als auch die herannahende Armee in ihrer ganzen Breite überblicken. Sie sah gut, wurde allerdings auch gesehen!

„Kommst du hier oben zurecht?", fragte Aric und folgte ihrem Blick über die Ebene. „Ich muss meine Männer auf der Mauer koordinieren. Die Wachen hier oben werden dich so gut es ihnen möglich ist abschirmen, aber falls es zur Schlacht kommt, kann es ziemlich unübersichtlich werden."

Anna nickte.

„Ich komme schon klar", versicherte sie ihm tapfer und er lächelte.
„Anna, geh keine Risiken ein, hörst du? Versprich mir, dass du dich zurückziehst, wenn es brenzlig wird. Ich trage die Verantwortung für dich, aber auch für die 100 Männer dort unten, die sich auf mich verlassen. Lass es mich nicht bereuen, dir hier freie Hand gegeben zu haben." 

Das Erbe der schwarzen KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt