52. Kapitel

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„Hier ist es", sagte Anna bestimmt. „Hier beginnt Saronns Reich. Zumindest in meiner Welt."

Koshy sah sich um. Sie standen am Fuß eines hohen Berges. Über ihnen zog sich ein dichter Wald entlang und unter ihnen erstreckte sich eine weite Ebene.

„Bist du dir sicher, dass es hier genau so aussieht wie in deiner Welt?"

„Ziemlich. Diese Ebene erstreckt sich über Kilometer. Schon als Kind habe ich mich über die Weite gewundert. Es gibt hier keinen einzigen Baum und nur sehr wenig niedriges Gestrüpp. Der Wald beginnt erst um einiges weiter oben.Ich denke, dass hier ein Übergang möglich ist."

Koshy nickte.

„Dann lass uns keine Zeit verlieren. Reich mir deine Hände."

Anna tat, wie geheißen und Koshy zog sie zu sich hinunter und nahm sie fest in die Arme.

„Schließ die Augen. Vertrau mir", sagte er und Anna folgte gehorsam. Ein eigenartiges Gefühl erfasste sie. Sie fühlte sich schwerelos, seltsam flüssig, als würde ihr Körper alle Konturen verlieren. Alles um sie herum schien sich auszudehnen und dann wieder in sich zusammenzufallen. Etwas Schweres zog sie in die Tiefe und ehe sie wirklich gewahr wurde, dass sie fiel, spürte sie wieder festen Boden unter den Füßen. Die Welt rückte an Ort und Stelle und erleichtert überließ sie sich einen Moment dem Gefühl wieder eins und ganz zu sein. Dann hörte sie Koshys Stimme an ihrem Ohr.

„Du kannst die Augen jetzt aufmachen", sagte er und lächelte sie breit an.

Anna sah sich um.

„Bin ich zu Hause?", fragtesie leise.

„Ja", sagte Koshy fröhlich. „Ja, du bist zu Hause."

Mit leichtem Bedauern konzentrierte sie sich und einen Augenblick später lag ihre Aura erneut verborgen hinter einem magischen Schild. Koshy verzog das Gesicht.

„Schade, du warst wirklich wunderschön anzuschauen."

„Meine Welt, meine Regeln", erwiderte sie fest und lief auf den Berg zu. Koshy folgte ihr.

„Hastdu nicht gesagt, er lebt in einer Burg? Ich kann keine Burg sehen?", fragte er verwundert.

„Du wirst sie sehen, sobald er uns einlässt. Saronn schützt sein Reich mit einem Schild. Niemand dringt ein ohne Erlaubnis."

Saronn hatte Annas Aura gespürt, als sie den Schild betreten hatte. Für einen kurzen Augenblick, bevor sie sie wieder verborgen hatte. Er wusste, dass sie kam und er sandte seine Sinne um sie einzulassen.

Als sie sich dem Wald näherten, verschwamm plötzlich die Umgebung vor ihren Augen und nahm wenig später neue Konturen an. Eine große steinerne Burg erhob sich direkt vor ihnen und während sie darauf zugingen, öffneten sich die Tore und ein aufrechter grauhaariger Mann trat heraus. Er trug rote Roben, die mit feinen goldenen Stickereien verziert waren. Als sie näher kamen, zerfiel seine ernste Miene zu Überraschung und Ungläubigkeit.

„Estell?", flüsterte er verstört, viel zu leise, als dass sie es auf die Entfernung hören konnten, doch Anna vernahm sein Echo im Wind, der ihr entgegenbließ. Sie trat auf ihn zu.

„Nein, Anna", sagte sie steif und eine Welle von Erinnerungen stürzten auf sie ein, als sie ihm in die beherrschten scharfen Augen sah.

Saronn musterte sie einen Augenblick überrascht, dann gewann er die Kontrolle über seine Gesichtszüge zurück und sah sie streng an.

„Du warst deiner Mutter immer ähnlich, aber nun bist du ihr wie aus dem Gesicht geschnitten", erklärte er kühl und sie starrte ihn an, unschlüssig, ob sie sich freuen sollte oder wütend sein.
„Wer ist dein Begleiter?", fragte er und kam einer Reaktion ihrerseits zuvor.

Das Erbe der schwarzen KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt